– – Die Langeweile, als die Königin des Balles, war bald hinten, bald vornen und flog wie eine muntere Hausfrau unter den Gästen umher.
Vierundvierzig Worte wurden zur Tafel geliefert und an fünfundvierzigtausend Seufzer – ich hatte Zeit zum Zählen der Lieferungen als der größte Seufzer-Lieferant. O ihr Deutschen, warum sprecht ihr so wenig, zumal am Hofe, und vollends die Vierreuter! Sprechen ist Wachen, Schweigen nur Schlaf. Wenn man in Neapel die Satisfaktion hat, zu erfahren, daß jeder Balbier und Schneider einen zweiten zum Fremden mitbringt, um, während er rasiert oder misset, ein Sprechmitglied, einen Turniergenossen der Redeübung zu haben – und daß sogar der Souffleur sich noch einen Zungenableiter und Mitlauter im Kasten hält: so weiß man nicht, was man in Deutschland zu dem allgemeinen Zungenkrebs und Lippenkrebs – nur der letztere ist eine Krankheit bei Menschen – sagen soll, und das ist eben wieder deutsch und stumm. Sobald der Deutsche mit seiner Historie fertig ist denn wie der Brite kein Frühstück ohne gedruckte Zeitung, so genießet überall der Mensch nichts ohne mündliche –: so kommt er gar nicht wie der Franzose erst recht ins ästhetische und philosophische Sprechen hinein, sondern er ist schon fertig mit allem.
Nur die drei Minister – so schreibt man Präsident, wenns mit großen oder Anfangsbuchstaben stehen soll – hatten den Mut (weil man sie haben mußte), zuweilen ein weises und langweiliges Wort zu sagen. Leute von Jahren und von hohen Ämtern exerzieren überall das Servitut der Langenweile, dieser Figurantin der Weisheit. Die Menschen machen es mit sich wie die Vogelfänger mit dem Hasenbalg, sie stülpen ihn zu einem Eulenkopf um (wie er auf Minervens Panzer sitzen könnte): dann fangen sie das leichtfertige Gevögel.
– Und dem fliegt Giannozzo so gern an der Spitze vor. Ich verfiel da wieder auf meinen alten Hotel-Spaß. Ich glaubte nämlich einiges Leben in die Eß-Konsulta zu bringen, wenn ich mich stellte, als entflöhe meines. Anfangs ließ ich einige nicht schrecklose Zuckungen über das Gesicht weglaufen; man sah sie sehr aufmerksam an; ich trug noch ein paar harte nach – und sank unversehens in die Ohnmacht. Ich wurde von einem Käferschwarm von Bedienten aufgefangen und umschnurrt. Da ich wieder auf den Sessel und zum Besinnen kam, fand ich zu meiner Lust den Diskurs allgemein. Ich mußte jeden aus der Angst des Rezidivs herausziehen, damit man mich nur sitzen ließe. Sooft nun wieder Mattigkeit einfiel und Tafeljammer: so lehnt' ich mich zurück und spielte auf meinem Gesicht mit matten Kräusel- und Anfangsbuchstaben von Versterben; aber ein schwacher Zickzack von Mienen reichte hin, alle zu beseelen und mich wieder aufrecht zu setzen. Die kahlköpfigsten Hofleute wollen sich – wie sie mir abermals schmeichelten – keines so amüsanten Diners entsonnen haben, als dieses durch meine mimischen Konfigurationen war. Ich selber wurde überhaupt allgemein gesucht, weil ich aus der Luft herabgefahren war und man mich wieder auffahren zu sehen hoffte. Abends im Novitätentempel – so hieß als Widerspiel des Antikentempels ein schlechter Speisesaal im Park – bracht' ich gar etwas in der Tasche mit, was die Gäste in so viel Feuer und Handlung setzen sollte als die Pucelle oder jede andere Muse und was ich auf dem Kirchturm, den ich deswegen zum Spaß bestiegen, eingesteckt hatte; – es waren ein paar Fledermäuse.
