Cuchillo steckte das Gold ein und erhob die Hand zum Schwure.
»Ich schwöre beim Kreuze des Erlösers, daß ich nichts als nur die reine Wahrheit sagen werde! Zehn Tagreisen in nordwestlicher Richtung hinter Tubac kommt man am Fuße einer Bergkette an, welche nicht schwer zu erkennen ist, denn ein dicker Nebel umschleiert ihre Kuppen Tag und Nacht. An dieser Hügelreihe läuft ein kleines Flüßchen hin, in welches sich ein anderes ergießt. Da wo sich an diesem Zusammenflusse eine Erdkrunze bildet, erhebt sich ein steiler Hügel, auf dessen Spitze sich das Häuptlingsgrab befindet. Am Fuße des Hügels liegt ein See und daneben ein enges Thal. Dieses ist das Goldthal, in welches das Wasser ungeheure Schätze gespült hat.«
»Diese Reiseroute ist leicht zu verstehen.«
»Desto schwerer aber ist es, ihr zu folgen. Dürre Wüsten, durch die man kommt, sind nur das kleinste Hinderniß. Indianerhorden durchstreifen diese Steppen an jedem Augenblicke; das Grab des Häuptlings bildet für sie den Gegenstand eines abergläubischen Kultus und das beständige Ziel ihrer Wanderungen. Bei einer dieser Pilgerfahrten haben sie mich und Arellanos überrascht.«
»Und dieser Arellanos, hat er nur Euch das Geheimniß entdeckt?«
»Ja.«
»Hatte er keine Verwandten? Vielleicht ein Weib?«
»Ich erfuhr gestern während der Reise, daß die Frau des Arellanos soeben gestorben sei.«
»Ein Kind?«
»Einen Sohn hatte er.«
»Einen Sohn? Dieser kennt das Geheimniß ganz sicher.«
»Ich glaube nicht, er war nicht daheim, als Arellanos von der Reise kam. Und übrigens ist es nur der Adoptivsohn, der weder seinen Vater noch seine Mutter kennt.«
»Jedenfalls der Abkömmling eines armen Teufels aus dieser Provinz!«
»Ganz und gar nicht; er stammt aus Europa und ist höchst wahrscheinlich in Spanien geboren.«
»Ah!«
Don Estevan horchte unwillkürlich auf.
»So hat wenigstens der Kommandant einer englischen Kriegsbrigg, die im Jahre 1811 nach Guaymas kam, gesagt. Dieses Kind, welches zugleich spanisch und französisch sprach, war nach einen blutigen Treffen mit einem französischen Kutter mit gefangen genommen worden. Ein Matrose, welcher ohne Zweifel sein Vater war, und den das Kind stets beweinte, war entweder getödtet worden oder entkommen. Der Kommandant wußte nicht, was er mit dem Knaben anfangen solle, da nahm ihn Arellanos zu sich und machte einen Mann daraus; denn so jung er noch ist, so besitzt er doch den Ruf eines Rastreador (Spurenfinder), der nie fehlgeht, und eines Pferdebändigers, dem selbst die wildeste Bestie gehorchen muß.«
»Wie ist sein Name?«
»Tiburcio Arellanos.«
»Habt Ihr ihn gesehen?«
»Nein, aber desto mehr von ihm gehört.«
»Und meint Ihr nicht, daß dieser Rastreador, der nie fehlgeht, dieser kühne Pferdebändiger, uns gefährlich sein kann, wenn er um das Geheimniß seines Adoptivvaters weiß?«
»Was vermag ein Einzelner gegen Achtzig?«
»Richtig! Im Uebrigen sind wir mit unserm Geschäft im Reinen und dürfen alles Weitere der Zukunft überlassen. Ich hatte beschlossen, nach drei Tagen nach Tubac zu gehen, werde mich aber unter den veränderten Verhältnissen für den morgenden Tag bestimmen. Ihr werdet Euch meinem Gefolge beigesellen und bis dahin Platz hier im Haufe finden. Besorgt also Eure Ausrüstung bis morgen früh, sonst ist es zu spät!«
Am andern Morgen hatte sich die ganze Einwohnerschaft von Arispe versammelt, um der Abreise des Don Estevan de Arechiza beizuwohnen. Die Gesellschaft bestand außer ihm nur aus sechs Personen, und dennoch hatte man eine Kavalkade von über dreißig Pferden für nothwendig gehalten, die weit Entfernung zwischen Arispe und Tubac mit möglichster Schnelligkeit zurückzulegen.
Diese Pferde gehören einer Race an, welche gewohnt ist, auf ungeheuren Weideplätzen frei umherzujagen und sind, wenn sie zwanzig Wegsstunden ohne Reiter zurückgelegt haben, noch ebenso munter, als wenn sie gerade aus dem Stalle kämen. Wenn große Strecken zurückgelegt werden sollen, so sattelt man sie abwechslungsweise, und reist dabei ebenso schnell wie in Europa mit der Post, wo auf jeder Station frische Pferde genommen werden.
