Auf offener Strecke blieben wir ein paar Stunden liegen, während der Gegner weiter vorn die Geleise mit Granaten abstreute. Einige Wipfel brachen wie unter jähen Blitzschlägen zusammen. Ein Teil des Waldes brannte, ein grelles, heißes Rot fraß sich durch den schweren Qualm von brennendem Holz und Harz.

Nach einer Weile schwieg die feindliche Artillerie, und unser Zug setzte sich wieder in Bewegung. Schneller und schneller glitten Fichten und Sand, Sand und Fichten vorüber. Mit einmal erschütterte der ganze Zug von dem schmetternden Krachen einer krepierenden Granate, deren Sausen das Rattern der Bahn übertäubt hatte. Ein Knirschen von Holz und Eisen. Ein paar Stöße, die wie Faustschläge durch die roten Polster kamen. Eine Scheibe sprang mit peitschenartigem Knall aus dem Rahmen. Der Wagen neigte sich hart rechtsüber, schwankte, stand. Die Granate war unter dem fahrenden Zug in den Bahndamm geschlagen und hatte wie eine Teufelsfaust die Erde unter den heißen Schienen fortgerissen. Der Zug war aus den Gleisen gesprungen und stand mit gefährlicher Neigung über der steilabfallenden Böschung. Ein Maschinengewehr hämmerte aus der Ferne, wo man wohl durchs Scherenfernrohr den Treffer beobachtet hatte, herüber. Tak–ta–tak–tak–tak–ta–tak ...

Ernst Wurche hatte gerade am Fenster gestanden und sich rasiert. Mitten in den Strich war das Krache und Brechen gekommen. Er hob das Messer leicht ab und hielt sich mit der Linken am Gepäcknetz fest. Aus den Nebenabteilen sahen wir die Kameraden, zum Teil hemdärmelig, aus den schwankenden Wagen springen. Mir selbst war ein Koffer und Wäschesack auf den Kopf gefallen und hatte mich vornüber geworfen. Ich rappelte mich wieder auf. Der Zug stand. Ich sah nach Wurche und mußte lachen. Er führte mit dem Messer sauber den unterbrochenen Strich zu Ende, wischte sich den Seifenschaum aus dem Gesicht und sagte seelenruhig: »Na, da können wir wohl auch aussteigen!« Er ließ sich seine fröhliche Ruhe von niemand aus den Fingern schlagen, und es lag nicht in seiner Art, bei einer Panik mit der Seife im Gesicht aus dem Rasierladen zu laufen, wenn noch Zeit war, sie abzuwischen. Gelassenheit war eines seiner Lieblingsworte, in ihr sah er das Wesen menschlicher und männlicher Würde, heitere und lässige Sicherheit lag immer wie ein Glanz über seinem Wesen, und es war in ihr soviel menschliche Anmut wie männliche Würde.

Mit dem »Aussteigen« freilich haperte es. Alle Türen nach draußen und zu den Nebenabteilen waren verkeilt. »Eskaladieren wir!« sagte Wurche und kletterte durch das zersprungene Fenster ins Freie. Ich warf unsre Gepäckstücke nach und folgte auf demselben Wege. Wir rückten unsre Koffer dicht an die dem Feinde abgekehrte Seite des steilabfallenden Bahndamms und streckten uns daneben in Gras und Sonne. Zwei Stunden später kam von Augustowo her ein Hilfszug und brachte uns mit einiger Verspätung ans Ziel. Rußland hatte uns sein Willkommen entboten.

Im Divisionsstabsquartier von Augustowo wurden wir auf Regimenter und kurz danach in einer Russenkaserne auf Kompanien verteilt. Ich wußte es beide Male einzurichten, daß ich mit Wurche zusammenblieb. Wir kamen beide zur 9.