Ich betete zu dem so
lange vergessenen lieben Gott, er möge es doch bewirken, daß recht viel Geld in der Kasse
sei.
Viel Geld, um dieses Leben zwischen Trunkenheit und Übelkeit noch lange fortzusetzen, noch viel
mehr Geld, um Elinor, la reine d`alcool, zu verführen, mit mir auf Reisen zu gehen. Mit keinem
Gedanken beschäftigte mich die Lage, in die ich mein eigenes Geschäft durch solch eine Entnahme
bringen würde. Ja, ich glaube, wenn ich daran gedacht hätte, ich hätte um so mehr frohlockt, je
größer der Schaden für meinen eigenen Betrieb geworden wäre. Ich hatte also mein Gebet verrichtet
und öffnete die Kassette. Ich hob das obere Fach ab, in dem nur Hartgeld lag, und sah gierig nach
den Scheinen. Meine Enttäuschung war grenzenlos. Nur ganz wenige Scheine lagen da; als ich sie
durchzählte, waren es nicht viel mehr als fünfzig Mark. Ich sehe mich noch da stehen, die wenigen
Scheine in der Hand, ein eisiges Gefühl im Herzen.
Dies ist das Ende, dachte ich, das reicht weder für Elinor noch für Lobedanz. In zwei,
drei Tagen ist dies Geld zu Ende, und dann gibt es nur ergeben, zu Kreuze kriechen, die
Kaltwasser-Heilanstalt, die endgültige Aufgabe aller Hoffnungen.
So stand ich da, den Tod im Herzen, lange, lange...
Dann kam wieder Leben in mich. Ich sah wieder Lobedanz' gelbliches Gesicht vor mir mit dem
dunklen Vollbart; ich hörte seine sanfte Stimme etwas von Schmuck und Silber flüstern...
Schmuck kam nicht in Frage. Das bißchen Schmuck, das Magda besaß, war kaum etwas wert, außerdem
bewahrte sie ihn im Toilettentisch des Schlafzimmers auf.
Aber Silber - ja, Silber hatten wir. Schönes, schweres, altes Tafelsilber, ein Gelegenheitskauf
auf einer Auktion. Im Koffer war noch Platz genug... Ich trank schnell und viel, ich trank die
ganze Flasche auf einmal leer. Es war noch gut ein Drittel in ihr gewesen. Einen Augenblick
überschwemmte die plötzliche starke Alkoholzufuhr meinen Körper wie mit einer roten Woge, ich
schloß die Augen, ich zitterte. Würde ich brechen müssen?
Aber der Anfall ging vorüber, ich hatte mich wieder in der Gewalt. Rasch ging ich ins
Speisezimmer und knipste dort den Kronleuchter an. Die eben noch so ängstlich gewahrte Vorsicht
brauchte ich nun nicht mehr. Ich schloß das Büfett auf und nahm das Silber, das dutzendweise in
Flanellfutteralen steckte (wir brauchen es nur bei festlichen Gelegenheiten) heraus. Ich häufte
es erst neben mir auf, dann trug ich es fort, große Löffel, Messer und Gabeln, die kleinen
Bestecke, die Fischbestecke...
ich stopfte alles in den Koffer, wie es kam. Nun fehlten nur noch die silbernen Auffüll-Löffel,
das Salat- und das Tranchierbesteck, die lose in einer besonderen Schieblade lagen. Ich nahm sie
eilig heraus; plötzlich hetzte mich etwas, ich mußte fort aus diesem Haus! Ein Löffel fiel
klirrend zu Boden, ich fluchte laut, griff nach ihm und ließ einen zweiten Löffel fallen.
Ungeduldig riß ich an der Schieblade, um sie ganz herauszuziehen und das Einzelsilber in ihr zum
Koffer zu tragen. Die Schieblade gab überraschend schnell nach und fiel polternd auf das
Silbergeschirr, das hell ertönte. Ich raffte alles zusammen, wie ich es fassen konnte, jetzt ohne
Rücksicht auf den Lärm, den ich machte, und eilte damit zum Koffer. Im Gehen fielen zwei, drei
Löffel. Ich warf das Mitgebrachte obenauf in den Koffer und lief zurück, das Verlorene zu holen.
Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf Magda, die mitten im Speisezimmer vor ihrem
aufgerissenen Büfett stand!
Sie wendete den Kopf und sah mich an, lange. Ich merkte, wie sie erschrak, wie sie schnell
atmete, sich zu sammeln versuchte.
»Erwin«, sagte sie dann mit stockender Stimme, »Erwin! Wie siehst du aus!? Wo kommst du her in
diesem Zustand? Wo bist du so lange gewesen? Ach, Erwin, Erwin, wie ich mich geängstigt habe um
dich! Daß wir uns so wiedersehen müssen! Erwin, denke daran, daß wir uns einmal liebgehabt haben!
Zerstöre doch nicht alles! Komm wieder zu mir. Ich will dir helfen, so gut ich kann. Ich will so
geduldig sein, nie wieder werde ich mich mit dir streiten...«
Sie hatte immer schneller geredet, atemlos hielt sie inne und sah mich flehend an.
Mich aber bewegten ganz andere Gefühle.
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