In der Stille der
Nacht würde ich ihr ungestört einige bittere Wahrheiten über die Gemeinheit sagen können, einem
Mann, mit dem sie immerhin eine fünfzehnjährige Ehe verband, hinterlistig Ärzte auf den Hals zu
hetzen. Sie hatte die Kameradschaft zwischen uns gebrochen, und ich zweifelte je länger, je
weniger daran, daß sie letzten Endes nur nach einer Vormundschaft über mich und nach meinem
Besitz trachtete. Das alles wollte ich ihr ganz unverblümt sagen.
Leider wurde aus meinem schönen Plan nichts. Wieder einmal spielte mir der Alkohol einen bösen
Streich. Nicht, daß es mich, wie schon einige Male vorher, in einen betäubten, traumlosen Schlaf
niederwarf, der mich die richtige Stunde versäumen ließ, nein, diesmal hatte ich ein viel
schlimmeres Erlebnis: mein Körper verweigerte mir den Dienst, mein Magen streikte. Ich hatte
noch, mit einigem Widerwillen wohl, aber aus Pflichtgefühl, einen Teil des geholten, ganz
ordentlichen Abendessens zu mir genommen und hinterher kräftig getrunken. Ich hatte mich aufs
Bett gelegt und war bereit, in einem dämmernden Halbschlummer die Stunde meines Fortgehens
heranzuwarten; da fing mein Magen an zu würgen, er empörte sich, ich mußte hoch, ich mußte endlos
und unter qualvollen Schmerzen erbrechen. Mein ganzer Körper war mit Schweiß bedeckt, meine Hände
und meine Knie zitterten, mein Herz pochte laut und schmerzhaft, zögernd, als wollte es jeden
Augenblick aussetzen. In meinen Augen standen Tränen, es flimmerte vor ihnen, durch mein Hirn
zogen Schleier, oft war ich bewußtlos. Endlich lag ich wieder auf meinem Bett, zu Tode erschöpft,
von einer wahnsinnigen Angst gepackt: Nahte jetzt schon das Ende? So schnell schon? Ich hatte
doch noch gar nicht lange und gar nicht übermäßig viel getrunken? Wurde man so schnell zu einem
Trinker? So rasch also baute der Alkohol einen Körper ab? Nein, ich wollte noch nicht sterben!
Ich hatte diese Trinkerzeit immer nur als ein Durchgangsstadium angesehen; ich war überzeugt
gewesen, daß ich mit ihr jederzeit Schluß machen könnte, ohne Schädigung für mich - und nun schon
sollte alles zu Ende sein? Nein, das war unmöglich! Ich wollte nicht, ich würde wieder gesund
sein, bald schon, vielleicht morgen schon; dieses gallenbittere Brechen mußte eine andere Ursache
haben! Sicher war etwas an dem Abendessen gewesen! Es ist seltsam, daß ich in diesem Zustand
schwerster Vergiftung mit keinem Gedanken dem Alkohol abschwor. Im Gegenteil, ich vermied es
ängstlich, an ihn auch nur zu denken.
Er konnte nicht die Ursache sein, ihn konnte ich nicht aufgeben. Er war mein einziger guter
Freund in diesen Tagen der Verlassenheit und Erniedrigung! Und kaum hatte ich mich ein wenig
erholt, kaum gingen Atem und Herz etwas ruhiger, da griff ich wieder zur Flasche, trank von
neuem, die Träume zu rufen, das Vergessen zu rufen, einzugehen in das süße Nichts, in dem man
weder Sorgen noch Freuden kennt, in dem man weder Vergangenheit noch Zukunft hat.
Eine Weile tat der Schnaps auch seine Schuldigkeit; entspannt und ein wenig glücklich lag ich da.
Dann jagte mich wieder das Erbrechen hoch, ein noch viel qualvolleres, würgenderes Erbrechen, da
der Magen nun nichts mehr enthielt als die paar Schlucke Schnaps.
So verbrachte ich diese Nacht, zwischen Trinken und Brechen; schließlich konzentrierte ich meinen
ganzen Willen nur darauf, mit aller Kraft das Brechen möglichst lange zurückzuhalten, damit der
Alkohol doch einige Minuten Zeit hätte, durch die Schleimhäute des Magens in den Körper
überzugehen, ehe ihn neues Würgen heraustrieb. Es war so schade um den schönen Schnaps!
