Kannst du dir nicht angewöhnen, die Füße ordentlich abzutreten?!«
Die offene Ungerechtigkeit in diesem Vorwurf empörte mich, aber noch hielt ich an mich.
»Wo in aller Welt hast du bloß gesteckt?« fragte ich, sie noch immer anstarrend. »Ich habe
mindestens zehnmal nach dir gerufen!«
»Ich war bei der Zentralheizung im Keller«, sagte Magda kühl. »Aber was hat das mit meinem
Teppich zu tun?«
»Es ist ebensogut mein Teppich wie der deine«, antwortete ich erregt. »Ich habe ihn wirklich
nicht gerne beschmutzt. Aber wenn kein Abtreter vor der Tür liegt -!«
»Es liegt kein Abtreter vor der Tür? Natürlich liegt er vor der Tür!«
»Es liegt keiner davor!« rief ich mit Nachdruck. »Bitte, überzeuge dich selbst!«
Aber sie dachte gar nicht daran, vor die Tür zu gehen.
»Wenn Else eben vergessen hat, ihn hinzulegen, so hättest du die Schuhe gut auf dem Vorplatz
ausziehen können! Jedenfalls hättest du nicht den einen Schuh hier mit solchem Plumps auf den
Teppich zu werfen brauchen!«
Ich sah sie, stumm vor Ärger, nur empört an.
»Ja«, sagte sie, »da schweigst du. Wenn man dir Vorwürfe macht, schweigst du. Aber mir machst du
ständig Vorwürfe...«
Ich fand keinen rechten Sinn in diesen Worten, aber ich sagte doch: »Wann habe ich dir Vorwürfe
gemacht?«
»Eben erst«, antwortete sie rasch, »einmal, weil ich auf dein Rufen nicht gekommen bin, und ich
mußte doch nach der Heizung sehen, weil Else heute ihren freien Nachmittag hat. Und dann, weil
der Abtreter nicht vor der Tür liegt. Aber ich kann doch unmöglich bei all meiner Arbeit auch
noch jede Kleinigkeit, die Else zu tun hat, kontrollieren.«
Ich nahm mich zusammen. Ich fand im stillen, Magda hatte in allen Punkten unrecht. Aber laut
sagte ich: »Wir wollen uns nicht streiten, Magda. Ich bitte dich, mir zu glauben, daß ich die
Flecke nicht mit Absicht gemacht habe.«
»Und du glaube mir«, antwortete sie, noch immer ziemlich scharf, »daß ich dich weder mit Absicht
habe rufen noch mit Absicht habe warten lassen.«
Ich schwieg dazu. Bis zum Abendessen hatten wir uns beide wieder ziemlich in der Gewalt, eine
ganz vernünftige Unterhaltung kam sogar zustande, und plötzlich hatte ich den Einfall, eine
Flasche Rotwein, die mir irgend jemand mal geschenkt hatte, und die seit Jahren im Keller stand,
heraufzuholen. Ich weiß wirklich nicht, wieso ich auf diese Idee kam. Vielleicht löste das Gefühl
unserer Aussöhnung bei mir den Gedanken an etwas Festliches, wie Trauung oder Taufe aus. Magda
war auch ganz überrascht, lächelte aber beifällig. Ich trank nur anderthalb Glas, obgleich mir an
diesem Abend der Wein nicht sauer schmeckte. Ich kam sogar in eine heitere Stimmung und brachte
es fertig, Magda allerlei vom Geschäft, das mir soviel Sorgen machte, zu erzählen. Natürlich
sprach ich kein Wort von diesen Sorgen, sondern ich log im Gegenteil meine Mißerfolge in Erfolge
um. Magda hörte mir so interessiert wie schon lange nicht zu. Ich hatte das Gefühl, daß die
Entfremdung zwischen uns völlig geschwunden war, und in der Freude darüber schenkte ich Magda
hundert Mark, damit sie sich etwas recht Hübsches kaufen könnte: ein Kleid oder einen Ring oder
wonach sonst ihr Herz stand.
Ich habe mich später oft gefragt, ob ich an diesem Abend wohl völlig betrunken gewesen bin.
Natürlich bin ich das nicht gewesen, davon hätten sowohl Magda als auch ich etwas gemerkt.
Dennoch habe ich an diesem Abend den ersten Rausch meines Lebens gehabt. Ich schwankte nicht, ich
lallte nicht. Das hatten diese anderthalb Glas muffigen Rotweins selbst bei einem so nüchternen
Menschen wie mir nicht bewirken können, aber doch hatte mir der Alkohol die ganze Welt
verwandelt. Er spiegelte mir vor, daß es keine Entfremdung und keinen Streit zwischen Magda und
mir gegeben hätte, er verwandelte meine geschäftlichen Sorgen in Erfolge, in solche Erfolge, daß
ich sogar hundert Mark zu verschenken hatte, keine beträchtliche Summe gewiß, aber in meiner Lage
war schließlich keine Summe ganz unbeträchtlich. Als ich am nächsten Morgen erwacht war und alle
Geschehnisse von dem vergessenen Fußabtreter bis zum verschenkten Hundertmarkschein an meinem
geistigen Auge vorüberziehen ließ, da wurde mir erst klar, wie schmählich ich an Magda gehandelt
hatte. Ich hatte sie nicht nur über meine geschäftliche Lage getäuscht, nein, ich hatte diese
Täuschung auch noch durch ein Geldgeschenk untermauert, um sie noch glaubhafter zu machen, etwas,
das juristisch wohl Betrug genannt werden würde. Aber das Juristische war ganz
gleichgültig, das Menschliche allein war wichtig, und das Menschliche an dieser Sache war einfach
furchtbar. Ich hatte zum erstenmal in unserer Ehe Magda wissentlich betrogen - und warum? Warum
in aller Welt?! Für gar nichts - ich hätte ja von all diesen Dingen wunderbar schweigen können,
wie ich bisher von ihnen geschwiegen hatte. Niemand zwang mich zum Sprechen.
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