Es war ganz still, aber ich hatte die feste Überzeugung, daß Lobedanz nicht schlief, sondern mich belauerte. Nun, ich würde warten, und ich traute mir auch zu, ihn zu überlisten.
Ich hatte ein Wasserglas mit Korn gefüllt, ehe ich mich auf das Sofa gesetzt hatte, und die Flasche mit dem ganzen Rest in die fernste Ecke meiner Stube gestellt: Mit diesem Wasserglas Korn mußte ich bis zum Morgen auskommen, hatte ich bestimmt.
Aber ich nippte nur daran; nach der ungewohnten Beschäftigung dieser Nacht war ich todmüde, ich lehnte mich zurück, und schon war ich eingeschlafen.
Ich erwachte von einem leise klirrenden Geräusch. Ich öffnete halb die Augen und blinzelte in die Stube, in der das Licht der Morgensonne bereits die Überhand über den Schein der Glühlampe gewonnen hatte. Über meinen Koffer gebeugt, stand Lobedanz, er hatte aus einem Futteral ein Tafelmesser gezogen, musterte es kritisch und wog es in der Hand. Eine ganze Weile sah ich zwischen zusammengekniffenen Lidern dem Schurken zu, wie er zwischen dem Silber herumwühlte; dann räkelte ich mich, gähnte laut, wie jemand, der eben erwacht, und sah in mein Zimmer; es war leer. Eben sah ich noch, wie sich die Klinke der Tür in die Ruhestellung hob. Ein Blick in den Koffer überzeugte mich davon, daß Lobedanz sich vorläufig noch mit einer Musterung des Silbers begnügt hatte, das eigentliche Klauen war wohl für betrunkenere Stunden von mir vorbehalten.
Ich öffnete das Fenster, sah über die Stadt und nach dem Stand der Sonne. Sie hatte sich noch nicht viel über den Horizont erhoben, es mochte zwischen sechs und sieben Uhr sein. Ich rief aus der Tür nach Lobedanz; der gute Listenreiche ließ sich eine ganze Weile Zeit, bis er sich meldete. Ich rief ihm nur hinunter, daß ich mein Frühstück haben wollte. Er brachte es sehr rasch, seine zage, sonst fast schafsmäßig sanfte Miene konnte dieses Mal doch ein Gefühl lebhafter Beunruhigung über mein völliges Verändertsein nicht verbergen. Ich tat, als sähe ich nichts, und machte mich zum erstenmal mit einigem Appetit ans Essen. Der Kaffee war überraschend gut, die Semmeln knusprig und die Butter frisch und kühl - dieser Schurke von Lobedanz verstand es entschieden zu leben. Während ich aß, brachte Lobedanz den Waschtisch und mein Bett in Ordnung, wobei er es nicht lassen konnte, immer wieder heimliche Seitenblicke auf mich abzuschießen. Dazu hüstelte er immer häufiger. Die Kornflasche, die er im Stubenwinkel stehen fand, gab ihm endlich den ersehnten Anlaß, ein Gespräch anzuknüpfen.
»Sie haben ja fast gar nichts getrunken, Herr!« sagte er und hielt die Flasche beweisend gegen das Licht.
»Ja, mein lieber Herr Lobedanz«, sagte ich spöttisch, aber in bester Laune und bestrich dabei eine Semmel dick mit Butter, »wenn du mir weiter solchen Fusel bringst, werde ich mir das Trinken noch ganz abgewöhnen.«
Er nahm mein Du ohne Zucken an.
»Es war ein Irrtum, Herr«, knurrte er, »ein Irrtum vom Kaufmann. So wahr ich hier stehe, ich selbst habe vier Mark fünfzig für die Flasche bezahlt, der Kaufmann hat sich vergriffen. Aber ich habe Ihnen natürlich nur den wirklichen Preis berechnet, ich selbst legte die zwei Mark darauf, obgleich ich nur ein armer Mann bin. Ich bin ehrlich, Herr...«
»Rede keinen Blödsinn, Lobedanz«, antwortete ich grob. »Du bist so wenig ehrlich wie du arm bist. Ein alter Gauner bist du, oder vielmehr ein junger, aber gerissen genug für einen alten. Vielleicht mag ich dich darum gerade gerne. - Nimm die Flasche mit«, schrie ich in plötzlich gespieltem Zorn, »und sauf sie selber aus. Und sorge dafür, daß in fünf Minuten eine anständige Sorte hier ist, da hast du Geld!«
Und ich warf ihm einen Schein auf den Tisch. Er griff eilig nach ihm.
»Sofort, wenn die Läden offen sind«, versicherte er.
»Nein, nicht wenn die Läden offen sind!« schrie ich noch lauter, »sondern jetzt, jetzt auf der Stelle! Denkst du Idiot, ich will den ganzen Tag hier wach sitzen, nach dieser Nacht? Ich will endlich schlafen können.«
Ich war aufgesprungen, in gespielter Erregung, hatte schon das Jackett ausgezogen und knöpfte an meiner Weste. Ich mußte ihn jetzt überzeugen, sonst ging die Sache doch noch schief.
So griff ich nach dem Wasserglas mit Korn, das noch immer fast voll auf dem Tisch stand, goß es herunter und schrie: »Da, gieß noch einmal voll! Mit deinem verdammten Fusel! Und nun mach, daß in fünf Minuten ein anderes Getränk hier ist; der Kaufmann wird dich schon hinten herum reinlassen, einen so guten Kunden wie dich!« Ich hatte mir die Weste vom Leibe gerissen und knöpfte schon an den Hosenträgern.
»In fünf Minuten!« beteuerte Lobedanz und eilte aus der Stube. Unschwer war aus seinen Worten Erleichterung und Befriedigung herauszuhören. Er hatte Angst um seine Melkkuh gehabt, aber jetzt soff ich wieder. Gott seis getrommelt und gepfiffen!
Kaum hatte ich die Haustür klappen hören, war ich schon wieder in meinen Kleidern, schloß den Koffer, nahm ihn und fiel die Treppe hinab. Es mag eine Frau Lobedanz geben, auch Kinder Lobedanz, von der gleichen sanften, einschmeichelnden, flüsternden, verflucht schurkischen Art, wie es ihr Vater ist: Ich habe sie nie zu Gesicht bekommen. Ich sah sie auch an diesem Morgen nicht. Unangefochten kam ich auf die Gasse. Hier, schon fast frei von meinem Peiniger, hätte mir der Alkohol fast noch einen Streich gespielt.