Es brannte
atemraubend, dann verschluckte ich mich, zwang die Flüssigkeit aber doch die Kehle hinunter. Ich
fühlte sie brennend und beizend hinunterrinnen - und in meinem Magen entstand ein plötzliches
Gefühl von Wärme, einer wohltuenden, heiteren Wärme. Dann mußte ich mich am ganzen Leibe
schütteln. Der Maurer sagte halblaut: »Die sich so schütteln, das sind die Schlimmsten«, und das
Mädchen lachte kurz. Ich legte eine Mark auf den Zink und verließ ohne ein weiteres Wort die
Gaststätte.
Der Frühlingstag empfing mich mit sonniger Wärme und leichtem, seidenfeinem Wind, aber als ein
Verwandelter kehrte ich in ihn zurück. Aus der Wärme in meinem Magen war eine Helligkeit in
meinen Kopf emporgestiegen, mein Herz pochte frei und stark. Jetzt sah ich das Smaragdgrün der
jungen Saaten, jetzt hörte ich die Lerchenwirbel im Blau. Meine Sorgen waren von mir abgefallen.
Es wird sich alles schon einmal regeln, sagte ich mir heiter und schlug den Weg heimwärts
ein. Warum sich jetzt schon darüber plagen? Ehe ich in die Stadt kam, kehrte ich noch in
zwei weiteren Gasthäusern ein und trank in jedem noch solch ein Stängchen, um die rasch
verfliegende Wirkung wiederzuholen und zu verstärken. Mit einem leichten, aber nicht unangenehmen
Benommenheitsgefühl langte ich zu Hause gerade zur rechten Zeit für das Mittagessen an.
Ich war mir klar darüber, daß ich vor meiner Frau nun nicht nur den Fehlschlag in den
Lebensmittellieferungen, sondern auch mein Trinken verheimlichen mußte. Aber ich fühlte mich im
Augenblick der ganzen Welt so überlegen, daß ich überzeugt war, dies würde mir nicht die
geringste Schwierigkeit machen.
Ich verweilte länger als sonst im Badezimmer und wusch mich nicht nur besonders sorgfältig,
sondern putzte mir auch lange und gründlich die Zähne, um jeden Alkoholgeruch zu vertreiben. Ich
wußte noch nicht, welche Haltung ich Magda gegenüber einnehmen sollte, aber ein dunkles Gefühl
warnte mich davor, zu gesprächig zu sein - wofür ich eine starke Neigung verspürte -, besser
würde vielleicht eine ruhige Pose gehaltenen Ernstes sein.
Die Suppe war schon aufgefüllt, und Magda erwartete mich bereits, als ich eintrat. Ich gab ihr
flüchtig die Hand und machte ein paar Bemerkungen über das herrliche Frühlingswetter. Sie stimmte
mir zu und erzählte einiges von den jetzt dringenden Bestellarbeiten im Garten, auch bat sie
mich, ihr heute abend eine bestimmte Gemüsesämerei, deren Fehlen sie eben erst bemerkt habe, aus
der Stadt mitzubringen. Ich sagte ihr prompteste Erledigung zu, und so kamen wir ohne jede
Fährnis über die Suppe. Ich merkte wohl, daß mich Magda ab und zu prüfend, beinahe mit stummer
Frage, von der Seite ansah, aber in dem Gefühl, daß mir unmöglich etwas angemerkt werden konnte
und daß alles vorzüglich ging, beachtete ich diese Blicke nicht.
Übrigens erinnere ich mich, daß ich an diesem Mittag die Suppe mit besonderem Appetit aß.
Else räumte die Teller ab und flüsterte dabei meiner Frau irgendeine Küchenfrage zu, durch die
Magda veranlaßt wurde, aufzustehen und mit Else in die Küche zu gehen, wohl um irgend etwas
abzuschmecken oder zu tranchieren. Ich blieb allein im Speisezimmer, auf den Fleischgang wartend.
