Aber sonderbar, je weiter wir vorgingen, desto zaghafter kamen die Schüsse vom gegnerischen Graben. Daß wir längst bemerkt waren, daran war kein Zweifel. Entweder hatten also die Russen in der Nacht die Stellung geräumt und nur ein paar Leute zurückgelassen, die durch fleißiges Schießen die Grabenbesatzung so lange wie möglich »markieren« sollten und denen es nun angesichts unsres Vorgehens rätlich schien, keine zu große Erbitterung in uns aufzuspeichern, oder aber man wollte uns herankommen lassen und in die Falle locken. Um herauszubekommen, welche der zwei Möglichkeiten wahrscheinlich sei, nahm ich mit meinen zwei Gruppen auf einem flachen Hügel Stellung, schoß ein paar Salven nach den russischen Gräben und ging dann im Kehrt ein Stückchen zurück, als wenn ich wieder in die eigene Stellung wollte. Ich sagte mir: wollten die Russen uns in die Falle locken und sehen nun, daß wir doch umkehren, so werden sie jetzt mit allen Gewehren feuern, um uns zusammenzuschießen, ehe wir ganz entkommen. Aber trotz der Kehrtschwenkung blieb es bei ein paar Schüssen, die bald von rechts, bald von links her über unsre Köpfe weggingen. Dadurch sicher gemacht, gingen wir wieder energisch gegen die russischen Verhaue vor. Gleichzeitig schickte ich einen Mann zurück an Leutnant Wurche, er möchte mir mit einer Handgranatengruppe möglichst rasch folgen. Ich wollte ihn in einem abgebrannten Gehöft kurz vor dem russischen Hindernis erwarten, dann in den Russengraben einbrechen und uns im Fall einer Überrumpelung mit den Nahkampfmitteln doch noch aus der Falle herauskämpfen. Es ging alles glatt ab. Auf ein verabredetes Zeichen brachen wir unter den verkohlten Bäumen vor und rissen die spanischen Reiter des russischen Hindernisses auseinander. Im Nu hatten die hartzupackenden Fäuste unsrer Leute eine Bresche gelegt, und wir sprangen über die Brustwehrkrone in den feindlichen Graben hinein. Im kritischen Augenblick des Vorbrechens schlug doch allen das Herz schneller, das merkte man an der Art, mit der die Hände der Leute in den Stacheldraht hineinfuhren. Im russischen Graben holte uns Ernst Wurche mit seiner Handgranatengruppe ein. Ein russischer Sergeant gab sich mit einer Gruppe gefangen. Wir schickten eine Gefechtsordonnanz an die Kompanie zurück, entwaffneten die Russen und schickten sie mit zwei Mann als Bedeckung dem vorauseilenden Melder nach. Einen Teil der Leute ließen wir zur weiteren Durchsuchung der Unterstände zurück und gingen mit dem Rest der Patrouille aufklärend gegen die zweite Stellung des Gegners vor. Die Gräben auf der beherrschenden Höhe 130 fanden wir leer, und auch die Gehöfte weiter rückwärts waren verlassen. Nur ansehnliche Batterien leerer Flaschen in den kahlen Stuben zeigten deutlich, wo die höheren Stäbe quartiert hatten. Auch aus der zweiten Stellung ging ein Melder an die Kompanie zurück. Wir selbst drangen unbehindert noch mehrere Kilometer bis über die Szeszupa vor, schossen uns mit einer Kosakenpatrouille herum und stellten fest, daß der Gegner auch in den Gräben am Flußufer noch nicht wieder Halt gemacht hatte. Danach war unsre Aufgabe gelöst, und wir suchten wieder Verbindung mit der Kompanie. Auf der Rückkehr zu unsern Gräben – wir fuhren mit einem für unser Gepäck requirierten Wagen zurück – trafen wir zwischen der ersten und zweiten Grabenlinie der Russen bereits aufklärende Dragoner, die auf Grund unserer Meldung vorgeschickt waren. Kurz danach stießen wir auf Infanteriepatrouillen und marschierende Kolonnen, und als wir persönlich dem Kompanieführer Meldung machten, gingen bereits Teile der Feldartillerie auf Balkenbrücken über unsre Gräben vor. Die ganze Division war in Bewegung. Unsre Leute strahlten. Die »Neunte« hatte als erste Kompanie den Abzug des Gegners erkundet. Darauf war jeder Mann der Kompanie stolz. Wir wurden mit einer Patrouille nochmals vorgeschickt, um an der Szeszupa-Brücke den Flußübergang zu decken. Aber die Brücke dröhnte schon unter marschierenden Kolonnen, Pferdehufen und Rädern.