Er bohrte sein dunkles Auge in das Gesicht des Miquelete und wurde einen Schatten bleicher. Pepe trat, rasch mit sich im Klaren, einen Schritt vor.
»Erlaubt, Don Juan de Dios! Ist dieser Herr wirklich die Excellenza von Mediana.«
»Ja, Pepe, ich habe Recht gehabt; es ist mein hoher Herr und Gebieter, welcher von einer langen und weiten Reise nach Elanchovi zurückkehrt!«
Pepe wandte sich nun zum Grafen.
»Dann bitte ich um eine Unterredung, Don Antonio!«
»Warum?«
»Weil ich Ihnen eine Frage vorzulegen habe, die sehr wichtig ist.«
»Sprich sie aus!«
»Ich werde sie nur unter vier Augen thun.«
»So komme hinauf zum Schlosse.«
»Um sechs Uhr ist Ablösung, dann werde ich kommen!«
Im Tone des Miquelete lag nicht jene herkömmliche Ergebenheit, mit welcher der tiefer Gestellte mit dem höher Geborenen zu sprechen pflegt, und seine letzten Worte schienen beinahe eine Drohung zu enthalten. Des Grafen Augen blitzten auf; doch er bezwang sich, und ein verächtliches Lächeln zuckte ihm um den Mund.
»So komm!« klang es kalt und streng; dann schritten die Beiden weiter.
Pepe verfolgte sie mit seinem Blicke, bis sie hinter den Felsen verschwunden waren.
»Santa Lauretta, er ist es wirklich; ich habe ihn auch an der Stimme wieder erkannt! Er hat die Gräfin ermordet und den kleinen Don Fabian geraubt, um ihre Güter für sich zu bekommen. Jetzt werde ich die Qual los, welche mir das Gewissen bereitet hat. Ich werde ihn anklagen; ja, das werde ich, obgleich er eine Excellenza ist und ich bin nur Pepe, der Schläfer!«
Er konnte die sechste Stunde kaum erwarten und stieg, als er sich vom Dienste frei sah, mit großen, hastigen Schritten zum Schlosse empor.
Er wurde in dasselbe Balkonzimmer geführt, in welchem man die Gräfin überfallen hatte. Der Graf stand am Fenster und blickte hinaus auf die See. Beim Eintritte des Küstenwächters warf er sich mit einer raschen Wendung herum.
»Warum hast Du den Karabiner nicht draußen abgelegt?«
»Weil ich nicht überzeugt bin, daß ich ihn hier entbehren kann,« antwortete Pepe ruhig.
»Ah! Was willst Du?«
»Ich wollte fragen, ob Sie Ihren Ring zurücknehmen wollen.«
»Welchen Ring?«
»Den ich von dem Kapitän der ›Esmeralda‹ in der Ensenada erhielt.«
»Geh. Ich habe weder Zeit noch Lust, Deine Räthsel anzuhören!«
»Es sind keine Räthsel für Sie. Wo ist Don Fabian, der Knabe, mit dem Sie mir entkamen?«
Der Graf schnellte einige Schritte näher; seine Fäuste ballten sich, doch ließ er die Hände wieder sinken, als Pepe den Karabiner erhob.
»Bist Du wahnsinnig?«
»Nein,« lächelte der Miquelete. »Meine Gedanken und Sinne sind so gesund und gut, daß ich mich von keinem Titel täuschen lasse. Gebt den Knaben zurück!«
»Ich lasse Dich festnehmen und schicke Dich in das Irrenhaus!«
»Ich lasse Sie festnehmen und schick Sie auf das Schaffot oder auf die Galeere!«
»Geh!«
»Wo ist der Knabe?«
Don Antonio trat hart an ihn heran. Auf seinem Gesichte stritt sich der Ausdruck des Spottes mit dem der Verachtung.
»Mensch, bildest Du Dir wirklich ein, daß ich Dich fürchten muß? Ich will Dich mehr als zur Genüge vom Gegentheile überzeugen! Ja, ich bin der Kapitän der ›Esmeralda,‹ ich habe die Gräfin erdolchen lassen und den Knaben entführt. Ich ließ ihn auf einem kleinen Boote aussetzen, da ich mich nicht unmittelbar an ihm vergreifen wollte; jetzt ist er verschmachtet oder eine Beute der Haifische geworden. Nun geh’ und zeige mich an, Wurm, der Du bist!«
Pepe sah ihm fest und ruhig in die Augen.
»Don Antonio de Mediana, Sie sollen Ihren Willen haben. Und läßt die menschliche Gerechtigkeit sich von Ihnen bestechen, so gibt es einen höheren Richter, dem Sie sicher nicht entgehen werden. Er wird Sie finden, und wenn Sie vor ihm in die tiefste Wildniß fliehen. Merken Sie sich das! Und wenn seine Hand Sie ereilt, so denken Sie an Pepe, der Gott bitten wird, den Mord nicht ungestraft zu lassen!«
Er ging, aber nicht in seine Wohnung, sondern zum Alkalden. Er fand den Hauptmann bei ihm. Der Erstere trat ihm mit ungewöhnlicher Lebhaftigkeit entgegen.