Es fiel darauf ein Land- und Lufttreffen zwischen den Froschrittern und Fledermäusen im Saale vor, daß der offizielle Bericht durchaus bekannt zu werden verdient, den ich an auswärtige Mächte davon aufgesetzt unter dem imposanten Titel:
Frosch- und Mäusekrieg im Novitätentempel zu Vierreuter
Als der Schelm Giannozzo eben vor dem warmen Suppenteller saß und jeder andere auch: schlüpft' er heimlich mit der Linken in die Tasche und holte unter der Chauve-souris-Maske des Schnupftuchs unbemerkt (weil der Hof auf die Löffel sah) seine Fledermäuse hervor und ließ solche unter der Tafel los. Wenige Sekunden darauf ging die Lust-partie à la guerre an, die zweite Hof-Dame sah zuerst als Vorpost und enfant perdu die fliegenden Drachen oben fahren und rief nicht »wer da«, sondern wußt' es sogleich und schrie bloß: perdu, weil sie: enfant ausließ. Die andern Damen riefen in zwei Sprachen: Himmel! – wenige Herren: Hölle! – die meisten beides. Auf dieses Kriegsgeschrei sprangen viele der meisten Krötenritter von ihren Sesseln auf und wieder darauf hinauf und zogen ihre Hof-Raufer, um sich mit den Mäusen auf Hieb und Stoß zugleich und sogleich einzulassen. Die schwere Kolonne, deren Backen und Bauch am Hofpol wie Wasser im Frost konvex geworden waren, erwartete den Feind auf dem Fußoden und hielt die Hüften-Bajonette vor. – Das Bedientenvolks-Aufgebot rannte aufgebracht umher, die meisten schlugen mit der Fahne der Serviette, womit sie den Teller gehalten, nach den fliegenden Corps, wenige mit den breitgedrückten Halbpfündern von Tellern. – Bloß ihr Chef, der alte ernste, hinter Stühlen grau gewordene Haushofmeister, stand vom Schrecken halb erwürgt und von seinem Verstande verlassen da und versuchte gegen beide Unglücksvögel einige schwache Luftstreiche mit dem Säbel des Trenchiermessers, die man jedoch als Kommandoschwenkungen auf der vorteilhaftern Seite nehmen konnte. – Nur der Generalissimus und Frankenmeister nahm mit einem unbegreiflichen Mute (der ganze Hof ist hier der Nachwelt der beste Bürge) noch ganz gefasset fünf oder sechs Löffel Suppe zu sich, während diese schon eine soupe dansante geworden und das Treffen allgemein, die Ministers aufgestanden und die meisten Weiber und Kammerjunker schon entflohen waren. – Für einen Mann dieses Muts war es, auch wenn er nicht der Kommandeur des Froschordens wäre, wohl nichts weiter, als was sich von ihm präsumieren lässet, daß er den Löffel weglegte und sich, mit nichts als einem Hasenbrecher in der Hand armiert, mitten ins dickste Gefecht mit dem Flügelwerk begab. – Von dem Schelm Giannozzo muß man doch das Gute sagen, daß er die Fürstin als die Schachkönigin deckte als Turm, vor ihr auf einem Stuhl postiert und mit einer Gabel die Mäuse parierend; ja es schreibt den Schelm in die Rubrik großer Helden ein, daß er vermögend war, mitten unter den Schwertern zu raillieren, das Treffen ein Schifferstechen und dergl. zu nennen und seinen eignen Krötenorden nur wenig zu schonen.
Da nun der selber zu seiner prätorianischen Kohorte abreisende Frankenmeister sich an die Spitze der Frosch- und Krötenmäusler setzte: so wirkte er, wie Ziskas Haut auf der Trommel, auf sein Heer; – es entstand ein Handgemenge ohnegleichen – die Krötenritterschaft nahm sich zusammen, und das Flugstechen fing nun erst, da die Ritter bisher öfters vom Geflügel überflügelt worden und der Übermacht gewichen waren, recht erbittert und glücklich an. – – Wahrlich das jetzige Geschrei der Weiber das Blinken der Stoßgewehre – das Flattern der Fahnen und Mäuse – das Sturmlaufen der Froschmäusler – das Stehen der drei Minister, die den Flug der Vögel beobachteten als Augure – der erwürgte sinnlose Haushofmeister mit dem Messer, der noch schwenkte – das alles zusammen formierte ein Schauspiel, dergleichen man im Novitätentempel zwar kein braveres, aber auch kein terribleres je gesehn hat, ausgenommen etwan sein Ende. Denn der Ordens- und Obergeneral war so glücklich, den rechten feindlichen Flügel mit dem Hasenbrecher unter sich zu bringen und solchen wirklich zu erstoßen; worauf sich sogleich – weil in derselben Zeit der Schelm Giannozzo den linken Flügel an dem rechten der Maus in geschickter Stechweite mit seiner Gabel aufspießte und so alle Gefahr vorüber war – der sämtliche Hof in corpore zu dem Sieger und der Maus hinzudrängte und jeder ihm wie an einer Geburtstags-Cour seine Glückwünsche abstattete. Aus dem lebendigen Gefangenen an der Gabel und dessen Krummschließer wurde, wie es schien, weniger gemacht, und der besagte Schelm mit seinem Vogel schien nur den roten Adler zu tragen an ihr, Serenissimus aber den schwarzen.
Ende des berühmten vierreuterischen Kriegs
Nach den Krötenritterspielen stand die Lust wie ein langes Morgenrot über der Tischgenossenschaft. Sie wollte noch ein Abendrot dazu haben, nämlich meine Auffahrt in der Nacht; und ich wurde daher allgemein geachtet, wie es Menschen pflegen.
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