»O du lieber Gott! Was will denn meine Frau im Geschäft, Else?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß doch nicht, Herr Sommer«, sagt sie, »die gnädige Frau hat mir nichts gesagt.« Sie besinnt sich, dann setzt sie hinzu: »Die haben gleich nach drei angerufen, und seitdem ist Ihre Frau fort...« Über vier Stunden ist Magda also schon im Geschäft - ich bin verloren. Wieso ich verloren bin, weiß ich nicht, aber daß ich's bin, das weiß ich. Ich werde schwach in den Knien, ich stolpere ein paar Schritte vorwärts und lasse mich schwer auf einen Küchenstuhl fallen. Den Kopf werfe ich auf den Küchentisch. »Es ist aus und vorbei, Else«, stöhne ich, »ich bin verloren. Ach, Else...« Ich höre, wie sie mit einem erschrockenen Laut das Plätteisen aufsetzt, dann kommt sie zu mir gegangen und legt die Hand auf meine Schulter. »Was ist denn, Herr Sommer?« fragt sie. »Ist Ihnen nicht gut?« Ich sehe sie nicht, ich hebe das Gesicht nicht aus dem Schutz meines Armes, ich schäme mich vor diesem jungen Ding meiner hervorquellenden Tränen. Es ist alles aus und vorbei, alles verloren, Firma, Ehe, Magda - ach, hätte ich nur heute mittag nicht auch noch den Rotwein ausgetrunken, davon ist erst alles so schlimm geworden, ohne das wäre Magda nie ins Geschäft gegangen (flüchtiger Nebengedanke: das mit der leeren Rotweinflasche muß ich auch noch in Ordnung bringen!). Else schüttelt mich leicht an der Schulter. »Herr Sommer«, sagte sie, »lassen Sie sich doch nicht so gehen! Legen Sie sich noch einen Augenblick hin und ich mache Ihnen unterdes sofort Abendessen.«
Ich schüttele den Kopf. »Ich wil kein Abendessen, Else! Meine Frau müßte jetzt hier sein, es ist doch Zeit...«
»Oder«, sagt Else überredend, »wollen Sie hier bei mir in der Küche ein bißchen essen, Herr Sommer?« Selbst etwas bedenklich: »Wo Ihre Frau doch fort ist...«
Dieser ganz unerhörte Vorschlag hat gerade durch seine Neuheit etwas Bestechendes. Hier in der Küche bei Else essen - was Magda wohl dazu sagen würde? Ich hebe den Kopf und sehe Else zum erstenmal richtig an. Ich habe sie noch nie so angesehen, für mich war sie immer nur ein dunkler Schatten meiner Frau in den hinteren Regionen des Hauses. Jetzt sehe ich, daß Else ein recht nettes dunkelhaariges Mädchen von etwa siebzehn Jahren mit etwas robuster Schönheit ist. Sie hat unter einer hellen Bluse eine volle Brust, und bei dem Gedanken, wie jung diese Brust ist, fühle ich eine Welle von Hitze über mich laufen.
Aber dann besinne ich mich. All dies ist unmöglich, schon mein Sich-vor-Else-Gehen-Lassen eben war ganz unmöglich.
»Nein, Else«, sage ich und stehe auf, »es ist sehr nett von dir, daß du mich ein wenig trösten willst, aber ich gehe jetzt besser auch ins Geschäft. Sollte ich meine Frau verfehlen, sage ihr bitte, ich sei auch ins Geschäft gegangen.« Ich wende mich zum Gehen. Plötzlich wird es mir schwer, aus der Küche und von diesem freundlichen Mädchen fortzugehen. Ich stehe dann noch einen Augenblick unter der Tür und sehe sie an. Es fällt mir auf, wie blaß ihr Gesicht ist und wie gut die dunklen, hochgeschwungenen Augenbrauen dazu passen.
»Ich habe viele Sorgen, Else«, sage ich unvermittelt, »und ich habe keinen, Else, der mir beisteht.« Ich wiederhole mit Nachdruck: »Keinen und keine, Else, du verstehst mich?! -«
»Ja, Herr Sommer«, antwortet sie leise.
»Ich danke dir, Else, daß du so nett zu mir warst«, sage ich noch und gehe. Erst als ich mich im Badezimmer zurechtmache, fällt mir ein, daß ich soeben Magda verraten habe. Verraten und betrogen. Betrogen und belogen. Aber gleich zucke ich die Achseln: Recht so! Immer tiefer hinab. Immer schneller hinein.
Nun gibt es doch kein Halten mehr!
Vorsichtig ging ich den Weg zu meinem Geschäft, vorsichtig, denn ich wollte es um jeden Preis vermeiden, Magda auf der Straße zu treffen. Dann stand ich auf der anderen Straßenseite im Schatten einer Einfahrt und sah zu den fünf Parterrefenstern meiner Firma hinüber. Zwei, mein Chefbüro, waren erleuchtet, und manchmal sah ich auf den Milchglasscheiben die Schattenrisse zweier Gestalten: Magdas und die meines Buchhalters Hinzpeter. Sie machen Bilanz! sagte ich mir mit einem tiefen Erschrecken, und doch war diesem Erschrecken ein Gefühl der Erleichterung beigemischt, weil ich nun die Führung des Geschäftes in den tatkräftigen Händen Magdas wußte. Das sah ihr so recht ähnlich, sofort nach Erfahren der schlimmen Nachrichten sich volle Klarheit zu verschaffen, die Bilanz zu ziehen! Mit einem tiefen Seufzer wandte ich mich ab und ging durch die Stadt hindurch, aus ihr hinaus, aber nicht meinem Heim zu.