Die Unzerstörbarkeit der Bewegung kann nicht bloß quantitativ, sie muß auch qualitativ gefaßt werden; eine Materie, deren rein mechanische Ortsveränderung zwar die Möglichkeit in sich trägt, unter günstigen Bedingungen in Wärme, Elektrizität, chemische Aktion, Leben umzuschlagen, die aber außerstande ist, diese Bedingungen aus sich selbst zu erzeugen, eine solche Materie hat Bewegung eingebüßt; eine Bewegung, die die Fähigkeit verloren hat, sich in die ihr zukommenden verschiedenen Formen umzusetzen, hat zwar noch Dynamis, aber keine Energeia mehr, und ist damit teilweise zerstört worden. Beides aber ist undenkbar.
Soviel ist sicher: Es gab eine Zeit, wo die Materie unsrer Weltinsel eine solche Menge Bewegung – welcher Art, wissen wir bis jetzt nicht – in Wärme umgesetzt hatte, daß daraus die zu (nach Mädler) mindestens 20 Millionen Sternen gehörigen Sonnensysteme sich entwickeln konnten, deren allmähliches Absterben ebenfalls gewiß ist. Wie ging dieser Umsatz[325] vor sich? Wir wissen es ebensowenig, wie Pater Secchi weiß, ob das künftige caput mortuum unsres Sonnensystems je wieder in Rohstoff zu neuen Sonnensystemen verwandelt wird. Aber entweder müssen wir hier auf den Schöpfer rekurrieren, oder wir sind zu der Schlußfolgerung gezwungen, daß der glühende Rohstoff zu den Sonnensystemen unsrer Weltinsel auf natürlichem Wege erzeugt wurde, durch Bewegungsverwandlungen, die der sich bewegenden Materie von Natur zustehn, und deren Bedingungen also auch von der Materie, wenn auch erst nach Millionen und aber Millionen Jahren, mehr oder weniger zufällig, aber mit der auch dem Zufall inhärenten Notwendigkeit sich reproduzieren müssen.
Die Möglichkeit einer solchen Umwandlung wird mehr und mehr zugegeben. Man kommt zu der Ansicht, daß die Weltkörper die schließliche Bestimmung haben, ineinander zu fallen, und man berechnet sogar die Wärmemenge, die sich bei solchen Zusammenstößen entwickeln muß. Das plötzliche Aufblitzen neuer Sterne, das ebenso plötzliche hellere Aufleuchten altbekannter, von dem die Astronomie uns berichtet, erklärt sich am leichtesten aus solchen Zusammenstößen. Dabei bewegt sich nicht nur unsre Planetengruppe um die Sonne und unsre Sonne innerhalb unsrer Weltinsel, sondern auch unsre ganze Weltinsel bewegt sich fort im Weltraum in temporärem, relativem Gleichgewicht mit den übrigen Weltinseln; denn selbst relatives Gleichgewicht frei schwebender Körper kann nur bestehn bei gegenseitig bedingter Bewegung; und manche nehmen an, daß die Temperatur im Weltraum nicht überall dieselbe ist. Endlich: Wir wissen, daß mit Ausnahme eines verschwindend kleinen Teils die Wärme der zahllosen Sonnen unsrer Weltinsel im Raum verschwindet und sich vergeblich abmüht, die Temperatur des Weltraums auch nur um ein Milliontel Grad Celsius zu erhöhen. Was wird aus all dieser enormen Wärmequantität? Ist sie für alle Zeiten aufgegangen in dem Versuch, den Weltraum zu heizen, hat sie praktisch aufgehört zu existieren und besteht sie nur noch theoretisch weiter in der Tatsache, daß der Weltraum wärmer geworden ist um einen Graddezimalbruchteil, der mit zehn oder mehr Nullen anfängt? Diese Annahme leugnet die Unzerstörbarkeit der Bewegung; sie läßt die Möglichkeit zu, daß durch sukzessives Ineinanderfallen der Weltkörper alle vorhandene mechanische Bewegung in Wärme verwandelt und diese in den Weltraum ausgestrahlt werde, womit trotz aller »Unzerstörbarkeit der Kraft« alle Bewegung überhaupt aufgehört hätte. (Es zeigt sich hier beiläufig, wie schief die Bezeichnung: Unzerstörbarkeit der Kraft, statt Unzerstörbarkeit der Bewegung ist.) Wir kommen also zu dem Schluß, daß auf[326] einem Wege, den es später einmal die Aufgabe der Naturforschung sein wird aufzuzeigen, die in den Weltraum ausgestrahlte Wärme die Möglichkeit haben muß, in eine andre Bewegungsform sich umzusetzen, in der sie wieder zur Sammlung und Betätigung kommen kann. Und damit fällt die Hauptschwierigkeit, die der Rückverwandlung abgelebter Sonnen in glühenden Dunst entgegenstand.
