Aber meine Mutter starb, der ich noch in ihren letzten Tagen ihre Liebe etwas vergelten konnte, mein Vater war krank, und ich konnte die Leidenschaft meines Freundes nicht teilen; auch hatte ich alle jene Kenntnisse nicht gesammelt, die Sprachen nicht gelernt, was ihm Alles aus Liebe zum Orient geläufig war. Es lebten selbst noch Verwandte von ihm, die er dort aufsuchen wollte. Durch Freunde und Beschützer ward mir, wie es immer mein Wunsch war, eine Stelle beim diplomatischen Corps. Mit dem Vermögen meiner Mutter war ich im Stande, mich zu meinem Beruf geziemlich einzurichten, und ich verließ meinen Vater, für dessen Genesung nur wenig Hoffnung war. Mein Freund verlangte durchaus, daß ich einen Teil meines Kapitals ihm mitgeben solle, er wolle dort damit spekulieren und mir dann den Gewinn in Zukunft berechnen. Ich mußte glauben, daß dies ein Vorwand sei, mir mit Anstand einmal ein ansehnliches Geschenk machen zu können. So kam ich mit meinem Gesandten in Deine Vaterstadt, wo sich nachher mein Schicksal auf die Art, wie Du es weißt, entwickelte.

Und Du hast niemals von diesem herrlichen Andreas wieder etwas erfahren? fragte Clara.

Zwei Briefe erhielt ich von ihm aus jenem fernen Weltteile, antwortete Heinrich; nachher erfuhr ich von einem unverbürgten Gerücht er sei daselbst an der Cholera gestorben. So war er mir entrückt, mein Vater war nicht mehr, ich war gänzlich, auch in Ansehung meines Vermögens, auf mich selbst angewiesen. Doch genoß ich die Gunst meines Gesandten, bei meinem Hofe war ich nicht unbeliebt, ich durfte auf mächtige Beschützer rechnen – und alles das ist verschwunden.

Ja wohl, sagte Clara, Du hast mir Alles aufgeopfert, und ich bin ebenfalls von den Meinigen auf immer ausgestoßen.

Um so mehr muß uns die Liebe Alles ersetzen, sagte der Gatte, und so ist es auch; denn unsre Flitterwochen, wie die prosaischen Menschen sie nennen, haben sich doch nun schon weit über ein Jahr hinaus erstreckt.

Aber Dein schönes Buch, sagte Clara, Deine herrliche Dichtung! Hätten wir nur wenigstens eine Abschrift davon behalten können. Wie möchten wir uns daran ergötzen in diesen langen Winterabenden! – Ja freilich, setzte sie seufzend hinzu, müßten uns dann auch Lichter zu Gebote stehen.

Laß gut sein, Clärchen, tröstete der Mann; wir schwatzen, und das ist noch besser; ich höre den Ton Deiner Stimme, Du singst mir ein Lied, oder Du schlägst gar ein himmlisches Gelächter auf. Diese Lachtöne habe ich noch niemals im Leben, als nur von Dir vernommen. Es ist ein so reiner Jubel, ein so überirdisches Jauchzen, und dabei ein so feines und innig rührendes Gefühl in diesem Klange des Ergötzens und Übermutes, daß ich entzückt zuhöre und zugleich darüber denke und grüble. Denn, mein zarter Engel, es gibt Fälle und Stimmungen, wo man über einen Menschen, den man schon lange, lange kennt, erschrickt, sich zuweilen entsetzt, wenn er ein Lachen aufschlägt, das ihm recht von Herzen geht und das wir bis dahin noch nicht von ihm vernommen haben. Selbst bei zarten Mädchen, und die mir bis dahin gefielen, ist mir dergleichen wohl begegnet. Wie in manchem Herzen unerkannt ein süßer Engel schlummert, der nur auf den Genius wartet, der ihn erwecken soll, so schläft oft in graziösen und liebenswerten Menschen doch im tiefen Hintergrund ein ganz gemeiner Sinn, der dann aus seinen Träumen auffährt, wenn ihm einmal das Komische mit voller Kraft in des Gemütes verborgenstes Gemach dringt. Unser Instinkt fühlt dann, daß in diesem Wesen etwas liege, wovor wir uns hüten müssen. O wie bedeutungsvoll, wie charakteristisch ist das Lachen der Menschen! Das Deinige, mein Herz, möchte ich einmal poetisch beschreiben können.

