Deutsche Gedichte

Fleming, Paul

Deutsche Gedichte

 

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Paul Fleming

Deutsche Gedichte

Dem Durchläuchtigen, Hochgebornen Fürsten und Herrn, H. Friedrich, Erben zu Norwegen, Regierenden Herzogen zu Schleßwig, Holstein, Stormar und der Ditmarschen, Grafen zu Oldenburg und Delmenhorst, u.s.w. Meinem gnädigsten Fürsten und Herrn diß ganze Werk und insonderheit das erste Buch der Poetischen Wälder

 

P.F.

 

 

Poetische Wälder

 

1. Von geistlichen Sachen

 

Davids des hebreischen Königs und Propheten Busz-Psalme und Manasse des Königs Juda Gebet, als er zu Babel gefangen war.

 

1631.

 

An die Wolgeborne Gräfin und Frau, Frau Katharinen, Frau von Schönburg, Frau zu Glaucha und Waldenburg, geborne Wild- und Rheingräfin, u.s.w.

 

Sonnet

Was uns den Himmel sperrt, die Welt zu enge macht,

die lasse Seele zwängt, den kranken Leib verzehret,

was uns bei Freuden Lust, bei Lachen Lachen wehret,

den langen Tag entfärbt, erschreckt bei Mitternacht,

was mit uns geht zur Kost, steht, sitzt, entschläft, erwacht,

das erste lange Leid, das Eva auf uns kehret,

und was das arge Fleisch noch täglich üben lehret,

auch wie wir armes Volk zu Rechte werden bracht:

das klagt und lehrt diß Buch. Wenn ihr denn, Ruhmb der Frauen,

das gnädige Gesicht' in diese Schrift laßt schauen,

so hoffet euch nur nicht der Wörter schönen Schein!

Denkt, Mutter, denkt viel mehr, daß keine böse Sache

der angeschminkte Glanz der Reden besser mache!

Der Richter siht hier nicht, was wir von außen sein.

 

P.F.V.H.

 

1. Der 6. Psalm
Ein Psalm Davids, vorzusingen auf acht Saiten

 

Ach schone, großer Herr, ach schone mich zu strafen,

wenn deine Huld und Gunst bei dir ist ganz entschlafen,

und du für Zorne brennst! Herr, züchtige mich nicht,

wenn dir die Grimmesglut aus Mund und Augen bricht,

die niemand tragen kan! Umb so viel mehr laß blicken

dein Gnadenangesicht, indem mich unterdrücken

viel tausent Schmerz und Angst! Herr, heile, heile mich,

weil ich voll Schwachheit bin! O Arzt, erweise dich!

Die Seele zittert mir. Ach Herr, ach Herr, wie lange?

Das Mark verschwindet aus, das Reißen macht mir bange,

das meine Beine kreischt. Herr, wende dich einmal,

und hilf mir, so du wilst, aus dieser Seelenqual!

Wer wird dir, wenn du mich nun wirst getötet haben,

für deine Hülf' und Treu' erlegen solche Gaben,

wie ich bißher getan? wer wil dir danken doch

und denken deiner Ehr' in jenem finstern Loch,

in welches du mich wirfst? Das herzenswehe Seufzen

macht mich so laß und matt, daß ich auch kaum kan geufzen.

Der Angstschweiß schwemmet mir durch manche ganze Nacht

mein müdes Lager aus. Das Qual der Thränen macht

mein Bett' als eine Bach. Wo ist mein' erste Blüte,

da ich so schöne war, das freudige Gemüte?

Die Augen dunkeln mich, die ausgefleischte Haut

wird schlaff und runzelt sich, daß mir selbst für mir graut.

Ich bin bei Leben tot. Man drängt mich vorn und hinden.

Hier ädert mich dein Grimm, den ich durch meine Sünden

gehäufet hab' auf mich, dort ängstet mich ein Man

(ach wär' es Einer nur!), dem ich kein Leid getan.

Weg, ihr verruchtes Volk, ihr Übeltäter, weichet!

Mein Jammerseufzen hat die blaue Burg erreichet

und ihren Prinz bewegt zu müssen gnädig sein.

Das Wetter ist vorbei, nun hab' ich Sonnenschein;

mein Flehen ist erhört, ich habe Gott zum Freunde.

Wie ist euch nun zu Mut, ihr schlangenarge Feinde?

Erschrecken müsset ihr für meinem Gott und mir

und plötzlich kehren umb mit Schanden für und für.

