Das Entsetzen raubte den Umstehenden für längere Zeit die Sprache. Der Alkalde fand sie zuerst wieder.
»Don Juan de Dios, habt Ihr Feder und Papier?«
»Dort auf dem Schreibpulte liegt, was Ihr sucht.«
»Sennor Eskribana, stellt Euch an das Pult und schreibt Alles nieder, was Ihr vernehmt! Ich werde die Kriminaluntersuchung schleunigst beginnen.«
Die Befragung der herbeigerufenen Dienerschaft ergab, daß dieselbe von dem verübten Verbrechen nicht das Mindeste wußte und auch Keiner durch irgend einen Laut oder ein ungewöhnliches Geräusch in seiner Ruhe gestört worden war. Der kleine Fabian fehlte; das zerbrochene Balkonthürfenster zeigte, auf welchem Wege die Thäter eingedrungen waren, alles Werthvolle hatte man entwendet und die noch an der Balustrade hängende Strickleiter vervollständigte die Deutlichkeit des Bildes, welches man sich von dem verabscheuungswürdigen Vorgange machen konnte.
Der Eskribano Don Georgio Cagatinta stand am Pulte und schrieb, daß die Feder schwirrte. Dicke Schweißtropfen rannen ihm von der Stirn, denn er hatte während seines ganzen Lebens noch nicht so viel Galläpfelblut vergossen, wie in dieser Viertelstunde. Endlich, endlich durfte er den Federkiel ausspritzen; der Alkalde erklärte, mit seiner Untersuchung auf dem Schlosse fertig zu sein.
»Im Namen des Gesetzes befehle ich, daß hier Alles genau bleibt, wie es ist, bis der Prokurator kommt, dem ich Meldung machen werde, sobald ich auch am Strand gewesen bin!«
Er lud die Anwesenden ein, das Zimmer zu verlassen, verschloß dasselbe und steckte den Schlüssel zu sich. Dann verließ er mit dem Hauptmanne und Cagatinta das Schloß, um sich zu der Leiche des Erschossenen zu begeben.
»Wollt Ihr nicht den Alguazil (Polizist) mitnehmen, Don Ramon Cohecho?« frug der Schreiber. »In solchen Fällen ist die Gegenwart der Polizei geboten.«
»Ich bin selbst Polizei, und der Alguazil darf nicht gestört werden, er hat mir bis Mittag den neuen Mantel fertig zu machen. Hätte er nicht die edle Kunst der Schneiderei erlernt, so müßte er verhungern, denn er kann keinen Gehalt bekommen, weil die Gemeindekasse nicht auf solche Dinge eingerichtet ist.«
Als die drei Männer an der Küste angekommen waren, stieg der Hauptmann zu Pepe empor, welcher noch immer bei seiner Laterne lag.
»Pepe!«
Der Küstenwächter schlief.
»Pepe!«
Don Lukas ergriff den Arm seines Untergebenen und schüttelte ihn heftig.
»Pepe, wach auf. Der Alkalde will Dich vernehmen.«
Der Miquelete erwachte.
»Vernehmen? Ah, Herr Hauptmann, Sie sind es! wo ist der Alkalde?«
»Unten bei der Leiche. Aber sage mir einmal, Pepe, wohin hattest Du den Brief gesteckt?«
»Ich glaube in die Pantalons.«
»Du glaubst es?«
»Ja.«
»Also gewiß weißt Du es nicht?«
»Ganz gewiß, denn was ich gewiß weiß, das kann ich auch glauben.«
»Aber er steckt nicht darin!«
»Nicht? Woher wissen Sie das, Don Lukas?«
Der Hauptmann schien in Folge der Frage in einige Verlegenheit zu kommen, doch hielt er es für das Beste, die Wahrheit zu sagen.
»Ich dachte, daß Dir während Deiner Abwesenheit das kostbare Schreiben abhanden kommen könne und trat daher ein, um es an einen sichern Ort zu bringen. Die Taschen Deiner Pantalons aber waren leer. Besinne Dich, wo ist der Brief?«
»Er stak in den Pantalons, Herr Hauptmann; ist er nicht mehr darin, so kann ich nicht anders denken, als daß er sich jetzt an dem sichern Ort befindet, von dem Sie sprachen.«
»So meinst Du, ich hätte ihn genommen?«
Pepe gähnte.
»Worten wir nicht zum Alkalden gehen?«
»Ja. Also das Schreiben –?«
»Befindet sich in den Pantalons!«
Er nahm seine Laterne und überließ es dem Hauptmanne, ihm zu folgen oder nicht.
Als sie bei der Leiche ankamen, fanden sie Don Ramon Cohecho beschäftigt, ein Verzeichniß der geraubten Sachen aufzunehmen; die Inspektion des Todten hatte er schon beendet.
»Kommt einmal her, Sennor Pepe,« meinte er. »Ich habe im Namen des Gesetzes einige Fragen an Euch zu richten. Ihr hattet heut den Ensenadaposten?«
»Ja.«
»Wann habt Ihr ihn bezogen?«
»Um Neun.«
»Was thatet Ihr, als Ihr an Ort und Stelle kamt?«
»Ich – hm, ich setzte mich nieder.«
»Und dann?«
»Und dann – dann stand ich wieder auf.«
»Aber dazwischen habt Ihr wohl ein wenig geschlafen?«
Der Klang des letzteren Wortes äußerte eine simpathische Wirkung auf den Miquelete: er öffnete den Mund und gähnte.