Übrigens ist die sich ewig wiederholende Aufeinanderfolge der Welten in der endlosen Zeit nur die logische Ergänzung des Nebeneinanderbestehens zahlloser Welten im endlosen Raum – ein Satz, dessen Notwendigkeit sich sogar dem antitheoretischen Yankee-Gehirn Drapers aufzwingt.3
Es ist ein ewiger Kreislauf, in dem die Materie sich bewegt, ein Kreislauf, der seine Bahn wohl erst in Zeiträumen vollendet, für die unser Erdenjahr kein ausreichender Maßstab mehr ist, ein Kreislauf, in dem die Zeit der höchsten Entwicklung, die Zeit des organischen Lebens und noch mehr die des Lebens selbst- und naturbewußter Wesen ebenso knapp bemessen ist wie der Raum, in dem Leben und Selbstbewußtsein zur Geltung kommen; ein Kreislauf, in dem jede endliche Daseinsweise der Materie, sei sie Sonne oder Dunstnebel, einzelnes Tier oder Tiergattung, chemische Verbindung oder Trennung, gleicherweise vergänglich, und worin nichts ewig ist als die ewig sich verändernde, ewig sich bewegende Materie und die Gesetze, nach denen sie sich bewegt und verändert. Aber wie oft und wie unbarmherzig auch in Zeit und Raum dieser Kreislauf sich vollzieht; wieviel Millionen Sonnen und Erden auch entstehn und vergehn mögen; wie lange es auch dauern mag, bis in einem Sonnensystem nur auf Einem Planeten die Bedingungen des organischen Lebens sich herstellen; wie zahllose organische Wesen auch vorhergehn und vorher untergehn müssen, ehe aus ihrer Mitte sich Tiere mit denkfähigem Gehirn entwickeln und für eine kurze Spanne Zeit lebensfähige Bedingungen vorfinden, um dann auch ohne Gnade ausgerottet zu werden – wir haben die Gewißheit, daß die Materie in allen ihren Wandlungen ewig dieselbe bleibt, daß keins ihrer Attribute je verlorengehn kann, und daß sie daher auch mit derselben eisernen Notwendigkeit, womit sie auf der Erde ihre höchste Blüte, den denkenden Geist, wieder ausrotten wird, ihn anderswo und in andrer Zeit wieder erzeugen muß.[327]
Fußnoten
A1 Am Rande des Manuskripts vermerkte Engels mit Bleistift: »Torricelli bei Gelegenheit der Alpenstromregulierung«
A2 Am Rande des Manuskripts vermerkte Engels: »Die Festigkeit der alten Naturanschauung lieferte den Boden zur allgemeinen Zusammenfassung der gesamten Naturwissenschaft als ein ganzes. Die französischen Enzyklopädisten, noch rein mechanisch nebeneinander, dann gleichzeitig St. Simon und deutsche Naturphilosophie, vollendet durch Hegel.«
1 Wie unerschütterlich noch 1861 ein Mann an diese Ansicht glauben kann, dessen wissenschaftliche Leistungen höchst bedeutendes Material zu ihrer Beseitigung geliefert haben, zeigen folgende klassischen Worte:
»Alle [Einrichtungen im System unserer Sonne zielen, soweit wir sie zu durchschauen imstande sind, auf Erhaltung des Bestehenden und unabänderliche Dauer. Wie kein Tier, keine Pflanze der Erde seit den ältesten Zeiten vollkommener oder überhaupt ein anderes geworden ist, wie wir in allen Organismen nur Stufenfolgen nebeneinander, nicht nacheinander antreffen, wie unser eigenes Geschlecht in körperlicher Beziehung stets dasselbe geblichen ist – so wird auch selbst die größte Mannigfaltigkeit der koexistierenden Weltkörper uns nicht berechtigen, in diesen Formen bloß verschiedene Entwicklungsstufen anzunehmen, vielmehr ist alles Erschaffene gleich vollkommen] in sich« (Mädler, »Pop. Astr[onomie]«, Berlin 1861, 5. Aufl., S.316).