Die Reise ging zunächst nach dem drei Tagereisen entfernten Dorfe Huerfano. Dort hatte sich ein trübes Ereigniß abgespielt zwischen zwei Personen, die in dem Gespräche zwischen Don Estevan und Cuchillo erwähnt worden waren.
Unter dem Dache einer kleinen aber sauber gehaltenen Hütte lag eine alte Frau im Bette, deren Gesichtszüge jenen Ausdruck anzunehmen schienen, welchen man den hippokratischen nennt. Vor ihr kniete ein bildschöner Jüngling in der Ledertracht der Gambusinos, über dessen rechte Wange ein seiner Strich lief, der von einer Schnittwunde herzurühren schien, die kaum eine Spur zurückgelassen hatte. Die Frau hatte die Hände auf seine reichen Locken gelegt und sprach mit leiser, angestrengter Stimme:
»Das ist das Geheimniß, welches mir der Vater anvertraut hat, ehe er seine letzte Reise antrat. Ich habe es Dir mitgetheilt, weil er nicht wieder zurückgekehrt ist und das Gold Dir bei Deiner Armuth viel nützen kann.«
»Und Du kennst den Namen des Mannes nicht, mit welchem er sich in Tubac verbunden hat?«
»Nein.«
»Ich habe nach ihm geforscht, doch nichts erfahren können, als daß er ein wenig hinkt und ein Pferd geritten hat, welches oft stolpert.«
»Aber Du wirst ihn finden, Tiburcio! Du bist der beste Fährtensucher weit und breit, und wann Du ihn haben willst, so kann er Dir nicht entgehen. Weißt Du, was in der Schrift gesagt ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut? Tiburcio, ich gehe in ein anderes Leben, aber ich kann nicht eher scheiden, als bis ich weiß, daß den Mörder die Strafe ereilen werde. Lege Deine Hand in die meine und schwöre mir, daß Du nicht ruhen und nicht rasten wirst, als bis Du ihn gefunden und getroffen hast!«
»Ich schwöre es!«
»Ich danke Dir, denn ich weiß, daß Du diesen Schwur halten wirst!«
Sie legte sich, vom Sprechen ermüdet, zurück und schloß die Augen. Er betrachtete sie mit liebevollem Blicke, in seinem Auge standen große Thränentropfen, als er sich auf ihre hagere Hand niederbeugte, um sie zu küssen.
»Mutter!«
»Was willst Du noch, mein Tiburcio?«
»Ich will Dir danken für all die große und viele Liebe, die ich bei Euch gefunden habe.«
Ein glückliches Lächeln glitt über ihr Gesicht.
»Du hast sie uns reichlich belohnt. Wollte Gott, ich könnte Dir Deine rechte Mutter nennen!«
»Habt Ihr mir Alles gesagt, was Ihr von mir wißt?«
»Alles.«
Er schwieg.
Trotz der Nähe des Todes, welcher seinen Stempel auf die erstarrenden Züge der Sterbenden drückte, gingen Erinnerungen durch die Seele des Jünglings, die ihn weit in die Ferne wiesen. Sie waren sein einziges Besitzthum, welches er mit in die Hütte des Gambusino gebracht hatte, und von ihm mit aller Sorgfalt gepflegt und festgehalten worden. Ein wunderschönes Frauenangesicht, hold und freundlich wie dasjenige eines Engels, hatte sich über ihn geneigt; dann sah er sich auf dem Arme eines wilden Mannes und hörte einen Schuß krachen; auch die Spitze eines Messers meinte er zu fühlen, welches ihm über die Wange ging. Dann hatte er viel, viel Wasser gesehen und war lange, lange Zeit auf einem Schiffe gewesen. Ein fürchterlich großer Mann hatte ihn auf dasselbe gebracht, aber dieser Mann war so lieb und gut gewesen und sie hatten sich Vater und Sohn genannt. Noch heut sah er die Augen dieses Mannes aus einem treuen Gesichte in Liebe und Milde herniederblicken, dann war er einmal mit bluttriefenden Händen und wildem Blicke zu ihm gekommen und hatte gerufen: »Bete, mein Sohn, der Tod ist da!« Ein fürchterliches Geschrei schnitt ihm noch heut in die Ohren, und nun verließ ihn die Erinnerung, bis er sich in der Hütte seines Pflegvaters Marcos Arellanos wiederfand.
»Tiburcio!«
Er erhob den niedergesenkten Kopf in die Höhe und sah, daß der letzte Kampf begonnen hatte.
»Meine Mutter!«
Er drückte seine Lippen auf ihre von Schweiß bedeckte Stirn und ergriff ihre kalten Hände, als müsse er sie zurückhalten von dem großen Schritte, den sie jetzt thun sollte.
»Gott segne Dich jetzt und immerdar.
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