»Habt Ihr heut nicht auch geschlafen, Don Ramon?«
»Ja; aber ich befand mich nicht auf Posten. Also Ihr standet wieder auf, und dann –?«
»Dann ging ich am Ufer hin und schoß den Menschen hier durch den Kopf.«
»Wie kam das?«
Pepe erzählte den Vorgang. Der Eskribano kauerte zwischen den beiden Laternen, hatte das Papier auf dem Knie und schrieb den Bericht nieder.
»Wir werden die Pakete mitnehmen, die Leiche aber liegen lassen,« bestimmte der Alkalde. »Sie bleibt unter Eurem Schutze zurück, Pepe, und ich hoffe, daß sie sicher ist.«
»So sicher wie im Schooße Abrahams, denn ich hoffe nicht, daß der Kerl noch einmal lebendig wird und auf das Schloß geht, sonst müßte ich ihm noch eine Kugel geben!«
»Kommt, Don Lukas Despierto! Unser Geschäft ist hier beendet!«
Die drei Männer entfernten sich, und Pepe streckte sich wieder auf der Erde aus. Er blieb bis zur Ablösung vollständig ungestört und kehrte dann in das Dorf zurück, um nun nicht blos zum Scheine, sondern in aller Wirklichkeit zu schlafen.
Der Raubmord auf Schloß Elanchovi erregte auch in weiteren Kreisen ein ungeheures Aufsehen. Die Justiz des Landes befand sich nie und zu jener Zeit am allerwenigsten in einer lobenswerthen Verfassung; man that alles Mögliche oder gab wenigstens vor, alles Mögliche zu thun, um die Thäter zu entdecken und das Schicksal des kleinen Fabian zu erforschen, doch vergebens. Die Beiden, welche einige Aufklärung zu ertheilen vermochten, der Hauptmann und Pepe, schwiegen, da sie mit einer rückhaltslosen Mittheilung sich in Gefahr bringen mußten. Aber der ehrliche Miquelete fühlte Gewissensbisse. Er konnte sich nicht über den Gedanken hinwegsetzen, daß er einen Theil der Schuld zu tragen habe, welche die Mörder von Elanchovi mit fortgenommen hatten; der Ring blieb unter dem Stein verborgen; Pepe wollte lieber hungern, als sich von dem Blutgelde sättigen und quälte sich mit allerlei Gedanken, auf welche Art und Weise es möglich sei, die schwere Last von seiner Seele abzuwälzen.
Es war wohl eine Woche nach jener Nacht in der Ensenada, als er den Tagesdienst am Hafen hatte. Ein englischer Dreimaster hatte draußen auf der hohen See die Fluth abgewartet und lief jetzt mit derselben in dem Hafen ein. Er schien blos Wasser einnehmen zu wollen und hatte nur einen einzigen Passagier, welcher sich sofort, als der Anker gefallen war, an das Land rudern ließ.
Pepe stand neben dem Haushofmeister Juan de Dios, welchen irgend ein häusliches Geschäft aus dem Dorfe herabgetrieben hatte, und folgte ganz unwillkürlich mit den Augen dem Boote, in welchem der Landende saß. Da stieß der Haushofmeister einen Ruf der Ueberraschung aus.
»Was ist’s, Don Juan de Dios?«
»Seht Ihr den Mann im Boote?«
»Ja.«
»Wißt Ihr, wer es ist?«
»Nein. Er hat das Gesicht in den Zipfel seines Manga gelegt, um es gegen die Sonne zu schützen.«
»Und dennoch kenne ich ihn! Oh, das ist ein Mirakel, ein heiliges Wunder. Die Todten stehen auf und werden wieder lebendig.«
»Santa Lauretta, Ihr macht mir beinahe bange! Ist dieser Mann todt gewesen?«
»Habt Ihr noch nie gehört, daß Graf Antonio de Mediana todt sei?«
»Todt oder verschollen! Was hat dieser Sennor mit dem Grafen Antonio zu thun?«
»Was er mit ihm zu thun hat? Per dios, viel, sehr viel, denn er ist es ja selbst! Ich kenne ihn und werde ihn sofort begrüßen!«
Der alte Beamte stürzte der Stelle zu, an welcher der Passagier soeben sich im Boote erhoben hatte und an das Land gesprungen war wie Einer, welcher dergleichen Sprünge gewohnt ist. Sein Gesicht war jetzt unverhüllt und deutlich zu erkennen, und, ja, da stieß auch Pepe einen halblauten Ruf aus, welcher mehr nach Entsetzen als nach Ueberraschung klang.
»Heilige Mutter von Segovia, das ist kein Anderer, als der Kapitano, von welchem ich den Ring erhalten habe! Und, wahrhaftig, es muß der Graf sein, denn er bietet Dios die Hand und begrüßt ihn wie der Herr den Diener begrüßt!«
Die Beiden schlugen den Weg nach dem Schlosse ein und mußten hart an Pepe vorüber, welcher vor Aufregung beinahe zitternd, den Ankömmling mit funkelnden Augen fixirte. Der Graf mußte diesen Blick bemerken.
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