Ich dachte an nichts Besonderes, ich war von einer heiteren Zufriedenheit erfüllt, das Leben
gefiel mir. Keine Ahnung hatte ich von dem, was ich nun sofort tun würde. Plötzlich - mir selbst
überraschend - stand ich auf, schlich eilig auf den Zehenspitzen zur Anrichte, öffnete die untere
Tür und richtig - da stand noch die Rotweinflasche, die wir an jenem verhängnisvollen
Novemberabend, als unsere Streitereien begannen, angetrunken hatten! Ich hob sie gegen das Licht:
sie war, wie ich es nicht anders erwartet hatte, noch halb gefüllt. Ich hatte keine Zeit zu
verlieren, jeden Augenblick konnte Magda zurückkommen. Mit den Nägeln zog ich den ziemlich weit
in den Hals getriebenen Korken heraus, setzte die Flasche an den Mund und trank, trank aus der
Flasche wie ein alter Säufer! (Aber was sollte ich tun? Für die Benutzung eines Glases war keine
Zeit, ganz abgesehen davon, daß ein benutztes Glas eine verräterische Spur gewesen wäre.) Ich
nahm drei, vier sehr kräftige Schlucke, hielt die Flasche wieder gegen das Licht und sah, daß in
ihr nur ein schäbiger Rest war. Ich trank auch ihn aus, verkorkte die Flasche wieder, schloß die
Anrichtentür ab und schlich an meinen Platz zurück. In mir wogte es, mein Magen, gereizt durch
die plötzliche starke Alkoholzufuhr, machte einige krampfhafte Bewegungen, vor meinen Augen lag
feuriger Nebel, und Stirn und Hände waren schweißnaß. Ich hatte gewaltig zu tun, bis zur Rückkehr
Magdas einigermaßen wieder meiner Herr zu werden. Dann saß ich mit einem Gefühl angenehmer
Hingegebenheit an meinen Rausch zu Tisch, und nur die Notwendigkeit, wenigstens pro forma etwas
zu essen, machte mir Schwierigkeiten. Mein Magen schien ein sehr zerbrechliches Ding, dabei
jederzeit bereit, sich zu empören; jeden einzelnen Bissen mußte ich ihm mit äußerster Vorsicht
zuführen und bedauerte dabei, durch diese aus äußeren Rücksichten gebotene Nahrungszufuhr den
still wirken wollenden Rausch zu stören.
Daran, daß es vielleicht gut wäre, ein paar Worte mit Magda zu wechseln, dachte ich überhaupt
nicht. Dafür beschäftigte mich ein anderes Problem, das mir plötzlich schwere Sorgen
bereitete.
Wohl stand die Rotweinflasche wieder verkorkt in der Anrichte, aber bei der Genauigkeit, mit der
Magda ihren Haushalt führte, mußte sie binnen kurzem ihre Leere merken. Unmöglich konnte ich das
zulassen, ich mußte rechtzeitig dagegen Vorkehrungen treffen. Aber wie unglaublich schwierig das
war! Die beste Lösung würde sein, gleich heute nachmittag eine andere Flasche Rotwein zu kaufen,
etwa die Hälfte fortzuschütten und sie an die Stelle der ausgetrunkenen zu stellen. Aber wann
sollte ich das tun, wie kam ich an das Büfett, da ich doch den Nachmittag über im Geschäft sein
mußte, und da Magda und ich den Abend stets gemeinsam verbrachten, sie mit einer Handarbeit, ich
mit meinen Zeitungen beschäftigt - wann? Und wo blieb ich mit der leeren Flasche?
Würde ich denn überhaupt einen Wein gleicher Marke zu kaufen bekommen? Erinnerte sich Magda der
Sorte, der Art des Etiketts?
Am besten würde es sein, etwa um Mitternacht heimlich aufzustehen, das Etikett der alten Flasche
vorsichtig abzulösen und auf die volle aufzukleben! Aber wenn mich Magda dabei überraschte!
Und hatten wir überhaupt Leim im Hause? Ich würde in meiner Aktentasche welchen aus dem Büro
einschmuggeln müssen! Je länger ich darüber nachdachte, um so komplizierter wurde die ganze
Angelegenheit, eigentlich war sie schon ganz unlösbar.
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