Hüten wir uns aber, erinnerte sie, nicht unbillig zu werden. Das allzugenaue Beobachten der Menschen kann leicht zur Menschenfeindschaft führen.

Daß jener junge, leichtsinnige Buchhändler, fuhr Heinrich fort, bankrott gemacht hat und mit meinem herrlichen Manuskript in alle Welt gelaufen ist, dient gewiß auch zu unserm Glück. Wie leicht, daß der Umgang mit ihm, das gedruckte Buch, das Schwatzen darüber in der Stadt die Aufmerksamkeit der Neugierigen auf uns hierher gelenkt hätte. Noch hat die Verfolgung Deines Vaters und Deiner Familie gewiß nicht nachgelassen; man hätte wohl meine Pässe von Neuem und schärfer untersucht, man wäre auf den Argwohn geraten, daß mein Name nur ein falscher und angenommener sei, und so hätte man uns bei meiner Hülflosigkeit und da ich mir durch meine Flucht den Zorn meiner Regierung zugezogen habe, wohl gar getrennt, Dich Deinen Angehörigen zurückgesendet und mich in einen schwierigen Prozeß verwickelt. So, mein Engel, sind wir ja in unsrer Verborgenheit glücklich und überglücklich.

Da es schon dunkel geworden und das Feuer im Ofen ausgebrannt war, so begaben sich die beiden glücklichen Menschen in die enge, kleine Kammer auf ihr gemeinschaftliches Lager. Hier fühlten sie nichts von dem zunehmenden, erstarrenden Frost, von dem Schneegestöber, das an ihre kleinen Fenster schlug. Heitre Träume umgaukelten sie, Glück, Wohlstand und Freude umgaben sie in einer schönen Natur, und als sie aus der anmutigen Täuschung erwachten, erfreute sie die Wirklichkeit doch inniger. Sie plauderten im Dunkeln noch fort und verzögerten es, aufzustehen und sich anzukleiden, weil der Frost sie draußen und Mühsal erwartete. Indessen schimmerte schon der Tag und Clara eilte in das beschränkte Zimmer, um aus der Asche den Funken zu wecken und das kleine Feuer im Ofen anzuzünden. Heinrich half ihr und sie lachten wie die Kinder, als ihr Werk immer noch nicht gelingen wollte. Endlich, nach vieler Anstrengung von Hauchen und Blasen, so daß Beide rote Gesichter bekommen hatten, entzündete sich der Span, und das wenige, feingeschnittene Holz wurde künstlich gelegt, um ohne Verschwendung den Ofen und das kleine Zimmer zu erwärmen. Du siehst, lieber Mann, sagte die Frau, daß wir etwa nur auf morgen Vorrat haben: wie dann? –

Es muß sich ja etwas finden, erwiderte Heinrich mit einem Blicke, als wenn sie etwas ganz Überflüssiges gesprochen hätte.

Es war ganz hell geworden, die Wassersuppe war ihnen das köstlichste Frühstück, von Kuß und Gespräch gewürzt, und Heinrich setzte der Gattin auseinander, wie falsch jenes lateinische Sprüchwort sei: Sine Baccho et Cerere friget Venus. So vergingen ihnen die Stunden.

Ich freue mich schon darauf, sagte Heinrich, wenn ich in meinem Tagebuche an die Stelle kommen werde, wie ich Dich, Geliebte, plötzlich entführen mußte.

O Himmel! rief sie, wie uns damals jener wunderbare Augenblick so seltsam und unerwartet überraschte! Schon seit einigen Tagen hatte ich an meinem Vater eine gewisse Verstimmung bemerkt; er sprach in einem andern Tone zu mir als gewöhnlich. Er hatte sich früher über Deine häufigen Besuche gewundert; jetzt nannte er Dich nicht, sprach aber von Bürgerlichen, die ihre Stellung so oft verkennen und sich den Besten unbedingt gleichstellen wollten. Da ich nicht antwortete, wurde er böse, und da ich endlich sprach, artete seine Laune in heftigen Zorn aus.