Kompanie eines elsässischen Infanterie-Regiments.
Wir schliefen die Nacht auf Stroh in der russischen Kaserne und wanderten am andern Morgen zu viert in den Mai hinaus nach den Gräben unsrer Kompanien, die ein paar Wegstunden entfernt in festen Stellungen im Walde lagen.
Ein Morgenbad im »Weißen See« gab dem ganzen Tage einen frischen Glanz. Der Weg ging durch Sand und Föhrenwald. Zerstreutes Licht floß in breiten Bahnen durch grüne Wipfel und goldrote Stämme. Dann lag der weite See, von sonnigem Morgendunst überschäumt, vor uns. Pirole schmetterten, Schwalben schossen mit den Schwingen durchs Wasser, Taucher verschwanden vor uns, wie wir am Ufer entlangschlenderten. Nur aus der Ferne kam ein gedämpftes Grollen zu uns herüber und ab und zu das taktmäßige Hämmern eines Maschinengewehrs. »Spechte!« lachte Wurche und ließ Sonne und Wasser über sich zusammenschlagen.
Dann ging es am Augustower Kanal und den Nettawiesen weiter. Bald saß uns der graue Staub der russischen Landstraße in den Röcken. Aber neben dem Wandervogel her, der in Helm und Degen und Ledergamaschen den ausgefahrenen Sandweg hinzog, schritt leicht auf reinlichen Füßen durch feuchtes Wiesengras der Mai und lachte immer heller herüber. Die leise Netta kam bald bis an unsern Weg heran und ließ ihre Wellen und ihr sonniges Mückenspiel vor uns gaukeln, bald entwich sie uns wieder und barg sich in Wiesenschaumkraut und wucherndem Gras. Ich hatte Wurche lange von der Seite angesehen. Zuletzt mußte ich lachen. »Gestehen Sie's nur!« sagte ich, »Sie müssen heut noch einmal ins Wasser?« »Gleich!« sagte er, und wir gingen tief in die federnde Sumpfwiese hinein, warfen die staubigen Kleider von uns und ließen uns von den kühlen, guten Wellen treiben.
Dann lagen wir lange in dem reinlichen Gras und ließen uns von Wind und Sonne trocknen. Als letzter sprang der Wandervogel aus den Wellen. Der Frühling war ganz wach und klang von Sonne und Vogelstimmen. Der junge Mensch, der auf uns zuschritt, war von diesem Frühling trunken. Mit rückgeneigtem Haupte ließ er die Maisonne ganz über sich hinfluten, er hielt ihr stille und stand mit frei ausgebreiteten Armen und geöffneten Händen da. Seine Lippen schlossen sich zu Goethes inbrünstigen Versen auf, die ihm frei und leicht von den Lippen sprangen, als habe er die ewigen Worte eben gefunden, die die Sonne in ihn hinein und über Herz und Lippen aus ihm herausströmte:
»Wie im Morgenglanze
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter!
Mit tausendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drängt
Deiner ewigen Wärme
Heilig Gefühl,
Unendliche Schöne!
Daß ich dich fassen möcht'
In diesem Arm! – – –«
Feucht von den Wassern und von Sonne und Jugend über und über glänzend stand der Zwanzigjährige in seiner schlanken Reinheit da, und die Worte des Ganymed kamen ihm schlicht und schön und mit einer fast schmerzlich hellen Sehnsucht von den Lippen. »Da fehlt nur ein Maler!« sagte einer von uns. Ich schwieg und war fast traurig, ohne sagen zu können warum. Unser Wandervogel aber ließ leicht die Arme fallen und trat mit ein paar raschen, frischen Schritten in unsre Mitte. Wir schleuderten uns die letzten Wassertropfen von den Händen und griffen nach unsern Kleidern. Bald schritt mir der Freund wieder im grauen Waffenrock, der die hohe Gestalt knapp und kleidsam umschloß, und mit eingehenktem Degen zur Seite. Der Helmrand umlief die trotzige Form seines eigenwillig gestreckten und prächtig gewölbten Schädels, und wie er mit frei ausgreifendem Schritt den von fernen Donnern leise erdröhnenden Wäldern entgegenschritt, schien er, von Freude und Kraft bebend, begierig in eine klirrende Zukunft zu horchen. »Wen du nicht verlässest, Genius, wird dem Regengewölk, wird dem Schloßensturm entgegen singen ...!« Wenn ihm nicht die Lippen davon klangen, so klang sein Schritt davon. »Tanztüchtig will ich den Jüngling und waffentüchtig.« Alte Worte sprangen immer wie junge Quellen an seinem Wege.
Warum ergreift uns alle Schönheit des Lebens, statt daß wir sie ergreifen? Ach, wie der Mensch aus Erde gemacht ist und wieder zur Erde wird, so ist alle Schönheit aus Sehnsucht gemacht und wird wieder zu Sehnsucht. Wir jagen ihr nach, bis sie zur Sehnsucht wird. –
In den Winternächten, die wir in den Gräben vor Verdun zugebracht hatten, war zuweilen ein jäh aufbrandendes und wie eine Sturmflut weiterrollendes Hurra die endlose Front der Schützengräben entlanggebraust. Wenn dieses Hurra in der Ferne verebbte, dann horchten wir Kriegsfreiwilligen ihm nach, und in unserm Horchen war etwas Grimm und Neid. Im Osten geschah alles Heiße, Wilde und Große.
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