Je mehr mit der Entwicklung der ökonomischen Lebensbedingungen, also mit der Untergrabung des alten Kommunismus und mit der wachsenden Dichtigkeit der Bevölkerung die altherkömmlichen Geschlechtsverhältnisse ihren wald-ursprünglich-naiven Charakter einbüßten, um so mehr mußten sie den Frauen erniedrigend und drückend erscheinen; um so dringender mußten sie das Recht auf Keuschheit, auf zeitweilige oder dauernde Ehe mit nur einem Mann, als eine Erlösung herbeiwünschen. Von den Männern konnte dieser Fortschritt ohnehin schon deshalb nicht ausgehn, weil es ihnen überhaupt nie, auch bis heute nicht, eingefallen ist, auf die Annehmlichkeiten der thatsächlichen Gruppenehe zu verzichten. Erst nachdem durch die Frauen der Uebergang zur Paarungsehe gemacht, konnten die Männer die strikte Monogamie einführen – freilich nur für die Frauen.
Die Paarungsfamilie entsprang an der Grenze zwischen Wildheit und Barbarei, meist schon auf der Oberstufe der Wildheit, hier und da erst auf der Unterstufe der Barbarei. Sie ist die charakteristische Familienform für die Barbarei, wie die Gruppenehe für die Wildheit und die Monogamie für die Civilisation. Um sie zur festen Monogamie weiter zu entwickeln, bedurfte es andrer Ursachen, als derjenigen, die wir bisher wirkend fanden. Die Gruppe war in der Paarung bereits auf ihre letzte Einheit, ihr zweiatomiges Molekül, herabgebracht: auf einen Mann und eine Frau. Die Naturzüchtung hatte in der immer weiter geführten Ausschließung von der Ehegemeinschaft ihr Werk vollbracht; in dieser Richtung blieb nichts mehr für sie zu thun. Kamen also nicht neue, gesellschaftliche Triebkräfte in Wirksamkeit, so war kein Grund vorhanden, warum aus der Paarung eine neue Familienform hervorgehn sollte. Aber diese Triebkräfte traten in Wirksamkeit.
Wir verlassen jetzt Amerika, den klassischen Boden der Paarungsfamilie. Kein Anzeichen läßt schließen, daß dort eine höhere Familienform sich entwickelt, daß dort vor der Entdeckung und Eroberung jemals irgendwo feste Monogamie bestanden habe. Anders in der alten Welt.
Hier hatte die Zähmung der Hausthiere und die Züchtung von Heerden eine bisher ungeahnte Quelle des Reichthums entwickelt und ganz neue gesellschaftliche Verhältnisse geschaffen. Bis auf die Unterstufe der Barbarei hatte der ständige Reichthum bestanden fast nur in dem Haus, der Kleidung, rohem Schmuck und den Werkzeugen zur Erringung und Bereitung der Nahrung: Boot, Waffen, Hausrath einfachster Art. Die Nahrung mußte Tag um Tag neu errungen werden. Jetzt, mit den Heerden der Pferde, Kamele, Esel, Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine hatten die vordringenden Hirtenvölker – die Arier im indischen Fünfstromland und Gangesgebiet wie in den damals noch weit wasserreicheren Steppen am Oxus und Jaxartes, die Semiten am Euphrat und Tigris – einen Besitz erworben, der nur der Aufsicht und rohesten Pflege bedurfte, um sich in stets vermehrter Zahl fortzupflanzen und die reichlichste Nahrung an Milch und Fleisch zu liefern. Alle früheren Mittel der Nahrungsbeschaffung traten nun in den Hintergrund; die Jagd, früher eine Nothwendigkeit, wurde nun ein Luxus.
Wem gehörte aber dieser neue Reichthum? Unzweifelhaft ursprünglich der Gens. Aber schon früh muß sich Privateigenthum an den Heerden entwickelt haben. Es ist schwer zu sagen, ob dem Verfasser des s. g. ersten Buchs Mosis der Vater Abraham erschien als Besitzer seiner Heerden kraft eignen Rechts als Vorstand einer Familiengemeinschaft, oder kraft seiner Eigenschaft als tatsächlich erblicher Vorsteher einer Gens. Sicher ist nur, daß wir ihn uns nicht als Eigenthümer im modernen Sinn vorstellen dürfen. Und sicher ist ferner, daß wir an der Schwelle der beglaubigten Geschichte die Heerden schon überall in Sondereigenthum von Familienvorständen finden, ganz wie die Kunsterzeugnisse der Barbarei, Metallgeräth, Luxusartikel und endlich das Menschenvieh – die Sklaven.
Denn jetzt war auch die Sklaverei erfunden. Dem Barbaren der Unterstufe war der Sklave werthlos. Daher auch die amerikanischen Indianer mit den besiegten Feinden ganz anders verfuhren als auf höherer Stufe geschah. Die Männer wurden getödtet oder aber in den Stamm der Sieger als Brüder aufgenommen; die Weiber wurden geheirathet oder sonst mit ihren überlebenden Kindern ebenfalls adoptirt. Die menschliche Arbeitskraft liefert auf dieser Stufe noch keinen beachtenswerthen Ueberschuß über ihre Unterhaltskosten. Mit der Einführung der Viehzucht, der Metallbearbeitung, der Weberei und endlich des Feldbaus wurde das anders. Wie die früher so leicht zu erlangenden Gattinnen jetzt einen Tauschwerth bekommen hatten und gekauft wurden, so geschah es mit den Arbeitskräften, besonders seitdem die Heerden endgültig in Familienbesitz übergegangen waren. Die Familie vermehrte sich nicht ebenso rasch wie das Vieh. Mehr Leute wurden erfordert, es zu beaufsichtigen; dazu ließ sich der kriegsgefangne Feind benutzen, der sich außerdem ebensogut fortzüchten ließ wie das Vieh selbst.
Solche Reichthümer, sobald sie einmal in den Privatbesitz von Familien übergegangen und dort rasch vermehrt, gaben der auf Paarungsehe und mutterrechtliche Gens gegründeten Gesellschaft einen mächtigen Stoß. Die Paarungsehe hatte ein neues Element in die Familie eingeführt.
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