 

 

2. Der 32. Psalm
Eine Unterweisung Davids

Wie selig, selig ist ein Sterblicher zu schätzen,

dem Gott den Sündenrest fern aus den Augen setzen,

ja gänzlich schenken kan, dem seiner Gnaden Tuch

den Wust der Fehler deckt, der Segen kriegt für Fluch!

Ich sage noch einmal, daß selig der zu preisen,

dem Gott an Zorrens statt sich milde kan erweisen,

erläßt ihm Straf' und Schuld, der nur bekennet frei,

von allem Heucheln weit, daß er ein Sünder sei.

Denn als ich meine Not auch dachte zu verschweigen,

da wolte mir für Angst der Beine Mark verseigen.

Durch die Gewissensqual entgieng mir meine Kraft,

von deiner schweren Hand verlor ich allen Saft.

Wie wenn zu Sommerszeit die durstigen Gefilder

der grimme Hundsstern brennt, der Auen schöne Bilder,

die Blumen werden welk und hängen unter sich,

Herr, also stund es auch umb meinen Schmuck und mich.

Ich wil nur meine Schuld geradezu bekennen

und deinen Geisel mich ganz unverholen nennen.

Ich spreche: Sihe Herr, das ist der Sünden Knecht!

alsbald vergiebst du mir und machest mich gerecht,

streichst jene Handschrift durch. Umb dieses muß ein ieder,

ja auch die Heiligen vor dir sich bücken nieder

und einen Fußfall tun; drumb sind sie außer Not,

wenn eine große Flut sie gar wil haben tot

und taucht sie unter sich. Herr, du bist mein Erretter,

behüte mich für Angst, vertilge meine Spötter!

Ich pfände dir mich ein zu sagen werthen Dank,

zu rühmen deine Kraft durch einen Lobgesang.

Herr, sprich zu mir: Kom her, ich wil dich unterweisen!

hier ist der wahre Steg, hier kanstu zu mir reisen,

und meinen Himmel an. Kom, richte dich nach mir!

mein klares Augenliecht sol stets dir gehen für

und eine Fackel sein. – Seid nicht so unverständig,

wie Gäul' und Mäuler sein, die eh' nicht werden bändig,

als wenn ihr wildes Maul ein scharfer Zügel zwingt,

daß ihnen Blut und Schaum durch beide Lefzen dringt;

da werden sie erst zahm. Der Böse hat viel Plagen;

wer auf den Herren hofft, der kan von Gutem sagen.

Seid, ihr Gerechten, froh, und ihr, ihr Frommen, rühmt!

Diß ist der rechte Preis, der unserm Herren ziemt.

 

 

3. Der 38. Psalm
Ein Psalm Davids, zum Gedächtnüß

Jehovah, straf mich nicht, wenn deines Zorrens Flammen

verzehren alle Gunst, gehn über mir zusammen!

Wenn deines Grimmes Loh in vollem Sturme fährt,

die dieses alles auch in einem Nu verheert,

dann züchtige mich nicht! Du siehst ohn diß die Schmerzen,

so deine grimme Pfeil' erregen meinem Herzen.

Für deinem Dräuen, Herr, ist nichts an mir gesund,

dein' Hand ist mir zu schwer, sie schlägt mich krank und wund;

mein Leib ist strimenvoll, ich habe keinen Friede,

ich, wolgeplagter Mensch, in irgends einem Gliede.

Der schwere Sündenschmerz greift auch die Knochen an,

der übermachte Schmerz, und wütet was er kan.

Die Größe meiner Schuld ist über mich gestiegen,

hoch über dieses Haupt. Ich muß, ich muß erliegen.

Sie drückt mich unter sich, wie von der schweren Bürd'

ein schwacher Rücken gar in sich gequetschet wird.

Die Haut ist voller Wust, die Torheitwunden stinken,

die Schwere gehen auf. Ich muß für Schmerzen sinken.

Ich gehe manchen Tag ganz traurig, krumb, gebückt,

die Lenden dorren aus. Da ist nichts, das erquickt

den ungesunden Leib und lindert meine Beulen.

Ich bin nicht itzo ich. Ich muß für Unruh heulen,

die mir mein Leben frißt. Herr, du weists besser noch

als ich dirs klagen kan, was mich drückt für ein Joch.

Diß Seufzen kennest du. Mein mattes Herze zittert,

die erste Kraft ist hin, der ganze Leib erschüttert.

Die Glieder werden welk, der blöden Augen Liecht

ist wie ein dicker Dampf. Da ist kein Kläger nicht,

der Beileid mit mir trägt. Ein Greuel ists zu sagen!

Ja, auch die Freunde selbst, die scheuen meine Plagen

und stehen weit von mir. Der vor mein Nächster war,

ist jetzt der Ferneste.