Ich sah in 22 Gärten von mehreren Zwergstädten auf einmal das Knicksen, Zappeln, Hunds-, Pfauen-, Fuchsschwänzen, Lorgnieren, Raillieren und Raffinieren von unzähligen Zwergstädtern, alle (was eben der wahre Jammer ist) mit den Ansprüchen, Kleidern, Servicen, Möblen der Großstädter. – Hier in der einen Tanzkolonne die Sedezstädterinnen mit bleihaltigen Gliedern und Ideen, aber doch in gebildete Shawls eingewindelt und in der griechischen Löwenhaut schwimmend, viele wie Hühner4 und Offiziere mit Federbüschen kränklich bewachsen, andere in ihren alten Tagen mit bunten Kleiderflügeln behangen als Denkzetteln der jungen, wie man sonst gebräunte Pfauen mit ungerupften Flügeln in der Bratenschüssel servierte. – – In der entgegenstehenden Kolonne die Elegants und Roués, wie sie keine Residenzstadt aufweiset, die Narzissen-Jüngerschaft des Handels, des Militärs und der Justiz, deren modische Kruste in schneller Hitze ausbuk voll schwerer roher Krume, sprechend von Ton und schöner Welt, sehr badinierend über die alte langschößige in der Stadt; nicht gerechnet eine Sammlung gepuderter zarter Junker-Gesichter, die aus Billards und Schlössern vorgucken, wie aus dem durchlöcherten Kaninchenberg weißköpfige Kaninchen. – – Graul, über einen ganz vollen sächsischen Garten dieser Art, einen Kaninchengarten, mit eleganten langhosigen Ohnehosen besamet, streckt' ich im Zorn transitorisch meinen Arm aus, wie Xanthippe ihren über ihren Sokrates unter der Haustüre, und goß es – os en parodo – auf die Lustpartie hinunter- – mit Effekt, gebe der Himmel! Auf keine andere Weise als mit diesem Strichregen macht' ich meine erste Gastrolle in der kursächsischen Atmosphäre als Jagdtäufer.
Aber so ist die ganze ungeweihte Erde. Man denkt sich nur immer die eigne Stadt als das Filial und das Wirtschaftsgebäude zu einer entfernten Sonnenstadt; könnte man aber durch alle Gassen auf der Kugel auf einmal hinunter- und hinaufsehen und so immer dieselbe Gemeinhut der Alltäglichkeit auf beiden Kugelhälften finden: so würde man fragen: ist das die berühmte Erde? »Das Spuckkästchen drunten, das Pißbidorchen, das ist der Planet«, würd' ich einem Seraph antworten, der vor mir vorbeiflöge und mich bäte, ihn zurechtzuweisen.
Das ist eben meine zweite Hölle – oben gedacht' ich meiner ersten –, daß ich so unzählige Narren, die wie Luftbetten nach jeder Erniedrigung sich selber wieder heben – die Billionen, die sich den ganzen Monat die Huldigungsgerüste selber bauen – die Repetieruhren, die es immer wiederholen, wie weit sie vorgerückt – alle die Trommelsüchtigen in tausend Dörfern, Gerichtsstuben, Expeditionsstuben, Lehrsälen, Ratsstuben und Kulissen und Souffleurlöchern, welche lustig schwellen können, ohne daß man ihnen mit dem Trokar einen tapfern Stich geben kann, das ist meine Hölle5, daß ich so viele Windschläuche mir denken muß, denen ich nie beikommen kann, weil manche einen ganzen Erdmesser weit von mir liegen. – – O Gott, nur einen Jüngsten Tag der allgemeinen Demütigung – gern fahr' ich dann ab! –
Aber zurück zu meinen andern Fahrten! Gestern am zweiten Pfingsttag erwacht' ich über dem Fürstentümlein Vierreuter6 und wurde gerade auf dessen Haupt- und Residenzstadt hergetrieben. Ich beschloß, in beiden meinen Kaffee zu trinken. Kurz vor dem Parisertore dreht' ich beide Hähne meiner Kugel auf, sowohl den für die Ausfuhr leichter als den für die Einfuhr schwerer Luft und fiel wie ein Stoßvogel innerhalb der Wache nieder. Aber das machte diese dumm und wild, sie rief den Tor-Katecheten, und dieser wollte durchaus wissen, wer ich wäre, ferner meine Geschäfte, mein Logement und die Zeit meines Bleibens. Ich entgegnete ihm ganz höflich, er würde recht haben, grob zu fragen, so wie die Schildwache, den schiefen Schlagbaum gerade zu ziehen und sich davor grimmig zu postieren – da kleine Fürstentümer und deren Residenzen, wie kleine Juwelen, leichter zu verlieren wären –, wenn ich draußen in einem Wagen vor dem Tor säße und es ansähe; allein jetzt sei ich ja, wie er sehe, darüber weg und schon einpassiert. Er gab durchaus nicht nach, ich auch nicht. Der Wehrstand, in den ich mich setzte, lockte den halben Wehrstand der Wachtstube um mich, Haustruppen im eigentlichen Sinn, die nie außerordentlichen Lärm in der Welt gemacht außer vor ihren eignen Ohren, wenn sie eben Gurken aßen. Du sagtest einmal, Graul, du getrautest dich, wenn du am Grenzwappen ständest, über das ganze Fürstentum leicht wegzupissen, so schmal lauf' es fort. Ich gab der Landmacht um mich herum etwas Ähnliches zu verstehen, indem ich sie fragte, ob man hierso wie eine gewisse Stadt vor einem blinden Tore eine lebendige Wache hätte – nicht ebensogut vor wahre Tore blinde oder gemalte Wachen stellen könnte, die man gar nicht abzulösen brauchte.
