Es erhält andere Kleider und wird auf der Höhe von Bayonne in einem Kahne ausgesetzt!«
Unterdessen lag der Miquelete bei seiner Laterne und dachte an die vielen Unzen, die er für den so leicht erworbenen Ring lösen werde. Er war ein braver, ehrlicher Charakter, aber auch ein Mensch, der Nahrung zu sich nehmen mußte, wenn er nicht verhungern wollte. Da ihn der Staat aber ruhig hungern ließ, so fühlte er sein Gewissen nicht sehr beschwert durch das Bewußtsein, daß er sich das Nöthige auf heimlichem Wege zu erwerben suchen. Je prachtvoller aber der Ring an seinem Finger funkelte, desto nachdenklicher wurde der Blick, welcher auf dem Steine ruhte. Das Durchschlüpfenlassen einiger Waarenballen dünkte ihm keine Todsünde zu sein, aber – das Boot hatte kein Schmuggelgut enthalten, und die Strickleiter deutete auf ein Unternehmen hin, welches schwerer auf die Seele fallen konnte, als eine kleine, unbedeutende Schmuggelei.
»Santa Lauretta, wenn ich hier etwa gar die Hand zu einem todeswürdigen Verbrechen geboten hätte! Pepe, da droben im Himmel gibt es Einen, der Alles sieht, was Du thust! Was soll er von Dir denken, wenn – – hm, sie sind nach dem Schlosse gegangen; was wollen sie dort?«
Er drehte sich hin und her, betrachtete den Ring, der ihm Brod bringen sollte, schaute dann nachdenklich in den dichten Nebel hinein und zu den Wolken empor und konnte endlich seine Unruhe nicht länger bemeistern.
»Ich gehe! Ich muß sehen, was sie vorhaben!«
Er erhob sich, ließ die Laterne stehen, schwang sich die Böschung hinab und schlich sich unhörbaren Schrittes der Felsenrinne zu. Da war es ihm, als vernehme er sich nahende Schritte und das unterdrückte Schluchzen einer Kinderstimme. Schnell warf er sich zur Erde.
Drei Männer kamen. Der Vordere von ihnen trug einen kleinen Knaben auf dem Arme und suchte ihn durch leise Drohungen zum Schweigen zu bewegen; die andern Beiden trugen umfangreiche Päcke auf dem Rücken. Hier war ein Verbrechen ausgeführt worden, vielleicht gar ein Kindesraub, und schon wollte sich der Miquelete aufrichten, um den Männern Halt zu gebieten, als der Voranschreitende von ihnen stehen blieb und sich zurückwandte.
»Legt Eure Sachen ab und schleicht Euch hinauf zu dem Lichte. Der Küstenwächter, welcher dort oben liegt, hat uns gesehen und kann später zum Verräther werden, Ihr wißt, was da zu thun ist!«
Juan und Jose legten ihren Raub zur Erde und schickten sich an, den Befehlen Gehorsam zu leisten, da aber stand Pepe schon mit angeschlagenem Karabiner vor ihnen.
»Halt, Sennores! Keinen Schritt weiter, sonst drücke ich los!«
»Drauf!« gebot der Kapitän.
Der Schuß krachte und Jose stürzte, durch den Kopf getroffen, zur Erde. Der Miquelete riß das Messer heraus und sprang auf den Kapitän ein; dieser machte eine schnelle Wendung, der Stoß ging daneben und die Klingenspitze strich die Wange des Knaben. Dieser stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, der den guten Pepe so aus der Fassung brachte, daß er die nächsten Augenblicke unbenutzt vorüberließ. Dann aber sprang er desto eilfertiger hinter den beiden Flüchtigen her, kam jedoch zu spät, denn als er die Stelle erreichte, wo das Boot gelegen hatte, befand es sich schon einige Ruderschläge weit im Wasser und verschwand nach wenigen Sekunden in der dichten Nebelhülle, die mit bleierner Schwere auf den Wogen lag.
»Santa Lauretta, da gehen sie hin, die Spitzbuben! Hätte ich einen Kahn oder so etwas Aehnliches, so sollten sie mir wohl nicht entkommen, nun aber muß ich sie gehen lassen! Mein lieber Don Lukas Despierto, das kann eine ganz verteufelte Suppe werden, welche wir ausessen müssen. Ich werde gleich nach dem Kerl sehen, auf den ich geschossen habe, vielleicht finde ich bei ihm Aufschluß über das, was sie vorgehabt haben!«
Er holte seine Laterne und schritt am Gestade hin. Jose war todt; die beiden Pakete lagen neben ihm.
»Ich darf sie nicht öffnen; sondern muß warten, bis die Ablösung oder der Hauptmann auf Inspektion kommt!«
Er schüttelte nachdenklich mit dem Kopfe, lud seinen Karabiner wieder und begab sich auf seinen Posten zurück. Er hatte noch nicht lange dort verweilt, so knirschte der Sand.
»Pepe!«
Der Angeredete schlief dieses Mal nicht.
»Herr Hauptmann!«
»Du hast geschossen?«
»Ja.«
»Teufel! Ich hoffte schon, Du wärst im Schlafe an das Gewehr gekommen, so daß es sich entladen hätte. Auf wen hast Du gezielt?«
»Kommt und seht es!«
Er nahm die Laterne und führte den erschrockenen Don Lukas zu dem Todten.
»Wer ist der Mensch?«
»Weiß nicht, Herr Hauptmann!«
»Warum schossest Du auf ihn?«
Pepe deutete statt der Antwort auf die Pakete.