»Ihr kommt zur guten Stunde, um eine Neuigkeit zu hören, Pepe!«
»Welche?«
»Don Fabian lebt!«
»Santa Lauretta! Ists wahr?«
»Ich versichere es Euch im Namen des Gesetzes, und dann ist es wahr, wie Ihr Euch wohl denken könnt!«
»Wo ist er?«
»Das weiß ich nicht.«
»So sage ich Euch im Namen des Gesetzes, daß er wahrscheinlich nicht mehr lebt.«
»Ihr habt im Namen des Gesetzes weder Etwas zu sagen noch zu versichern! Was aber meine Worte betrifft, so kann ich beweisen, daß sie die reine Wahrheit enthalten.«
»Ich würde Euch sehr dankbar sein, wenn Ihr diesen Beweis führen wolltet!«
»So hört! Der Arrièro Carlos Palgenzo aus Cavanca war heut bei mir und erzählte, daß sein Bruder Manfredonio mit einem französischen Schiffe angekommen sei, welches auf der Höhe von Bayonne ein Boot gefunden habe, in welchem ein Knabe gelegen hat, über dessen Wange eine seichte Schnittwunde gegangen ist. Die ganze Beschreibung, Alles stimmt, der Knabe ist Don Fabian de Mediana.«
»Wie heißt das Schiff?«
»Palgenzo wußte es nicht; es ist sofort wieder in See gegangen; aber ich werde die umfassendsten Nachforschungen anstellen und habe Don Lukas Despierto rufen lassen, um seine Meinung zu vernehmen.«
»Die dahin lautet,« fiel der Hauptmann ein, »daß die Entdeckung schleunigst Don Antonio de Mediana, welcher heut zurückgekehrt ist, gemeldet wird.«
»Er würde Euch für diese Meldung nicht sehr dankbar sein,« meinte Pepe.
»Warum?«
»Weil gerade er es ist und kein Anderer, welcher die Gräfin ermordet und den Knaben geraubt hat.«
»Wer? Don Antonio?«
Der Alkalde sprang auf, der Hauptmann ebenso. Die Nachricht war für sie so unglaublich, so ungeheuer, daß sie den Sprecher mit weit aufgerissenen Augen und offenem Munde anstarrten.
»Ja, Don Antonio. Ich habe ihn wiedererkannt und komme jetzt von ihm. Er hat mir die That eingestanden.«
»Du redest irre!« rief der Hauptmann.
»Hört mich an und urtheilt hernach!«
Er erzählte den Vorgang und schloß seinen Bericht mit der Erklärung, daß er denselben als eine amtliche Anzeige betrachtet wünsche. Der Alkalde sah sich dieser Aufforderung vollständig rathlos gegenüber, mußte aber die Unmöglichkeit eingestehen, die Gründe Pepe’s widerlegen zu können.
»Wißt Ihr auch wohl, was Ihr thut?« frug er warnend.
»Ich weiß es ganz genau, Sennor Cohecho. Ich verlange von Euch, den Grafen zu arretiren. Und wißt Ihr Euch zu schwach dazu, so sendet meine Anklage an einen höhern Ort.«
»Gebt mir Zeit, diese schwere Sache reiflich zu überlegen! Und denkt selbst auch daran, daß der Graf mächtig genug ist, Euch zu verderben.«
»Ich fürchte ihn nicht, denn ich thue meine Pflicht!«
Er verließ die beiden bestürzten Männer und ging nach seiner Hütte, hatte aber noch nicht längst erst in seiner Hängematte Platz genommen, als der Hauptmann bei ihm eintrat.
»Pepe, der Alkalde sendet mich, um Dich zu fragen, ob es mit der Anzeige wirklich Dein völliger Ernst ist.«
»Er ists, Herr Hauptmann.«
»So wird er weiter berichten, da die Sache zu verantwortlich für ihn ist. Aber höre, Pepe, wo hast Du den Brief?«
»Hier in den Pantalons!«
Er griff in die Tasche und zog das Papier hervor.
»Zeige einmal her!«
»Jetzt nicht, Don Lukas Despierto. Dieser Brief hat großen Werth für mich.«
»Welchen?«
»Graf Antonio wird Alles aufbieten, mich zu verderben; gelingt es ihm, so wird dieses Schreiben mein Retter sein, denn, Santa Lauretta! ich schwöre es Ihnen zu, daß ich es vorzeigen werde, wenn Sie mich im Stiche lassen. Ich verberge es an mir so, daß es niemand zu finden vermag. Helfen Sie mir, so erhalten Sie es zurück, geben Sie mich aber auf, so sind auch Sie verloren!«
Der schläfrige Pepe war auf einmal ein scharfsinniger, resoluter Bursche geworden, der sich durch keine Bitte und keine Drohung des Hauptmannes von seinem Entschlusse abbringen ließ.
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