Da sich darauf die Landmacht rüstete, mich ernsthafter zu berennen: ließ ich bloß meinen grünen Mantel ein wenig auseinanderfallen; sogleich schlug ich den Heerbann aus dem Felde – mit einer Kröte. Im ganzen Fürstentum Vierreuter steht nämlich kein Orden in größerem Ansehen als der französische oder neufränkische, den der Fürst selber gestiftet, damit er zum Großmeister erhoben würde von sich. Nach der Analogie von Deutschmeistern und deutschen Herren nennt er sich Frankenmeister und die Ritter Frankenherren. Sie tragen (denn er mußte mich in Marseille auch zu einem machen) im Knopfloch an grünem Bande eine goldne Kröte – wenns nicht bloß ein Frosch sein soll (da sie so groß ist wie der am Fiedelbogen) –; vermutlich soll die Kröte auf die französische Lilie (der Sage nach der Nachflor der Kröte) hinführen.
Es ist gar nicht zu sagen – wenn man nicht im Kammerkollegium sitzt –, um wie viele Zolle der vierreutersche Ordensgeneral durch die Erfindung seines Frosch- oder Krötenordens dem Lande die Geldgurt weiter und voller gemacht, – – bloß weil er aus beiden kein Goldstäubchen hinausfliegen ließ in fremde Länder für fremde Titel. Erstlich der Fürst selber, der, denk' ich, den besten und daher teuersten Titel verlangen darf, legt – anstatt sich einen, z.B. das überteuerte blaue Hosenband aus England zu verschreiben, eine wahre Staats-Aderlaßbinde – ein inländisches Fabrikat um den Leib, das ihm keinen Heller kostet, sondern nur ein Wort, und er steht so gratis als Groß- oder Frankenmeister des Krötenordens fertig vor Europa da. Oder verlangt man, daß ein Herr, der das ganze Jahr Titel und Bänder an alle Welt, oft an die größten Tropfen und Ausländer ausgeworfen, sich selber zu nichts kreieren und durch kein Selbstband zeigen soll, wie er sich ehre? –
Zweitens: da die Menschen auf dem schlaffen Seile der seidnen Bänder am liebsten tanzen: so können in Ländern, die mit Metallsaiten bezogen werden sollen, gar nicht Basler Ordensbandfabriken genug errichtet werden, damit man die Menschen und ihr Geld bei der Ehre fasse! Der Frosch setzte mich und meine Injurien in Sicherheit und Achtung und darauf in den Gasthof, wo ich sogleich nach dem Balbier und nach dem Hofmarschall schickte, um durch beide den Zutritt zur Cour zu erwerben. Ich und der Fürst waren uns einander ehemals in Marseille in den Kulissen des Théatre des Variétés aufgestoßen und sehr bekannt geworden. Die Wahrheit zu sagen, wollt' ich dem Hofe Verdruß machen und mich nachher wieder in die Luft. Ich wurde angenommen; aber da ich im Verzugs- und Anstandssaale auftrat unter den Frankenherren ohne Courflagge und Courruder, ohne Haarbeutel und Degen: so mußt' ich mich ein wenig auf dem Rücken und von der Seite ansehen lassen. Endlich erschien unser Frankenmeister mit seiner Meisterin. Ich wurde ihm präsentiert wie ein lebender Wechsel auf die Vergangenheit, aber nicht außerordentlich honoriert und akzeptiert; – die Arme, womit er sonst jugendlich an sich drückte, waren – der eine durch das feste Halten des gewichtigen Zepters, der andere als Tragebalken und Atlas des Thronhimmels – ganz steif geworden und die weichen Hände sehr kallös. Er konnte die Ellenbogen so wenig um mich zusammenschlagen als ein Wegweiser seine hölzernen. Ich führte ihn leise auf einige Juvenalia zurück, besonders auf ein Inkognitohaus in Marseille, das eigentlich das wahre Théatre des Variétés war, wo ich ihn mehrere Sonntage vormittags damit außer Fassung brachte, daß ich ihn daran erinnerte, wie gerade jetzt (in diesen etwas apokryphischen Horen) auf allen Kanzeln seines Landes in den kanonischen werde um das Vergnügen und die Tugend des Landesherrn geflehet werden und besonders darum, daß er gesund wiederkomme –: er ging darauf allemal ans Fenster des Theaters und hatte Gedanken.
Aber heute brach er ab mit einem gezwungenen Lächeln. – Serenissima sah stolz über die öden Plätze meines Körpers hin, wo ich mich als eine bloße Henne darstellte mitten unter so vielen Courhähnen mit Kamm und Sporen – nämlich ohne Haarbeutel und Degen. Sie ist eigentlich die Goldschaumschlägerin des zeremoniellen Rausch- und Knistergoldes; ihre Courparole Von hätte den Adam, ihren Urherrn, als einen tafelunfähigen von wenig oder gar keinen Ahnen – weil Präadamiten schwer zu dokumentieren sind – von ihrem Tischtuch verjagt. Sie wußte von den Römern, daß Sklaven oder (in der Sprache des Mittelalters) Leute frei würden, wenn sie mit dem Herrn äßen.
Endlich machte sich der Hof zum Marsche ins Tafel- oder Stummenzimmer mobil, und wir Kammer-und Frankenherren – meistens Leute, die nichts zu essen haben außer im Bratenrock und die sich mit dem Degen an der Seite den Weg bahnen zur Schüssel – und sämtliche Minister des Ländchens drangen in keilförmiger Ordnung voran, und die fürstliche Familie schleifte leicht hintennach.
1 comment