Wer den schläfrigen, stets müden Miquelete jetzt gesehen hätte, würde ihn wohl kaum wieder gekannt haben, so fest und sicher waren seine sonst so schwerfälligen Schritte, so elastisch und gewandt seine Bewegungen und so aufrecht und stramm hielt er seine gewöhnlich schlaff zusammengeknickte Gestalt.
Es konnte neun Uhr vorüber sein. Die Nacht war still, finster und kalt. Nicht das geringste Geräusch ließ sich vom Dorfe her vernehmen, und nur das dumpfe Branden des Ozeans, der rast-und ruhelos unten gegen die Felsendämme anbrauste, störte das Schweigen der Natur. Kein Stern ließ sich am Himmel sehen; das einzige Licht, welches es gab, kam aus der Laterne des Miquelete, welcher jetzt in der Bucht angelangt war und sich durch vorsichtiges Umherleuchten überzeugte, daß er ganz allein sei.
Er stellte die Laterne so, daß ihr Strahl hinaus auf die See und auf den nach dem Dorfe führenden Hohlweg fiel und legte sich einige Schritte davon, in seinen Mantel gehüllt, auf den Boden nieder, so daß er sowohl den Weg als auch die Bucht beherrschen konnte.
»Herr Hauptmann,« murmelte er vergnügt, »Sie vertrauen wahrhaftig den Leuten, welche immer schlafen, ein wenig zu viel. Ihnen scheint sehr daran zu liegen, daß ich ein Schläfchen mache. Gut, überzeugen Sie ich, daß ich gehorsam bin!«
Wohl eine halbe Stunde lang blieb Pepe allein, hing seinen Gedanken nach und beobachtete die Bucht und den Hohlweg mit größter Genauigkeit. Er hatte ein Auge wie selten Einer und wußte, daß ihm nichts entgehen werde. Nach Verlauf dieser Zeit hörte er den Sand des Fußweges leise knirschen, und es erschien in dem von der Laterne ausgehenden Lichtkegel eine dunkle Gestalt, in welcher er Don Despierto erkannte. Sofort schloß er die Augen, öffnete den Mund und ließ jene Töne vernehmen, welche die Folge einer unbequemen Lage während des Schlafes sind.
Der Hauptmann näherte sich und bog sich zu ihm hernieder.
»Pepe!« rief er halblaut.
Dem Miquelete fiel es gar nicht ein, zu antworten.
»Pepe!« rief der Hauptmann zum zweiten Male, und zwar etwas lauter.
Der Angerufene schnarchte ruhig weiter. Don Lukas war zufriedengestellt, und bald verlor sich das Geräusch seiner Schritte in der Ferne.
»Fort!« meinte jetzt Pepe, indem er sich emporrichtete. »Ich muß mich sehr ungeschickt benehmen, wenn es mir nicht gelingt, da Etwas zu fischen, wo auch der Hauptmann sein Netz ausgeworfen hat!«
Er kroch vorsichtig dem Rande der steilen Böschung zu, unterhalb deren der schmale Strand lag, und legte sich hier hinter dichten Grasbüscheln auf die Lauer. Statt seine Augen vergeblich anzustrengen, schloß er dieselben und konzentrirte die ganze Kraft und Schärfe seiner Sinne in dem Gehöre.
Da drang ein schwaches Geräusch über die Oberfläche des Wassers bis zu ihm, und einige Augenblicke später unterschied er deutlich das leise Rauschen umwundener Ruder und das geschwächte Knarren der Dullen, an denen sich die Ruderstangen rieben. Ein schwarzer Punkt rang sich durch den Nebel, wurde von Sekunde zu Sekunde größer und enthüllte sich schließlich als ein Boot, dem eine weiße Schaumfurche folgte. Es hielt nach dem Ufer der Bucht und landete.
»Sennor Despierto!« rief eine gedämpfte Stimme.
