Pepe hatte in der Dämmerung ganz draußen am Horizonte ein Segel bemerkt, welches zu kreuzen und also die Nacht abzuwarten schien, um unbemerkt an der Küste anlegen zu können.

Da erklangen Schritte, und sofort schlossen sich seine Augen, sein Kopf neigte sich auf die Brust herab, und seinem halbgeöffneten Mund entquollen jene wundervollen Töne, welche der musikalische Laie mit dem häßlichen Worte Schnarchen bezeichnet. Der Nahende war ein Kamerad.

»Pepe!« rief er, als er den Schläfer erkannte.

Der Angeredete antwortete mit einem kurzen Grunsen.

»Pepe, wach’ auf, altes Murmelthier!«

»Wo – wie – wa – was?« frug jetzt der Miquelete, indem es schien, als erwache er aus dem tiefsten Schlafe.

»Per dios, der Kerl schläft sogar im Stehen, grad wie ein steifbeiniges Maulthier, welches sich nicht mehr legen kann! Reib Dir die Augen aus und mach Dich von hinnen; der Hauptmann will sofort mit Dir sprechen!«

»Der Hauptmann?« klang es mitten aus einem entsetzlichen Gähnen heraus.

»Ja, der Hauptmann Don Lukas Despierto.«

»So, der Hauptmann! wie herrlich wäre es, wenn der Mensch schlafen könnte, ohne so oft aufwachen zu müssen! Geh, ich werde sehen ob ich kommen kann!«

»Kommen kann? Du mußt kommen, sage ich Dir, der Dienst ruft, verstehst Du wohl? und dieser geht über den Schlaf!«

»Gut, daß Du mich daran erinnerst. Ich werde also kommen.«

Er trat in die Hütte, um seine Mütze zu holen, während der Kamerad sich schnell entfernte. Als er sich wieder allein wußte, reckte sich seine schläfrig zusammengesunkene Gestalt empor und seine verschleierten Augen bekamen jenen Glanz, den man nur bei heißblütigen und resoluten Charakteren bemerkt.

»Er hat wirklich geglaubt, ich schlafe im Stehen, Santa Laureta, sind diese Menschen leichtgläubig! Was kommt dem Hauptmann an, daß er mich rufen läßt? Hat sein Beutel schon wieder Ebbe, und soll ihm etwa mit dem Segel da draußen die Fluth kommen? Ich werde das bald erfahren!«

Er begab sich nach der Wohnung seines Vorgesetzten. Diesem ging offenbar Etwas im Kopfe herum, denn er war so in Gedanken versunken, daß er den Eintritt Pepe’s gar nicht bemerkte.

Dieser lehnte sich an die Wand und schloß die Augen, hatte aber recht wohl ein zusammengefaltetes Papier bemerkt, welches am Boden lag und jedenfalls schon in irgend einer Tasche herumgetragen worden war. Ein unter den gesenkten Lidern hervor auf den Hauptmann, welcher ihm den Rücken zukehrte, gerichteter Blick belehrte ihn, daß er es wagen könne. Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er das Papier aufgehoben, und unter den Mantel verborgen, dann fiel er wieder in seine scheinbare Fühllosigkeit zurück. Er sagte sich im Stillen, daß es doch schade sei, ein Papier liegen zu lassen, welches seinen Werth haben müsse, da man es bisher aufbewahrt hatte.

Da drehte sich der Hauptmann um und bemerkte ihn.

»Holla, Pepe, schläfst Du?«

Der Miquelete stieß einen tiefen Seufzer aus und schlug die Augen auf.

»Hier bin ich, Herr Hauptmann,« antwortete er, ehrerbietig salutirend. »Ich glaube, Sie haben mich rufen lassen?«

»Du glaubst es? Wahrhaftig, der Mensch ist im vollen Schlafe herbeigelaufen und weiß nicht genau, ob er gewacht oder geträumt hat!«

»Ich komme auch im Traume, Herr Hauptmann, ein Beweis von Gehorsam, wie ihn kein Anderer zu führen vermag.«

»Richtig!« lachte der Despierto. »Doch, was ich Dir sagen wollte! Es sind schlechte Zeiten, nicht wahr, Pepe?«

»Es ist mir, als hätte ich davon sprechen hören.«

»Es ist Dir so? Ja, das Elend der jetzigen Zeiten hat über Dich nur halbe Macht: Du schläfst beständig.«

Pepe unterdrückte ein Gähnen.

»Wenn ich schlafe, habe ich keinen Hunger. Und dann träumt es mir auch zuweilen, daß die Regierung mir meinen Sold bezahlt.«

»Dann bist Du glücklicher Weise nur einen kurzen Theil des Tages ihr Gläubiger. Aber weißt Du auch, daß der immerwährende Schlaf eigentlich schlecht für die Obliegenheiten eines Miquelete paßt?«

»Ah? Wie so?«

»Ein Küstenwächter muß vor allen Dingen wachsam sein. Man spricht täglich immer mehr von Deiner Apathie, und es kann gar leicht so weit kommen, daß Du als ein unnützer Diener aus dem Amte gejagt wirst. Es wäre recht traurig, wenn Du ganz ohne Dienst wärst!«

»Ganz fürchterlich, Herr Hauptmann!« stimmte Pepe mit außerordentlicher Gutmüthigkeit bei. »Ich sterbe bei meinem Dienste schon vor Hunger; wie soll es dann werden, wenn ich gar keinen mehr habe!«

