Schließlich habe ich kein Verbrechen begangen, sondern nur eine
Nachlässigkeit. Ich stieß wieder mit dem Fuß gegen den Stein: Ich werde Magda einfach
bitten, mir wieder im Geschäft zu helfen. Das versöhnt sie mit meinem Mißerfolg und bringt mir
und dem Betrieb nur Nutzen. Ich bin wirklich nicht sehr frisch und kann eine Hilfskraft gut
gebrauchen...! Aber diese hellen Augenblicke gingen schnell vorüber. Ich hatte stets soviel
auf die Achtung der Leute und vor allem auf die Magdas gegeben. Ich hatte stets peinlich darauf
gesehen, daß ich als der Chef respektiert wurde. Ich konnte es auch jetzt, gerade jetzt, nicht
übers Herz bringen, von dieser Würde ein Jota abzulassen und mich gerade vor Magda zu demütigen.
Nein, ich war entschlossen, die Sache selbst zu meistern, komme, was wolle. Ich mochte mir auch
nicht von einer Frau helfen lassen, mit der ich mich fast täglich zankte. Es war klar
vorauszusehen, daß sich diese Zänkereien bis ins Kontor fortsetzen würden - sie würde dort auf
ihrem Willen beharren, ich würde widersprechen, sie würde mir meine Mißerfolge vorwerfen - o
nein, unmöglich!
Wieder stampfte ich mit dem Fuß auf, aber diesmal in den Staub des Weges. Ich sah hoch. Ich hatte
keine Ahnung, wohin mich meine Füße getragen hatten, so sehr war ich in meine Sorgen versponnen
gewesen. Ich stand in einem Dorf, nicht übermäßig weit von meiner Vaterstadt entfernt, einem
Dorf, das wegen einiger reizender Birkenwäldchen und eines Sees ein beliebter
Frühlingsausflugsort meiner Mitbürger ist. Aber an diesem Wochentag-Vormittag gab es hier noch
keine Ausflügler, dafür ist man bei uns daheim zu fleißig. Ich stand gerade vor dem Gasthof, und
ich spürte, daß ich Durst hatte. Ich trat in die niedrige, weite, aber dunkle Schankstube ein.
Ich hatte sie immer nur erfüllt von vielen Städtern gesehen, die frühlingshaft hellen Kleider der
Frauen hatten den Raum heller gemacht und ihm trotz seiner Niedrigkeit etwas Beschwingtes
gegeben. Denn, wenn die Städter hier waren, hatten die Fenster offengestanden, auf den Tischen
lagen dann bunte Decken, und überall gab es in hohen Vasen helle Sträuße von Birken. Jetzt war
der Raum dunkel, auf den Tischen lag gelblich-bräunliches Wachstuch, es roch stickig, denn die
Fenster waren fest verschlossen. Hinter der Theke stand ein junges Mädchen, dessen Haare schlecht
zurechtgemacht und dessen Schürze schmutzig war, es flüsterte eifrig mit einem jungen Kerl, der
nach seiner kalkbespritzten weißen Kleidung ein Maurer zu sein schien. Mein erster Impuls war
der, umzukehren. Aber mein Durst und noch mehr das Gefühl, sofort wieder meinen Sorgen
ausgeliefert zu sein, ließen mich statt dessen an die Theke treten.
»Geben Sie mir was zu trinken, irgendwas, das den Durst löscht«, sagte ich.
Ohne aufzusehen ließ das Mädchen Bier in ein Glas laufen, ich sah zu, wie der Schaum über den
Rand troff. Das Mädchen schloß den Bierhahn, wartete einen Augenblick, bis der Schaum sich
gesetzt hatte, und ließ noch einen Schuß Bier nachlaufen.
Dann schob sie mir, wiederum ohne ein Wort, das Glas über den stumpfen Zink zu. Es machte sich
wieder an sein Flüstern mit dem Maurerburschen, bisher hatte es mich noch nicht mit einem Blick
angesehen.
Ich hob das Glas zum Munde und trank es bedächtig. Schluck für Schluck, ohne einmal abzusetzen,
leer. Es schmeckte frisch, prickelnd und leicht bitter, und indem es meinen Mund passierte,
schien es in ihm etwas von einer Helle und Leichtigkeit zu hinterlassen, die vorher nicht in ihm
gewesen war.
Geben Sie mir noch einmal von dem, wollte ich sagen, besann mich aber anders. Ich hatte
vor dem jungen Menschen ein helles, kurzes, gedrungenes Glas stehen sehen, das man bei uns eine
»Stange« nennt und in dem gewöhnlich Korn ausgeschenkt wird.
»Ich möchte auch solch eine Stange«, sagte ich plötzlich, Wie ich, der ich mein Lebtag keinen
Schnaps getrunken, der ich immer eine tiefe Abneigung gegen den Geruch von Schnaps gehabt habe,
dazu kam, weiß ich nicht zu sagen. In jenen Tagen änderten sich alle Gewohnheiten meines Lebens,
geheimnisvollen Einflüssen war ich ausgeliefert, und genommen war mir die Kraft, ihnen zu
widerstehen.
Zum ersten Male sah mich jetzt das Mädchen an. Langsam hob sie die etwas körnigen Lider und
blickte mich mit hellen, wissenden Augen an. »Mit Schnaps?« fragte es.
»Mit Schnaps«, sagte ich. Das Mädchen griff nach einer Flasche, und ich überlegte mir, ob mich je
in meinem Leben ein weibliches Wesen schon einmal so schamlos wissend angeschaut hätte. Dieser
Blick schien bis auf den Grund meines Mannestums dringen zu wollen, als möchte er erfahren, was
ich als Mann gelte; ich empfand ihn wie etwas Körperliches, etwas schmerzlich süß Beleidigendes,
als sei ich nackt ausgezogen worden vor diesen Augen.
Das Glas war gefüllt, es wurde zu mir über den Zink geschoben, die Lider hatten sich wieder
gesenkt, das Mädchen wandte sich an den Burschen; mein Urteil war gesprochen. Ich hob das Glas,
zögerte - und schüttete den Inhalt in einem plötzlichen Entschluß in die Mundhöhle.
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