A3 Am Rande des Manuskripts vermerkte Engels mit Bleistift: »Flutwellenrotationshemmung, auch von Kant, erst jetzt verstanden«
2 Der Mangel der Lyellschen Anschauung – wenigstens in ihrer ersten Form – lag darin, daß sie die auf der Erde wirkenden Kräfte als konstant auffaßte, kon stant nach Qualität und Quantität. Die Abkühlung der Erde besteht nicht für ihn; die Erde entwickelt sich nicht in bestimmter Richtung, sie verändert sich bloß in zusammenhangsloser, zufälliger Weise.
A4 Am Rande des Manuskripts vermerkte Engels: »Embryologie«
A5 Am Rande des Manuskripts vermerkte Engels: »Ceratodus. Dito Archaeopteryx etc.«
A6 Dieser Abschnitt ist im Engelsschen Manuskript vom vorhergehenden und vom folgenden Absatz durch horizontale Striche getrennt und schräg durchgestrichen, wie es Engels mit solchen Absätzen eines Manuskripts zu tun pflegte, die er in anderen Arbeiten benutzt hatte.
3 »The multiplicity of worlds in infinite space leads to the conception of a succession of worlds in infinite time.« Draper, »Hist[ory of the] Int[ellectual] Devel[opment of Europe]«. Vol. II, p. [325].
Alte Vorrede zum »[Anti-] Dühring«
Über die Dialektik
Die nachfolgende Arbeit ist keineswegs aus »innerem Antrieb« entstanden. Im Gegenteil wird mir mein Freund Liebknecht bezeugen, wieviel Mühe es ihm gekostet hat, bis er mich bewog, die neueste sozialistische Theorie des Herrn Dühring kritisch zu beleuchten. Einmal dazu entschlossen, hatte ich keine andre Wahl, als diese Theorie, die sich selbst als letzte praktische Frucht eines neuen philosophischen Systems vorführt, im Zusammenhang dieses Systems und damit das System selbst zu untersuchen. Ich war also genötigt, Herrn Dühring auf jenes umfassende Gebiet zu folgen, wo er von allen möglichen Dingen spricht und noch von einigen andern. So entstand eine Reihe von Artikeln, die seit Anfang 1877 im Leipziger »Vorwärts« erschien und hier im Zusammenhang vorliegt.
Wenn die Kritik eines trotz aller Selbstanpreisung so höchst unbedeutenden Systems in dieser durch die Sache gebotenen Ausführlichkeit auftritt, so mögen zwei Umstände dies entschuldigen. Einerseits gab mir diese Kritik Gelegenheit, auf verschiedenen Gebieten meine Auffassung von Streitpunkten positiv zu entwickeln, die heute von allgemeinerem wissenschaftlichem oder praktischem Interesse sind. Und so wenig es mir einfallen kann, dem System des Herrn Dühring ein andres System entgegenzusetzen, so wird der Leser hoffentlich auch in den von mir aufgestellten Ansichten, bei aller Verschiedenheit des behandelten Stoffs, den inneren Zusammenhang nicht vermissen.
Andrerseits aber ist der »systemschaffende« Herr Dühring keine vereinzelte Erscheinung in der deutschen Gegenwart. Seit einiger Zeit schießen in Deutschland die philosophischen, namentlich die naturphilosophischen Systeme über Nacht zu Dutzenden auf wie die Pilze, von den zahllosen neuen Systemen der Politik, der Ökonomie usw. gar nicht zu sprechen.
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