Er soll ein Riese sein, der eine Büffelkuh mit den Fäusten niederwirft, und dem kein Mensch gewachsen ist, so weit die Savanne reicht. Er hat noch niemals einen Fehlschuß gethan; die rothen Leute nennen ihn den ›großen Adler‹ und seinen Begleiter den ›zündenden Blitz;‹ an jedem Lagerfeuer drüben über dem Rio Grande del Norte erzählt man sich von ihren Heldenthaten, und wenn sein Schuß im Walde fällt, so kennt jedes Ohr den untrüglichen Klang seiner Büchse, der Indianer zittert, der ehrliche Weiße aber, der ein gutes Gewissen hat, freut sich, unter seinen gewaltigen Schutz zu kommen.«

»Kennt Ihr einige von seinen Thaten?« frug das Mädchen.

»Viele. Ich habe ihn noch nicht gesehen, desto mehr aber von ihm gehört.«

»So erzählt uns von ihm, Tiburcio, wenn wir unser Mahl gehalten haben!«

»Gern, Donna Rosarita!«

Er überzeugte sich noch einmal von der Festigkeit der Lasso’s, mit denen die Gefangenen gefesselt waren, und sah dann zu, wie die Tochter des Haziendero die verschiedenen Eßwaaren, welche der letztere seiner weiten Satteltasche entnahm, zu einem leckern und in der Wildniß ungewöhnlichen Mahle zusammensetzte. Wie er so dastand, auf die Büchse gelehnt, in der vollen Jugendkraft und männlichen Schönheit, bekleidet mit der malerischen Tracht des Pferdebändigers, war es gar nicht zu verwundern, daß der Blick des Mädchens öfters und länger auf ihm ruhte, als sie selbst beabsichtigte.

Auch er konnte das Auge kaum von dem lieblichen Wesen lassen, welches hier in der Nähe von zwei so furchtbaren Männern, aber unter seinem und dem Schutze ihres Vaters, mit einer Anmuth waltete, als befinde es sich in der Umgebung der gewohnten, sichern Häuslichkeit. Er war auf der Hazienda del Venado nicht unbekannt, sondern öfters schon dort gewesen, da Don Augustin eine selbst in diesen Gegenden seltene Gastfreundlichkeit übte. Er wußte, daß sie der »Stern von Sonora« genannt wurde, fühlte sich glücklich, ihr einen nicht ganz gewöhnlichen Dienst geleistet zu haben, und sah mit einem bisher noch nicht gekannten Entzücken, daß ihre schönen, strahlenden Augen so oft zu ihm herüberblickten.

»Kommt, Tiburcio, und nehmt an unserem Mahle theil!« forderte ihn der Haziendero auf. »Ohne Euch hätten wir es sicher nicht halten können.«

»Wie kommt es, Sennor Augustin, daß Ihr nicht um der Donna willen eine solche Gefahr vermieden habt?«

»Ich mußte hinüber nach der Hazienda del Emenda, und da Rosarita dort eine Freundin hat, ließ sie nicht nach, bis ich ihr erlaubte, mitzugehen. Ich konnte den Ueberfall nicht vermuthen, denn wir haben diesen Weg schon sehr oft gemacht und find dabei in keinerlei Fährlichkeit gekommen.«

»Dann erlaubt mir, Euch für ähnliche Fälle einen guten Rath zu geben!«

»Welchen?«

»Als der Schuß vorhin fiel, bliebt Ihr mitten auf der Lichtung und am Feuer halten und botet mit Euren hell erleuchteten Gestalten jeder feindlichen Büchse ein sicheres und bequemes Ziel. Ihr hättet Euch sofort mit einem raschen Sprunge hinter die Sträucher werfen sollen.«

»Ihr habt Recht, Tiburcio. Ein Haziendero ist zu wenig Savannero, um in solchen Augenblicken gleich das Richtige zu treffen.«

