Sie ist, so scheint es, aus Familien zusammengesetzt, aber schon von Anfang an stehn die Familie und die Horde im Widerstreit, sie entwickeln sich in umgekehrtem Verhältniß.«
Wie schon Obiges zeigt, wissen wir über die Familien- und sonstigen geselligen Gruppen der menschenähnlichen Affen so gut wie nichts bestimmtes; die Nachrichten widersprechen einander direkt. Das ist auch nicht zu verwundern. Wie widerspruchsvoll, wie sehr der kritischen Prüfung und Sichtung bedürftig sind schon die Nachrichten, die wir über wilde Menschenstämme besitzen; Affengesellschaften aber sind noch weit schwerer zu beobachten als menschliche. Bis auf Weiteres also müssen wir jede Schlußfolgerung aus solchen absolut unzuverlässigen Berichten zurückweisen.
Dagegen bietet uns der angeführte Satz von Espinas einen besseren Anhaltspunkt. Horde und Familie sind bei den höheren Thieren nicht gegenseitige Ergänzungen, sondern Gegensätze. Espinas führt sehr hübsch aus, wie die Eifersucht der Männchen zur Brunstzeit jede gesellige Horde lockert oder zeitweilig auflöst. »Wo die Familie enggeschlossen ist, bilden sich Horden nur in seltnen Ausnahmen. Dagegen da, wo freier Geschlechtsverkehr oder Polygamie herrscht, entsteht die Horde fast von selbst ... Damit eine Horde entstehn kann, müssen die Familienbande gelockert und das Individuum wieder frei geworden sein. Daher finden wir bei den Vögeln so selten organisirte Horden ... Bei den Säugethieren dagegen finden wir einigermaßen organisirte Gesellschaften, grade weil hier das Individuum nicht in der Familie aufgeht ... Das Gemeingefühl der Horde kann also bei seinem Entstehn keinen größeren Feind haben als das Gemeingefühl der Familie. Stehen wir nicht an es auszusprechen: wenn sich eine höhere Gesellschaftsform als die Familie entwickelt hat, so kann es nur dadurch geschehn sein, daß sie Familien in sich aufnahm, die eine gründliche Veränderung erlitten hatten; was nicht ausschließt, daß diese Familien grade dadurch später die Möglichkeit fanden, sich unter unendlich günstigeren Umständen neu zu konstituiren.« (Espinas, l. c., citirt bei Giraud-Teulon, Origines du mariage et de la famille, 1884, p. 518-20.)
Hier zeigt sich, daß die Thiergesellschaften allerdings einen gewissen Werth haben für den Rückschluß auf die menschlichen – aber nur einen negativen. Das höhere Wirbelthier kennt, soviel wir wissen, nur zwei Familienformen: Vielweiberei oder Einzelpaarung; in beiden ist nur ein erwachsenes Männchen, nur ein Gatte zulässig. Die Eifersucht des Männchens, zugleich Band und Schranke der Familie, bringt die Thierfamilie in Gegensatz zur Horde; die Horde, die höhere Geselligkeitsform, wird hier unmöglich gemacht, dort gelockert oder während der Brunstzeit aufgelöst, im besten Fall in ihrer Fortentwicklung gehemmt durch die Eifersucht der Männchen. Dies allein genügt zum Beweis, daß Thierfamilie und menschliche Urgesellschaft unverträgliche Dinge sind; daß die sich aus der Thierheit emporarbeitenden Urmenschen entweder gar keine Familie kannten, oder höchstens eine, die bei den Thieren nicht vorkommt. Ein so waffenloses Thier wie der werdende Mensch, mochte sich in geringer Zahl auch in der Isolirung durchschlagen, deren höchste Geselligkeitsform die Einzelpaarung ist, wie Westermarck sie nach Jägerberichten dem Gorilla und Schimpanse zuschreibt. Zur Entwicklung aus der Thierheit hinaus, zur Vollziehung des größten Fortschritts, den die Natur aufweist, gehörte ein weiteres Element: die Ersetzung der dem Einzelnen mangelnden Vertheidigungsfähigkeit durch die vereinte Kraft und Zusammenwirkung der Horde. Aus Verhältnissen, wie denen, worin die menschenähnlichen Affen heute leben, wäre der Uebergang zur Menschheit rein unerklärlich; diese Affen machen vielmehr den Eindruck abgeirrter Seitenlinien, die dem allmäligen Aussterben entgegengehn, und jedenfalls im Niedergang begriffen sind. Das allein genügt, um jeden Parallelschluß von ihren Familienformen auf die des Urmenschen abzuweisen. Gegenseitige Duldung der erwachsenen Männchen, Freiheit von Eifersucht, war aber die erste Bedingung für die Bildung solcher größeren und dauernden Gruppen, in deren Mitte die Menschwerdung des Thiers allein sich vollziehen konnte. Und in der That, was finden wir als die älteste, ursprünglichste Form der Familie, die wir in der Geschichte unleugbar nachweisen und noch heute hier und da studiren können? Die Gruppenehe, die Form, worin ganze Gruppen von Männern und ganze Gruppen von Frauen einander gegenseitig besitzen und die nur wenig Raum läßt für Eifersucht. Und ferner finden wir auf späterer Entwicklungsstufe die Ausnahmsform der Vielmännerei, die erst recht allen Gefühlen der Eifersucht ins Gesicht schlägt und daher den Thieren unbekannt ist. Da aber die uns bekannten Formen der Gruppenehe von so eigenthümlich verwickelten Bedingungen begleitet sind, daß sie mit Nothwendigkeit auf frühere, einfachere Formen des geschlechtlichen Umgangs zurückweisen, und damit in letzter Instanz auf eine, dem Uebergang aus der Thierheit in die Menschheit entsprechende Periode des regellosen Verkehrs, so führen uns die Hinweise auf die Thierehen grade wieder auf den Punkt, von dem sie uns ein für allemal hinwegführen sollten.
Was heißt denn das: regelloser Geschlechtsverkehr? Daß die jetzt oder zu einer früheren Zeit geltenden Verbotsschranken nicht gegolten haben. Die Schranke der Eifersucht haben wir bereits fallen sehn. Wenn etwas, so steht dies fest, daß die Eifersucht eine relativ spät entwickelte Empfindung ist. Dasselbe gilt von der Vorstellung der Blutschande. Nicht nur waren Bruder und Schwester ursprünglich Mann und Frau, auch der Geschlechtsverkehr zwischen Eltern und Kindern ist noch heute bei vielen Völkern gestattet. Bancroft ( the Native Races of the Pacific Coast of North America, 1875, vol.
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