Kein anderer Beruf ist so gefährlich; der zweitgefährlichste ist die Seefahrt, dort kommt jedes Jahr ein Seemann von knapp 1300 um. Die Zahlen, die ich angegeben habe, beziehen sich natürlich auf die Bergleute im ganzen; für die, die tatsächlich unter Tage arbeiten, wäre der Anteil an Verletzungen weit höher. Jeder ältere Arbeiter, mit dem ich sprach, war entweder schon selbst einmal ziemlich schwer verunglückt oder hatte gesehen, wie einige seiner Kameraden umkamen; und in jeder Familie werden einem Geschichten von bei der Arbeit umgekommenen Vätern, Brüdern und Onkeln erzählt. (»Und er fiel siebenhundert Fuß tief, und sie hätten die Stücke nie zusammengesucht, aber er hatte ganz neues Ölzeug an« etc.) Manche dieser Geschichten entsetzen aufs äußerste. Ein Bergmann beschrieb mir zum Beispiel, wie einer seiner Kameraden, ein »Dataller«, von herabstürzendem Gestein verschüttet wurde. Sie stürzten zu ihm, und es gelang ihnen, seinen Kopf und seine Schultern freizulegen, so daß er atmen konnte; er lebte noch und sprach mit ihnen. Dann sahen sie, daß die Decke wieder einstürzte, und mußten wegrennen, um sich selber zu retten, und ihr Kamerad wurde ein zweites Mal verschüttet. Wieder rannten sie zu ihm hin und legten Kopf und Schultern frei, und wieder war er noch am Leben und sprach mit ihnen. Dann stürzte die Decke ein drittes Mal ein, und dieses Mal konnte er mehrere Stunden lang nicht ausgegraben werden; danach war er natürlich tot. – Aber der Bergmann, der mir die Geschichte erzählte (er war selber einmal verschüttet worden, konnte aber glücklicherweise den Kopf zwischen die Beine klemmen, so daß etwas Raum zum Atmen blieb), fand sie nicht besonders schlimm. Für ihn lag ihre Bedeutung darin, daß der »Dataller« genau gewußt hatte, daß die Stelle, wo er arbeitete, nicht sicher war und daß er täglich einen Unfall erwartete. »Das beschäftigte ihn so stark, daß er anfing, seine Frau zu küssen, bevor er zur Arbeit ging. Und sie erzählte mir später, daß er sie davor über zwanzig Jahre nicht mehr geküßt hatte.«
Der offenbar nächstliegende Grund für Unfälle sind Explosionen des Gases, das in größerer oder kleinerer Konzentration immer in der Luft in den Gruben enthalten ist. Es gibt eine spezielle Lampe, mit der man den Gasgehalt der Luft feststellen kann; und wenn er sehr groß ist, kann er mit einer gewöhnlichen Davy-Lampe entdeckt werden: sie brennt dann blau. Wenn die Flamme bei ganz aufgedrehtem Docht immer noch blau brennt, ist der Gasgehalt gefährlich hoch; er ist jedoch schwierig festzustellen, da sich das Gas nicht gleichmäßig ausbreitet, sondern in Rissen und Spalten hängt. Vor Arbeitsbeginn prüfen die Bergleute oft den Gasgehalt, indem sie mit der Lampe alle Ecken abtasten. Das Gas kann aus verschiedenen Gründen entzündet werden: durch einen Funken bei Sprengungen oder durch einen Funken, der beim Hacken abspringt, durch defekte Lampen oder durch »Steinfeuer«: von selbst entstandenen Feuern, die im Kohlestaub schwelen und sehr schwer zu löschen sind. Die großen Grubenunglücke, die von Zeit zu Zeit geschehen und bei denen mehrere hundert Männer ums Leben kommen, sind gewöhnlich von Explosionen verursacht; deshalb neigt man dazu, Explosionen für die Hauptgefahr beim Bergbau zu halten. In Wirklichkeit sind die allermeisten Unfälle den normalen, alltäglichen Grubengefahren zuzuschreiben, besonders den Deckeneinstürzen. Es gibt zum Beispiel »Topflöcher«, kreisförmige Löcher, aus denen ein Steinklumpen, der groß genug ist, um einen Mann zu töten, mit der Geschwindigkeit einer Kanonenkugel hervorschießt. Soweit ich mich erinnern kann, haben mit nur einer Ausnahme alle Bergleute, mit denen ich gesprochen habe, erklärt, die neuen Maschinen und das schnellere Tempo überhaupt hätten die Arbeit gefährlicher gemacht. Das mag zum Feil einer konservativen Haltung zuzuschreiben sein, aber die Bergleute können zahlreiche Gründe anführen. Zunächst bleiben durch die Geschwindigkeit, mit der die Kohle heute gefördert wird, gefährlich große Deckenflächen ohne Abstützungen. Dazu kommen die Vibrationen, die alles lockerschütteln, und der Lärm, der es schwieriger macht, Zeichen der Gefahr zu bemerken. Man muß bedenken, daß die Sicherheit eines Bergmanns unter Tage weitgehend von seiner eigenen Sorge und Geschicklichkeit abhängt. Ein erfahrener Bergmann behauptet, er wisse es durch eine Art Instinkt, wenn die Decke unsicher ist; er »kann das Gewicht auf sich spüren«, wie er es ausdrückt. Er kann zum Beispiel das schwache Knarren der Pfosten hören. Noch heute zieht man Holzpfosten im allgemeinen den Eisenträgern vor, weil Holzpfosten, die einzubrechen drohen, einen durch ihr Knarren warnen, während ein Eisenträger völlig unerwartet herausfliegt. Der betäubende Lärm der Maschinen macht es unmöglich, irgend etwas anderes zu hören, und dadurch wächst die Gefahr.
Wenn ein Bergmann verunfallt, ist es natürlich nicht möglich, ihn sofort zu behandeln. Er liegt auf einem furchtbar scharfkantigen Grund, eingequetscht zwischen mehreren Zentnern Gestein, und auch nachdem er befreit ist, muß man ihn eine Meile oder noch weiter schleppen, vielleicht durch Stollen, in denen keiner aufrecht stehen kann.
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