Es war sehr
dunkel, nur weil er Schuhe trug und dadurch beim Laufen Lärm machte, konnte ich ihm überhaupt
folgen. Ich bin ganz sicher, daß Lobedanz die Absicht gehabt hatte, mit dem ganzen Koffer erst
einmal völlig zu verschwinden und mich hilflos auf der Straße zu lassen, und er glaubte ja auch
wirklich, mich abgeschüttelt zu haben: meinen leisen Schritt auf Strümpfen hatte er nicht gehört.
Aber als er schließlich atemholend doch stille stand, war ich neben ihm und fragte ihn, warum er
denn so sinnlos gelaufen sei. Es wäre uns ja doch niemand nachgelaufen!
Der Schurke war nicht einen Augenblick verlegen, wußte auch seine Enttäuschung über mein
Auftauchen gut zu verbergen und fragte dagegen: »Es hat doch Krach mit den Weibern gegeben? Die
Weiber haben doch geschrien? Was haben Sie mit den Weibern getan?«
»Nichts, was Sie mir nicht geraten haben, Lobedanz«, lachte ich. »Ich habe sie zu ängstigen
versucht, nämlich mit Schlägen. Aber es ist nicht viel daraus geworden. Übrigens ist es wohl
selbstverständlich, daß eine Frau sich widersetzt, wenn man ihr das Silber fortnimmt. Ich habe
das Silber, Lobedanz.«
»So, haben Sie es?« antwortete der Abgefeimte. »Nun kommt es darauf an, ob es auch etwas bringt.
Das meiste Silber ist leicht und hohl, oder die Fasson ist unmodern. Silber, das nur zum
Einschmelzen taugt, ist kaum ein paar Mark wert.«
»Sie brauchen sich darum nicht zu sorgen, Lobedanz«, sagte ich böse. »Ich werde mein Silber ohne
Sie verwerten - wenn ich es überhaupt verkaufe, was ich noch nicht weiß. So, und nun möchte ich
meinen Koffer allein weiter tragen.«
Ich hatte während unserer Unterhaltung meine Schuhe angezogen und nahm jetzt den Koffer auf,
trotz der flehentlichen Proteste Lobedanz'. Endlich hatte ich gerade den rechten Ton ihm
gegenüber getroffen, der Alkohol, der ja immer neue, immer andere Stimmungen heranspült, hatte
ihn mir eingegeben.
Jetzt war Lobedanz wieder ganz Ohrwurm, er beteuerte, er sei nur ein armer Arbeiter, unfähig, mit
einem wirklich gebildeten Menschen umzugehen. Natürlich würde mein Silber gut sein, sehr gut, ich
möge es seiner Dummheit zugute halten, wenn er geglaubt habe, ein Mann wie ich könne
minderwertiges Silber haben. Ich verharrte in einem vorgeblichen finsteren Schweigen, das ihn
immer unruhiger machte, über das ich mich selbst aber innerlich vor Lachen schüttelte. Zu Hause
angekommen, trug Lobedanz, ohne sich erst bitten zu lassen, die wirklich bereit gehaltene Flasche
Korn herbei; ich griff in die Tasche und fragte nur: »Wieviel?«
»Zwei Mark fünfzig«, flüsterte er, sehr demütig.
»Hier haben Sie Ihr Geld, und daß Sie mir nie wieder einen so schlechten Fusel bringen! Habe ich
sonst noch was zu zahlen?«
Er versicherte, daß alles beglichen sei.
»Gut, dann machen Sie, daß Sie hinauskommen! Ich will jetzt schlafen.«
Er schob sich aus der Tür, ich hatte es fertiggebracht, ihn verlegen und demütig zu machen.
Mir aber war weder nach schlafen, noch nach trinken zumute. Der Durst nach Betäubung hatte
ausgesetzt, ich bekam aus rätselhaften Gründen eine kurze Schonzeit, während der ein Stück des
tätigeren Menschen, der ich einst gewesen, wieder auftauchte. Vielleicht kam das von der eben
überstandenen Szene mit Magda, die mich doch sehr aufgewühlt hatte - freilich mühte ich mich, so
wenig wie nur möglich an sie zu denken.
Eine Weile saß ich grübelnd auf dem Sofa. Mit unerbittlicher Klarheit stand vor mir, daß ich nach
dem Geschehenen nie wieder nach Hause kommen konnte. Mein alter Plan, mich selbst des Alkohols zu
entwöhnen und als ein Gesunder vor Magda und die Ärzte zu treten, war endgültig zusammengebrochen
- übrigens hatte ich in meinen nüchternen Stunden selbst nie recht an ihn geglaubt. Es war aber
auch unmöglich, es widerstand mir bis zum Ekel, hier noch länger bei Lobedanz zu hausen; das Ende
konnte nur Irrsinn heißen. Ich mußte einen anderen Weg finden, und ich glaubte auch eine Ahnung
von der Art dieses Weges zu haben. Vieles mußte ich wagen in den nächsten vierundzwanzig Stunden,
nicht als berauschter Mann durfte ich an mein Werk gehen.
Es mag morgens zwischen drei und vier Uhr gewesen sein, als ich von meinem Sofa aufstand und
anfing, den Koffer auszupacken. Ich wusch mich dann von Kopf bis zu Füßen, zog mich halb an und
rasierte mich mit größter Sorgfalt. Alles ging unendlich langsam. Das Zittern meiner Hände war so
stark, daß ich ein paarmal daran verzweifelte, mich rasieren zu können, aber schließlich gelang
es doch. Aus unbekannten Urgründen meines Seins war eine neue Energie in mir aufgestiegen, sie
ließ mich aushalten, sie gab es nicht zu, daß ich mehr als ganz kleine Schlucke in langen
Zeitabständen zu mir nahm.
Als ich schließlich völlig frisch angezogen und gewaschen mich im Spiegel musterte, war ich
selbst erstaunt, wie gut ich noch aussah. Gewiß, meine Augen waren gerötet, mit stecknadelkleinen
Pupillen, und die Backen hingen etwas, aber niemand konnte mir einen Trinker ansehen. Ich konnte
es morgen früh wagen, und ich würde es wagen.
Ich ging nicht mehr ins Bett. Ich schlug die Decke um mich und setzte mich auf das Sofa, den
Morgen zu erwarten. Dabei lauschte ich in das Haus.
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