Als das Essen beendet war, steckten sich die Männer die unvermeidlichen Cigaritto’s an, und der junge Rastreador begann, von den Thaten des »großen Adlers« und des »zündenden Blitzes« zu erzählen. Rosarita lauschte mit Aufmerksamkeit seiner wohltönenden Stimme und konnte, als er geendet hatte, nicht umhin auszurufen:

»Wäre ich kein Mädchen, ich möchte nichts anderes werden, als so ein Jäger, dessen Namen an jedem Lagerfeuer erklingt. Von Euch wird man wohl auch erzählen, Tiburcio!«

Er sah ihr mit aufleuchtendem Blicke in die Augen.

»Ich hoffe es. Die Büchse des Mestizen wird mir einen Namen machen!«

»Ist sie wirklich so ausgezeichnet?«

»Paßt auf!«

Er nahm das Gewehr, welches geladen war, zog einen dünnen Schierlingstannenzweig aus der Flamme und wandte sich an einen der Vaquero’s.

»Geht zweihundert Schritte fort und steckt den Zweig in die Erde; ich werde mit meiner Kugel ihn gerade unter der brennenden Stelle entzweischießen!«

»Das ist unmöglich!« meinte der Haziendero.

»Tiburcio antwortete nicht, aber wenige Augenblicke später krachte der Schuß, und der Zweig wurde an der bezeichneten Stelle auseinandergerissen.«

»So! Das bringt man nicht mit jeder Büchse fertig. Jetzt aber legt Euch schlafen; ich werde die erste Wache übernehmen.«

»Und ich die zweite, jeder eine Stunde lang,« fiel Don Augustin ein.

Tiburcio bereitete dem Mädchen ein weiches und bequemes Lager von frischen Sassafraszweigen und durchforschte, als die Ruhenden sich in ihre Decken gewickelt hatten, die Umgebung, ob dieselbe ihnen Sicherheit biete. Dann kehrte er zum Feuer zurück, wo er sich neben den Gefangenen niederließ.

Diese lagen noch immer vollständig bewegungslos am Boden, aber ihre zuweilen sich öffnenden Augen bewiesen, daß auch sie munter seien. Es waren eigentümliche Empfindungen, welche durch seine junge Seele flutheten; er hätte für die Ruhe und Sicherheit Rosarita’s mit tausend Feinden kämpfen können und unterließ es, nach der abgelaufenen Stunde, ihren Vater zu wecken. Keiner der Schläfer erwachte während der Nacht, und erst als der Morgen angebrochen war, schlug der Haziendero die Augen auf. Als er die Helle des Tages bemerkte, sprang er auf.

»Warum habt Ihr mich nicht geweckt?«

»Ich glaubte Euch nicht gefährdet.«

Auch Rosarita und die Vaquero’s, welche erwachten, machten ihm freundliche Vorwürfe. Dann wurde das Morgenmahl eingenommen und man rüstete sich zum Aufbruche.

»Was thun wir mit den Teufeln?« frug Don Augustin.

»Das mag Eurer Bestimmung überlassen bleiben.«

»Sie hätten den Tod verdient.«

»Sicher, nicht blos Euretwegen, sondern schon hundert Male wegen früherer Sünden.«

Auch die Vaquero’s sprachen diese Ansicht aus, doch sprach Rosarita bittend dagegen, so daß die Männer, welche wohl auch nicht im Ernste daran dachten, ein so strenges Urtheil zu vollziehen, sich entschlossen, die Gefangenen freizulassen.

»Um uns dabei nicht in neue Gefahr zu begeben, lassen wir ihnen nichts von ihren Waffen,« schlug der Haziendero vor.