»Hier!«
Die Gestalt des Hauptmannes richtete sich ganz in der Nähe des Fahrzeuges vom Boden auf, wo sie bis jetzt nicht zu erkennen gewesen war.
»Ist Alles sicher?«
»Ja.«
»Sind Ihr allein hier?«
»Droben bei der Laterne liegt einer meiner Karabiniere; doch er schläft wie ein Todter. Ich muß, wenn ich mich nicht verrathen will, die Ensenada besetzen und habe dies mit einem Manne gethan, der an unheilbarer Schlafsucht leidet.«
»Gut, hier habt Ihr die vierzig Goldstücke! Nun aber sorgt Ihr dafür, daß ich ungestört bleibe. Ihr zieht Euch in das Dorf zurück, gebt mir aber vorher ein Zeichen, daß der Mann auch wirklich schläft.«
»Ganz wie Ihr wollt, Sennor Kapitano. Ich werde den Ruf der Möve nachahmen, wenn er noch fest schläft!«
Pepe vernahm noch das Klingen des Goldes und zog sich dann schleunigst nach der Stelle zurück, an welcher er vorher gelegen hatte. Es verging auch keine Minute, so stand der Hauptmann wieder vor ihm.
»Pepe!«
Er schnarchte, rührte sich aber nicht. Don Lukas berührte seinen Arm.
»Pepe, steh auf!«
Der Miquelete ließ sich nicht zur geringsten Bewegung verführen, und sein Vorgesetzter entfernte sich. Als der verabredete Ruf erscholl, lag der Küstenwächter bereits wieder an der Böschung und beobachtete den Kahn. Es befanden sich nur drei Männer in demselben, von denen noch Keiner ausgestiegen war. Ihre Kleidung glich nicht derjenigen, welche Schleichhändler gewöhnlich zu tragen pflegen.
»O,« flüsterte Pepe erstaunt, »nicht ein einziger Waarenballen ist im Boote! Sollten es etwa keine Schmuggler sein? Was hätten sie dann aber vor?«
»Steigt aus; wir sind jetzt sicher!« ließ sich jetzt einer von den Dreien mit einer Stimme vernehmen, welcher man es anhörte, daß sie zu befehlen gewohnt sei. »Ihr geht hier am Wasser entlang und steigt in der Spalte empor, welche zum Balkon führt. Ich muß wissen, ob man noch wach ist!«
Die beiden Männer verließen das Boot und entfernten sich. Pepe sah dabei, daß ihr Anzug dem der Korsaren glich; er hielt die Mitte zwischen der Uniform der königlichen Seeleute und dem Sans-Façon der Handelsmarine. Ihre Gesichtszüge vermochte er unter den baskischen Mützen, welche sie trugen, nicht zu unterscheiden. Der im Boote zurückgebliebene Mann hatte sich dicht in den Mantel gewickelt und hielt die Augen auf die hohe See gerichtet, so daß er die Gestalt Pepe’s nicht bemerkte, welcher sich jetzt langsam aufrichtete und mit dem Auge die Entfernung maß, die ihn von dem flachen Ufer trennte. Da machte der Fremde eine Bewegung, um sich nach der Landseite hinzuwenden, und in demselben Augenblicke sprang der gewandte Miquelete mit einem tigerartigen Satze zu ihm hinab. Ehe der Ueberraschte nur einen Laut auszustoßen vermochte, setzte er ihm die Mündung des Karabiners auf die Brust.
»Kein Laut und keine Bewegung, Sennor, sonst sind Sie ein Kind des Todes!«
»Wer bist Du?« frug der Ueberfallene, mit funkelndem Auge die drohende Stellung seines Feindes messend.
»Wer ich bin? Wer denn anders als Pepe, der da droben liegt und wie ein Todter schläft. Die Möve ist kein Vogel, auf den man sich verlassen kann!«
»So hat mich Don Lukas Despierto betrogen? Wehe ihm!«
»Er Euch betrogen? Fällt ihm gar nicht ein! Ich handle hier nur nach meinem eigenen Ermessen.
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