Der Weg führte durch jungfräuliche Wälder, deren Baumriesen so weit auseinander standen, daß man unter ihrem Blätterdache wie unter der Kuppel und zwischen den Säulen eines riesigen Domes dahinreiten konnte. Der Wald trat bis in die Nähe der Hazienda heran, hinter welcher die zu ihr gehörigen kultivirten Strecken lagen. Unabsehbare Maisfelder und ungeheure Olivenpflanzungen dehnten sich weithin, und es war bekannt, daß Don Augustin Pena einer der reichsten Grundbesitzer des Landes sei.

Die Hazienda selbst war wie alle derartigen Gebäude, welche nahe an dem Gebiete der Indianer liegen, und folglich den Einfällen der umherschweifenden Horden ausgesetzt sind, halb Landhaus und halb Citadelle. Aus Backsteinen und behauenen Quadern erbaut, von einer mit Schießscharten versehenen Terrasse umgeben und mit festen, massiven Thoren versehen, konnte sie recht gut die Belagerung von Feinden aushalten, welche in der Strategie nicht mehr bewandert sind, als die benachbarten Stämme der Apachen. An einer ihrer Ecken erhob sich ein Thurm, auch aus behauenen Steinen erbaut und drei Stockwerke hoch. Er konnte für den Fall, daß das Hauptgebäude vom Feinde genommen wurde, noch einen fast uneinnehmbaren Zufluchtsort bieten. Endlich umgaben starke Pallisaden, aus Pfählen und Stämmen von Palmbäumen bestehend, das ganze Gebäude und die Wohnungen der zur Hazienda gehörigen Diener und Vaqueros und der untergeordneten Gäste, die hier eine vorübergehende Gastfreundschaft in Anspruch nehmen wollten. Außerhalb dieses Umkreises bildeten ungefähr dreißig Hütten eine Art kleinen Dorfes, welches von Tagelöhnern und ihren von der Hazienda vollständig abhängigen Familien bewohnt wurde. Diese Leute konnten in Tagen der Gefahr in der kleinen Festung Schutz finden und die gewöhnliche Besatzung derselben verstärken.

Zu der Hazienda gehörte ein in geringer Entfernung von ihr liegendes und sehr reichhaltiges Goldbergwerk, zahllose Heerden von großem und kleinem Rindvieh, von Stieren, Pferden und Mauleseln, welche auf großen Savannen oder in den tiefen Wäldern frei umherliefen. Eine so bedeutende Territorialausdehnung ist in jenen Ländern nichts Seltenes, wo es Privatbesitzungen gibt, welche einem deutschen Fürstenthume gleichen.

Die Hazienda del Venado war ein oft besuchter Ort, da sie an der Straße lag, welche Arispe und Tubac verband. Allerdings darf man sich bei dem Worte Straße hier nicht eine deutsche Chaussee denken, sondern der Weg ist nur ein gedachter, da es jedem Reisenden freisteht, die ihm beliebige Richtung einzuschlagen.

Eine Tagereise vor Venado lag la Poza, ein Ort, welcher seinen Namen von einer dort befindlichen Cisterne hatte, die, eine Seltenheit in jenen heißen Gegenden, Jahr aus Jahr ein mit Wasser versehen war. Hier machten die Reisenden, obgleich keine bewohnbare Hütte in der Nähe lag, gewöhnlich Nachtlager, da sie und ihre Thiere das erquickende Naß fanden, ohne welches sie verschmachtet wären.

Einige Abende nach den oben erzählten Ereignissen brannte auf der la Poza ein helles Feuer und beleuchtete sechs Personen, welche um dasselbe lagerten. Ein Siebenter, in dem wir Don Estevan de Arechiza erkennen, saß etwas abseits auf dem heruntergenommenen Sattel eines Pferdes und blies die künstlichen Ringe in die Luft, welche er aus dem Rauche seiner Cigarritta zu bilden verstand.

Die Männer sprachen natürlich von dem Reichthume, welchem sie entgegengingen, und die Unterhaltung war eine so lebhafte, daß sie die Bewegung nicht bemerkten, welche sich einer in der unmittelbaren Nähe des Feuers haltentenden Kavalkade von ungefähr dreißig Pferden bemächtigt hatte.

»Benito,« befahl da Don Estevan. »Sieh doch einmal nach, was die Thiere haben.«

Der Gerufene, ein Diener Arechiza’s, erhob sich halb und warf einen forschenden Blick auf die Pferde.

»Virgen santa! Seht Ihr die gesträubten Mähnen und die ängstlich leuchtenden Augen? Es muß irgend ein gefährliches Viehzeug in der Nähe sein!«

Und als sollten sich seine Worte sofort bestätigen, erscholl jetzt seitwärts von den Lagernden ein tiefes, grunsendes Brummen, welches schnell in eine höhere Tonlage überging und zu einem entsetzlichen Brüllen wurde.