»Verzeiht, Sennor,« wandte Tiburcio ein, »das hieße hier in der Savanne sie dennoch zum Tode verurtheilen.«

»Wie so?«

»Sie bedürfen ihrer Waffen zu ihrem Unterhalte. Laßt mich dafür sorgen, daß wir jede Gefahr vermeiden. Ihr könnt die Hazienda del Venago bis zum Abend erreichen und befindet Euch sodann in vollständiger Sicherheit. Ich werde hier zurückbleiben und ihnen die Freiheit zu einer solchen Zeit geben, daß sie Euch nicht erreichen können.«

»Nein, das gebe ich nicht zu,« warf Rosarita ein, »denn auf diese Weise nehmt Ihr die Gefahr ja nur auf Euch.«

Diese Aengstlichkeit für ihn that Tiburcio unendlich wohl; seine Wangen rötheten sich freudig, als er antwortete:

»Habt keine Sorge um mich, Donna Rosarita! Ich werde die Sache so einrichten, daß mir nichts geschehen kann.«

»Wollt Ihr das uns ganz sicher versprechen?«

»Ganz sicher!«

»So sollt Ihr Euren Willen haben, doch nur unter der Bedingung, daß Ihr uns so bald wie möglich auf der Hazienda del Venado aufsucht, damit wir Gelegenheit haben, Euch unsern Dank noch besser abzustatten, als es hier möglich ist!«

Auch der Haziendero sprach diesen Wunsch aus.

»Ich werde kommen,« versicherte der Rastreador, indem er seiner schönen Freundin in den Sattel half.

»Und zwar bald?« frug Don Augustin.

»Bald!«

Die kleine Kavalkade setzte sich in Bewegung und war bald den Augen des nachblickenden Tiburcio entschwunden.

Dieser wandte sich jetzt den Gefangenen zu. Sie hatten seit gestern kaum eine leise Bewegung gemacht, nicht das Geringste genossen und außer dem Ausrufe »Hund« kein einziges Wort hören lassen. Aber in ihren Mienen sprach sich ein Grimm aus, dessen Folgen sicher fürchterlich werden mußten, wenn sie Gelegenheit bekamen, ihre Rache zu befriedigen.

»Wollt Ihr trinken?« frug er.

Keiner antwortete.

»Oder einige Bissen Fleisch nehmend?«

Die Frage hatte ganz denselben Mißerfolg.

»Gut, wie Ihr wollt! Ich beabsichtigte, Eure Banden zu lockern und Euch etwas mehr Freiheit zu gestatten; das wird jetzt unterbleiben.«

Er hatte schon am vorigen Abende sein Pferd herbeigeholt und in der Nähe angepflockt; jetzt ließ er es frei, daß es sich hinreichend Futter suchen sollte. Er selbst streckte sich nieder, um in Bequemlichkeit das soeben erlebte Abenteuer in allen seinen Einzelheiten noch einmal an sich vorübergehen zu lassen. Der Vormittag verging in anhaltendem Schweigen, und erst als die Sonne den Zenith erreicht hatte, erhob er sich und pfiff seinem Pferde. Als er es aufgesattelt hatte, wandte er sich an die Gefangenen.

»Ich weiß, was mir von Euch droht, darum werde ich ein wenig vorsichtig mit Euch verfahren. Die Büchse ist von jetzt an mein Eigenthum; das ist die einzige Strafe, die Euch treffen soll, allein ich lasse Euch an ihrer Stelle die meinige zurück. Was Euch gehörte, lege ich dort unter jenen Summachstrauch; es wird Euch nicht schwer werden, hin zu gelangen und mit Hülfe der Messer die Riemen zu lösen.«

Nachdem er das Gesagte ausgeführt hatte, stieg er auf und verließ den Ort, welcher ohne sein Dazwischenkommen für die vier Leute aus der Hazienda del Venado so verhängnißvoll hätte werden können. Kein einziger Laut, kein Blick war ihm von den beiden Räubern noch geworden; aber er wußte, daß er sich in ihnen zwei ebenso furchtbare wie unversöhnliche Feinde erworben hatte.

Von hier bis zur Hazienda del Venado war es noch nicht eine kleine Tagereise.