Das bißchen Füße...«
»Ach, deine Füße!« rief sie, nun auch ärgerlich. »Das bißchen zerschundene Haut wird schon heilen. Nein, du bist wirklich krank, Erwin, ich habe es schon seit Monaten gemerkt, wie du dich veränderst, der Doktor muß dich einmal ganz gründlich untersuchen.«
»Und unter deiner Aufsicht!« sagte ich spöttisch. »Nein, dafür muß ich wirklich danken...«
»Erwin«, sagte sie wieder bittend, »laß uns dies eine Mal nicht streiten. Tu mir den Gefallen, geh mit mir zum Arzt. Er kann ja dann entscheiden, ob diese Hamburger Reise für dich gut ist.«
»Oh«, sagte ich bitter, »wenn er unter deiner Beratung entscheiden soll, dann brauchen wir erst gar nicht hinzugehen, dann kannst du Hinzpeter gleich sagen, daß er nach Hamburg zu fahren hat.«
Wir standen jetzt jeder an einem Fenster des Kontors und starrten auf die Straße, was mich anging, so starrte ich nicht nur, sondern trommelte auch mit den Fingern gegen die Scheiben.
Draußen schien noch immer die Frühlingssonne, und was an Weiblichem vorüberging, war frühlingsmäßig gekleidet...
Noch immer war es nicht lange her, daß ich mich wie ein Genesender gefühlt hatte und alte Dinge um mich mit frischem Interesse begrüßt hatte, überzeugt davon, heute ein neues Leben zu beginnen... Und nun drehte sich wieder die alte knarrende Mühle der Streiterei und zermahlte meine besten Vorsätze. Und warum? Weil Magda rechthaberisch war und über alles allein bestimmen wollte. Nein, diesmal war ich nicht gesonnen, nachzugeben. Wir hatten ausgemacht, daß das Vergangene vergangen sein sollte, wegen der Vorgänge in der letzten Nacht brauchte ich nicht nachgiebig zu sein.
Magda drehte sich mit einem Ruck vom Fenster fort und mir zu. »Erwin...«, sagte sie leise.
»Ja?« fragte ich mürrisch und trommelte weiter, ohne sie anzusehen.
»Erwin«, wiederholte sie. »Ich möchte mich heute nicht mit dir streiten. Ich habe das Gefühl, als schweben wir in einer schrecklichen Gefahr und müßten um jeden Preis zusammenhalten. Also, ich will dir den Willen tun, fahre nach Hamburg, aber, wenn du zurückkommst, tu auch du mir den Gefallen und geh mit mir zu Doktor Mansfeld.«
Ich wandte mich ihr zu, ich lachte vergnügt.
»Wenn ich wiederkomme, wirst du selber sehen, wie gesund ich bin, und von allein auf den Arztbesuch verzichten. Aber immerhin, ich verspreche es dir. Im übrigen danke ich dir schön, Magda, ich werde dir auch etwas Schönes mitbringen...«
Und wieder lachte ich. Ich war ganz glücklich über diese Reiseaussicht.
»Ich habe es nicht um Dank getan«, sagte Magda ziemlich steif.
»Ich habe es sogar ganz und gar gegen meine Überzeugung getan. Ich bin überzeugt, diese Reise wird dir nicht gut tun...«
»Aber ich werde sie mit deinem Einverständnis machen«, unterbrach ich sie wieder, »und hinterher wollen wir darüber sprechen, wer von uns beiden recht hat. Jetzt aber sage mir, welche Firmen für diese Lieferung etwa in Frage kommen. Natürlich werde ich mich auch auf eigene Faust umtun...«
Meine Reise nach Hamburg wurde geschäftlich zu einem großen Erfolg: Ich konnte drei Waggons altes Reepwerk zu einem unglaublich niedrigen Preis ankaufen; wir verdienten sehr hübsch an diesem Gelegenheitsgeschäft. Ich erzählte Magda hinterher mancherlei von meiner Jagd nach diesen Tauen, in Wahrheit aber war mir das Geschäft ganz durch Zufall, wie es eben manchmal geht, in den Schoß gefallen; ich hatte nichts dazu tun müssen. Aber ich mußte doch etwas erzählen, um meine fast fünftägige Abwesenheit zu begründen. Ich hatte mich aber in Hamburg nicht einmal betrunken, das muß ich hier ausdrücklich feststellen. Doch hatte ich dort die Gewohnheit der kleinen Gläschen zu jeder Tagesstunde, auch schon am frühen Vormittag, angenommen, eine Angewohnheit, die vielleicht noch verhängnisvoller ist als ein gelegentlicher schwerer Rausch. Ich hatte mich viel - das ganze Geschäft war schon am zweiten Tag in einer halben Stunde erledigt - viel in der schönen Stadt, an der Alster und am Hafen herumgetrieben, war zu den Werften hinübergefahren, war durch die endlosen Hallen des Altonaer Fischmarktes gewandert und hatte eine Auktion dort mitgemacht, war nach Ohlsdorf hinausgefahren und hatte den weltberühmten Friedhof stundenlang durchwandert - und zwischen alledem war ich alle naselang in eine Kneipe gehuscht und hatte ein oder zwei Gläschen irgendeiner klaren oder braunen brennenden Flüssigkeit getrunken. Das machte mir Laune, das tat meinem Magen gut, erfreute mein Herz, ließ mich die bunt dahinstürmende Stadt mit fröhlichen Augen ansehen, kurz: hob mich über mich hinaus. Nie ganz trunken, ja, eigentlich sehr weit ab von jeder Trunkenheit, und doch nie ganz nüchtern, verlebte ich dort meine Tage, und wenn ich zu Anfang noch bis zehn oder gar bis elf mit meinen ersten Schnäpschen gewartet hatte, so klingelte ich an den beiden letzten Tagen schon gegen acht Uhr dem Zimmermädchen und ließ mir meinen ersten doppelstöckigen Kognak ganz fromm und frei ans Bett bringen.
Das Frühstück schmeckte mir dann um so besser.
Die Rückreise, die ich mit einer guten Taschenflasche ausgerüstet antrat, ließ in mir die besten Vorsätze reifen. Es war klar, daß ich diese Gewohnheit daheim unter Magdas scharfen Augen nicht fortsetzen konnte, und nachdem ich eben einen kräftigen Schluck auf der Toilette des Zuges genommen hatte, schien es mir auch ganz leicht, darauf zu verzichten. Es waren doch immer nur ein, zwei Gläschen gewesen, alle ein, zwei Stunden nur, auf so etwas mußte doch leicht zu verzichten sein! Die Rückreise erwies sich wider Erwarten länger als der Inhalt meiner als so ausgiebig eingeschätzten Taschenflasche; in dem Wartesaal unseres Bahnhofs (wo ich nicht bekannt bin) nahm ich noch ein paar Gläschen und machte mich dann auf den Heimweg. Dabei vergaß ich nicht, in einer Drogerie eine Schachtel mit wohlriechenden Mundpillen zu kaufen, die den Alkoholgeruch verdecken sollten.