Endlich fiel ich gegen Morgen in einen unruhigen Schlaf der Erschöpfung, durch den wüste, mich
quälende Traumbilder gaukelten. Lobedanz weckte mich aus ihm, er stand unter der Tür und bemerkte
hüstelnd, daß es gleich neun sei, ob er den Kaffee bringen solle? Ich sagte ihm unwillig, daß ich
auf Kaffee verzichte, er solle mir sofort eine neue Flasche holen lassen.
Ohne auf meine Worte zu achten, fing er an, die wüste Unordnung im Zimmer zu beseitigen, öffnete
auch das Fenster, durch das frische Luft und Sonne eindrang. Erschöpft, matt, wehrlos blinzelte
ich ins Licht.
»Machen Sie doch zu, Lobedanz«, bat ich ärgerlich. »Ich habe eben die Flasche leergetrunken,
sorgen Sie sofort für eine neue!«
»Sie wollten doch um neun auf Ihre Bank gehen, mein Herr«, erinnerte mich Lobedanz auf seine
leise, flüsternde Art. »Es ist neun.«
»Ich kann jetzt nicht gehen«, sagte ich ärgerlich. »Sie sehen doch, daß ich krank bin, Lobedanz.
Ich werde morgen gehen oder heute nachmittag. Jetzt holen Sie erst den Schnaps.«
»Dann muß ich den Ring verkaufen, mein Herr«, sagte Lobedanz. »Der Pfandleiher hat mir nur
fünfzehn Mark darauf geben wollen; wenn ich ihn verkaufe, bekomme ich fünfundzwanzig Mark.«
»Fünfundzwanzig Mark!« rief ich empört. »Der Ring hat neu neunzig Mark gekostet!«
»Jetzt ist es ein alter Ring, und der Pfandleiher will auch leben, Herr«, flüsterte Lobedanz
gleichmütig. »Wenn ich den Ring für fünfundzwanzig Mark verkaufen darf, ist der Korn sofort
hier.«
»Und wie können fünfzehn Mark schon alle sein?« rief ich erbittert. »Ein Abendessen und eine
Flasche Korn - das macht doch keine fünfzehn Mark!«
»Und die Zimmermiete, mein Herr?« fragte Lobedanz einschmeichelnd. »Soll ich armer Mann gar
nichts haben? Ich muß Ihnen übrigens zwölf Mark für die Stube rechnen, Herr... Ich weiß, ich
weiß«, sagte er eilig und knackte wieder einmal besonders laut und ekelhaft mit seinen Gelenken.
»Ich habe sieben Mark gesagt, und ich bin ein Mann von Wort. Aber Sie machen viel Wirtschaft,
Herr, und Sie richten das Zimmer hin, und Sie gehen mit Kleidern und Schuhen ins Bett, das
ruiniert die Wäsche! Das kostet alles Geld, und wir sind sehr arme Leute...«
»Spitzbuben seid ihr«, schrie ich wütend. - »Scheren Sie sich zum Teufel, ich ziehe!«
»Sehr wohl, mein Herr«, sagte Lobedanz und ging.
Aber natürlich blieb er der Sieger, nach einer Weile stand ich, vom Durst gepeinigt, auf und
ächzte die Treppe hinab und rief ihn. (Lange ließ Lobedanz sich rufen.) Und ich schmeichelte ihm
und gab ihm die Erlaubnis, meinen Ehering für fünfundzwanzig Mark zu verkaufen - und dann
endlich, nach einer langen, langen Zeit qualvollen Wartens bekam ich eine neue Flasche Korn und
konnte wieder trinken und brechen, trinken und brechen. So wurden aus einem Tag ein zweiter und
ein dritter und eine Reihe von Tagen, und ich verließ die Stube bei Lobedanz nie...
In dieser ersten Woche, die ich bei Lobedanz zubrachte, gingen meine beiden Ringe, meine goldene
Uhr und meine Aktentasche in seinen Besitz über. Ich bin fest davon überzeugt, daß der
Pfandleiher nur eine vorgeschobene Person und daß der eigentliche Erwerber meiner Goldsachen der
sehr arme Mann Lobedanz selbst war.
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