»Ah, ein Schmuggler!«
»Es waren ihrer drei!«
»Drei?« frug der Hauptmann besorgt. »Wo sind die Andern?«
»Fort mit dem Kahne.«
»Mit dem Kahne?« Don Lukas stampfte mit dem Fuße; es war nicht zu erkennen, ob aus Aerger, daß sie entkommen waren, oder aus Wuth, daß Pepe sich in die delikate Angelegenheit gemischt hatte. »Woher kam der Kahn?«
»Hm! Als ich erwachte, war er da; ich stieg herab und fand ihn leer. Dann ging ich am Wasser hin und begegnete ihnen. Der Eine trug ein Kind, die Andern hatten diese Sachen. Sie wollten zu mir, um mich kalt zu machen; da rief ich sie an und da sie nicht standen, so gab ich Feuer. Das Uebrige wissen Sie, Herr Hauptmann.«
»Per dios, das ist eine ganz eigentümliche Geschichte! Ich werde einmal nachsehen, was in den Tüchern steckt!«
Er öffnete die Knoten und fuhr nach einer kurzen Musterung erschrocken zurück.
»Heilige Madonna, sie sind auf dem Schlosse eingebrochen! Wer ist das Kind gewesen? Doch nicht etwa der kleine Don Fabian?«
Er ging rathlos mit großen Schritten auf und ab und blieb dann plötzlich dicht vor dem Miquelete stehen.
»Pepe, als Du erwachtest, war das Boot da, sagtest Du vorhin?«
»Ja.«
»So hast Du also geschlafen?«
»Hm!« räusperte sich der Karabiniere.
»Gut! Weißt Du, was ich Dir heut Abend sagte?«
»Daß ich vom Dienst gejagt werden kann, wenn ich schlafe.«
»Ja, und daß ich Dir einen Beweis meines Vertrauens geben wollte, indem ich Dich in die Ensenada schickte. Dennoch hast Du geschlafen! Das wird Dir, wenn droben bei der Gräfin ein Unglück geschehen ist, den Kopf mit sammt dem Halse kosten!«
Pepe zeigte nicht die mindeste Spur von Schreck oder Besorgniß; er gähnte.
»Nun?«
»Um meinen Kopf ist mirs nicht angst, Herr Hauptmann.«
»Wie so?«
»Ich hatte ein Recht auf den Schlaf.«
»Welches Recht?«
»Ich sah das Boot allerdings landen; der Kapitän von der Brigg ›Esmeralda‹ saß am Steuer.«
»Ah! woher wußtest Du das?«
»Aus einem Briefe, den Jemand verloren hatte. Dieser Jemand kam in die Ensenada und erhielt vierzig Unzen, für die er nichts weiter gab als einen Mövenschrei. Hatte ich nicht ein Recht zum Schlafe, Sennor Lukas Despierto?«
»Diabolos! Hast Du den Brief noch?«
»Ja.«
»Wo?«
»In meiner Wohnung.«
»Ich muß ihn sehen!«
»Schön, Herr Hauptmann! Aber darf ich ihn vielleicht vorher dem Alkalden Don Ramon Cohecho zeigen?«
Der Hauptmann dämpfte seine vorher so zornige Stimme zum leisen, vertraulichen Flüstern.
»Pepe, Du weißt, daß ich immer große Stücke auf Dich gehalten habe!«
Der Miquelete gähnte.
»Und ebenso gut weißt Du, daß ich Dein Vorgesetzter bin, dem Du nichts vorenthalten darfst. Wenn also auf dem Schlosse ein Unglück geschehen sein sollte, so –«
»So kostet es mich den Kopf mit sammt dem Halse!«
»Eigentlich ja; aber ich werde Dir meine ganze Protektion zuwenden und Alles für Dich thun, was in meinen Kräften steht!«
»Sie sollen ihn erhalten!«
»Aber vor dem Alkalden!«
Pepe mußte ungeheuer schläfrig sein; er gähnte wieder und zwar mit solchem Nachdrucke, daß es dem Hauptmann angst zu werden schien.
»Nun?«
»Herr Hauptmann, ich habe zwei Vorgesetzte, Sie und den Alkalden. Ich glaube, der Brief gehört dem letzteren; doch muß ich bis zur Morgenablösung in der Ensenada bleiben, und wenn bis dahin das Schreiben aus meiner Hütte verschwindet, so kann ich nicht weiter davon sprechen.«
»Gut, mein lieber Pepe. Wo liegt es? Du hast es doch wohl verwahrt?«
»Ich glaube, es muß sich in der Tasche meines Pantalons befinden.«
»Das ist allerdings kein geeigneter Platz für einen so wichtigen Gegenstand! Du hast es gelesen?«
»Ja.«
»Du kannst also lesen?« klang die höchst verwunderte Frage.
»Ein wenig, Herr Hauptmann.«
»Wo hast Du es gelernt?«
Der Küstenwächter war zum Umsinken müde; er gähnte mit einer Ausdauer, als habe er Monate lang ununterbrochen zu wachen gehabt, und dazwischen heraus klang es aus dem weitgeöffneten Munde:
»Im – Schla – fe, – Herr – Haupt – mann!«
»Im Schlafe?« frug der so eigentümlich Berichtete mit nur mühsam unterdrücktem Aerger.
»Ja. Es hat mir geträumt, ich war im Kloster und mußte studiren, weil ich Prior und dann Großinquisitor werden sollte.«
»So schlafe fort, Pepe, vielleicht wirft Du es wirklich! Jetzt aber muß ich gehen und die kriminale Anzeige machen, damit der Thatbestand aufgenommen und der Untersuchung zu Grunde gelegt werde.
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