»Das wäre noch schrecklicher als der dienstliche Hungertod. Aber ich will Dich vor einem solchen Elend bewahren und Dir heut einen Beweis meines Vertrauens geben, der Dir Deinen Ruf wieder herstellen wird.«

»Thun Sie das, Herr Hauptmann,« meinte Pepe, indem er Papier hervorzog und sich gemächlich eine Cigarette drehte. »Ein solches Vertrauen ist beinahe ebenso erquickend, wie ein kleiner Schlummer!«

»Du wirst für heute Nacht einen Posten beziehen, den ich nur dem zuverlässigsten meiner Leute anvertrauen kann. Du bist bisher noch niemals hinkommandirt worden, und ich hoffe sehr, daß Du Deine Pflicht mit vollem Eifer erfüllst!«

»Santa Lauretta! Als ob sich das nicht ganz von selbst versteht! Wo ist es?«

»In der Ensenadabucht.«

»Schön! Was soll ich dort thun?«

»Vor allen Dingen auf Deinem Posten nicht schlafen!«

»Ich werde das sehr versuchen, obgleich ich schon seit drei Stunden kein Auge zugethan habe, Herr Hauptmann! Und dann?«

Don Despierto gab ihm seine Verhaltungsbefehle in so verworrener Weise, daß selbst der beste Scharfsinn sich aus ihnen nichts zu entnehmen vermocht hätte, und fragte trotzdem am Schlusse:

»Du hast doch Alles genau verstanden, Pepe?«

»Ganz genau!« versicherte der Miquelete, hatte aber alle Mühe, die schweren Augenlider offen zu erhalten.

»Und vor allen Dingen nimm die Laterne mit, damit ich Dich in der Dunkelheit finde, wenn ich inspiziren komme. Jetzt kannst Du gehen!«

Pepe rührte sich trotz dieses Befehles nicht von der Stelle; die Lider waren ihm doch noch zugefallen. Der Hauptmann schüttelte ihn am Arme.

»Hast Du es gehört? Du kannst gehen!«

Der Miquelete raffte sich zusammen.

»Schön, Herr Hauptmann!«

Er schob sich schleppenden Schrittes zur Thür hinaus, Don Despierto rieb sich mit zufriedener Miene die Hände.

»Dieser Kerl ist nicht mit Gold auszuwiegen. Hätte ich ihn eigens für meine Bedürfnisse geschaffen, so hätte es mir nicht besser gelingen können. Er wird schlafen und schnarchen wie ein Rhinozeros, und ich werde einige Hände voll Dublonen einstecken dürfen!«

Auch Pepe hielt ein Selbstgespräch, als er die Wohnung des Hauptmanns verlassen hatte.

»Santa Lauretta, die Sache ist ganz so, wie ich sie mir gedacht hatte! Er hat in der Ensenadabucht zu thun, jedenfalls irgend eine geldbringende Heimlichkeit, und da ein Anderer wachen und ihn stören würde, so giebt er mir den Posten. Gut, mein bester Don Lukas Despierto, ich werde schlafen, aber blos so lang als es mir gefällig ist. Und einen Blick in den Brief werde ich wohl auch werfen, he; vielleicht, daß er mir einigen Aufschluß giebt! Es ist nichts so vorteilhaft, als zu schlafen, wenn man von Amtswegen zu wachen hat!«

Mit schnellem, elastischem Schritte kehrte er in seine Hütte zurück, wo er die Lampe anbrannte und das Papier hervorzog. Er hatte Lesen gelernt, was keiner seiner Kameraden von sich rühmen konnte, hielt aber diese Fertigkeit vollständig geheim. Der Brief entsprach seiner Erwartung vollständig.

»Richtig! Das Schiff ist die Brigg ›Esmeralda,‹ deren Kapitän sich nicht nennt. Er will die Erlaubniß, mit einigen seiner Leute um zehn Uhr in der Ensenada mit einem Boote landen zu dürfen, mit vierzig Goldstücken bezahlen und bittet um ein Licht, welches ihm als Zeichen dienen soll. Darum also befahl der Hauptmann, daß ich die Laterne mitnehmen solle! Der Brief ist ihm jedenfalls durch einen Matrosen der ›Esmeralda‹ zugestellt worden und konnte in keine bessern Hände kommen, als in diejenigen des ›Schläfers.‹ Herr Kapitän, die Regierung zahlt mir keinen Sold; Sie werden Ihren Beutel dem Könige zur Verfügung stellen müssen!«

Die kleine Bucht, welche den Namen Ensenada führte und soeben der Wachsamkeit Pepe’s anvertraut worden war, lag so mysteriös zwischen den Felsen, daß sie eigens dazu geschaffen schien, jenen Schleichhandel zu begünstigen, wie er, mit dem Dolche im Gürtel und der sicher treffenden Büchse in der Faust, an der Küste Spaniens betrieben wird. Infolge der isolirten Stellung war jener Posten nicht ohne Gefahr. Die Dünste des Meeres hingen in der nebeligen Novembernacht wie eine dichte Decke in der Atmosphäre, benahmen einem gewöhnlichen Auge jede Möglichkeit, Etwas zu sehen, und dämpften den Laut der Stimme, welche Veranlassung hatte, um Hülse zu rufen.

Pepe lud seinen Karabiner, steckte das Messer in den Gürtel, brannte seine Blendlaterne an und trat hinaus in die Finsterniß, um sich auf seinen Posten zu begeben.