»Der Jaguar!«

Dieses Wort brachte eine plötzliche Aufregung unter die Leute. Arechiza zwar blieb ruhig auf dem Sattel sitzen und rauchte gleichmüthig weiter, als habe er den Schrei einer Hauskatze vernommen, die Andern aber rückten unwillkürlich zusammen und horchten lautlos nach der Seite hinüber, von welcher her das Brüllen erschollen war.

»Pah,« unterbrach endlich Einer die Stille, »wer braucht sich da zu fürchten! Der Jaguar greift keinen Menschen an, außer wenn er verwundet wird. Nicht einmal an ein Pferd wagt er sich, sondern packt nur höchstens ein Füllen an, welches sich mit den Hufen nicht zu wehren versteht.«

Der Sprecher wollte mehr sich selbst als den Andern Muth einflößen.

»Kennst Du den Jaguar, Baraja?« frug der Diener, welchen Arechiza vorhin Benito genannt hatte.

»Ich habe allerdings noch keinen gesehen.«

»So mußt Du schweigen! Ich sage Dir, der Jaguar springt auf das kräftigste Pferd, reitet es müde und reißt ihm dann die Gurgel aus. Ich habe ihn öfters gesehen und, so lange ich Vaquero war, die besten meiner Pferde durch ihn eingebüßt.«

Das Brüllen ließ sich wieder vernehmen und zwar lauter und näher.

»Nehmt Eure Waffen zur Hand!« gebot Don Estevan.

»Das ist unnütz, Sennor,« entgegnete Benito. »Laßt uns lieber das Feuer vergrößern; das ist das beste Mittel, ihn fern zu halten. Und seht nach den Pferden, ob sie fest angebunden sind, sonst reißen sie sich los und gehen durch.«

Er warf einige Aeste in die Flamme, während Baraja die Pferde sorgfältiger befestigte. Die Thiere kannten die Größe der Gefahr und zitterten am ganzen Körper. –

»So, jetzt ist es beinahe so hell wie am Tage, und die Bestie wird es nicht wagen, diesen Lichtkreis zu überschreiten. Indessen, wenn sie vom Durst geplagt wird, so muß ich sagen – –«

»Was denn?« fiel Baraja ängstlich ein.

»Dann scheut er weder Feuer noch Flamme. Das Gescheidteste ist, ihm dann aus dem Wege zu gehen. Diese Thiere sind immer mehr vom Durste als vom Hunger geplagt.«

»Und wenn sie getrunken haben?«

»Hm, dann bekommen sie gewöhnlich Appetit zum Essen. Das ist ja auch ganz natürlich, wie mir scheint.«

»Allerdings. Aber was frißt er dann?«

»Hm, was er bekommt, Pferde, anderes Fleisch, vielleicht auch Menschen, wenn – – –«

»Wenn –?« frug der furchtsame Baraja.

»Wenn er schon Menschenfleisch gekostet hat; dann muß ich Euch sagen, daß diese Thiere eine sehr feine Zunge haben und den Menschen jeder andern Mahlzeit vorziehen, wenn sie einmal gesehen haben, wie er schmeckt.«

»Das ist nicht sehr beruhigend!« versicherte Cuchillo.

»Warum nicht?« frug Benito, welcher sich vorgenommen zu haben schien, seine Kameraden so viel wie möglich zu ängstigen.

»Nun, wen wird er sich da wohl unter uns herausholen?«

»Weiß nicht! Wir sind sieben Personen; an einer hat er wohl genug, und die andern sechs sind dann gerettet, es sei denn, daß – – –«

»Daß – –« drängte Baraja; »so sagt doch in drei Teufels Namen Alles!«

»Ich wollte sagen, es sei denn, daß er sein Weibchen bei sich habe, in welchem Falle – – doch, warum soll ich Euch quälen!«

»Heraus damit!« gebot Cuchillo. »Man muß doch wenigstens wissen, woran man ist.«

»In welchem Falle er sich verpflichtet fühlen würde, gegen seine Ehefrau so galant zu sein, daß er sich einen Zweiten von uns für sie holen müßte.«

»Santa Maria, so wollte ich daß dieser Tiger noch ein Junggeselle wäre!«

Ein dumpfes Gebrumme ließ sich vernehmen, und da – ja wirklich, da antwortete auf der andern Seite ein zweites Brüllen.

»Er ist verheirathet!« rief Cuchillo. »Es werden nur Fünf von uns übrig bleiben!«

»Unter denen ich mich ganz sicher befinden werde,« meinte Benito. »Ich bin alt, und der Tiger ist kein Freund von magerem und sehnigem Fleische. Aber, horcht!«

Weit vor ihnen erscholl ein kurzer, vollkräftiger Laut, den Benito ebenso gut kannte wie die Stimme des Jaguars.

»Was war das?«

»Ein Löwe, ein Puma!«

»Alle Wetter, da ist ja die ganze Hölle gegen uns losgelassen!« raisonirte Baraja.