Dichterleben (Zweiter Teil)

Tieck, Ludwig

Dichterleben (Zweiter Teil)

 

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Ludwig Tieck

Dichterleben

Zweiter Teil

(Der Dichter und sein Freund)

 

 

An einem warmen und heitern Sommertage stand der Wirt zur Krone in Oxford in der Tür seines großen Hauses, um die Kühlung zu genießen. Die Studierenden wandelten in ihren Mänteln im Schatten der Häuser, um sich vor der Stadt zu ergötzen. Ein großer lebhafter Mann, in der schwarzen Tracht des Gelehrten, kam mit eiligen Schritten die Straße herunter und blieb vor dem alten ehrsamen Bürger stehn, indem er sagte: »Euer Haus ist wieder leer, guter Mann, und es reisen nur wenige Menschen jetzt.«

»Nicht immer kann alles gleich sein«, erwiderte der Wirt, »eine große Feierlichkeit der Universität, eine Reise unsrer Königin Elisabeth, ein Fest in der Nähe, bringt dann einmal wieder alles doppelt und dreifach ein.«

»Man sagt«, erwiderte der Gelehrte, »es soll wieder eine Krankheit, eine ansteckende, und ein großes Sterben in London ausgebrochen sein, da werden sich wohl viele vom Adel und der reichen Bürgerschaft auf das Land hinausbegeben, und Eurer Krone wird es nicht an Gästen fehlen.«

»Ihr sprecht aber gar nicht mehr bei uns ein, verehrter Herr Cuffe«, antwortete der Gastwirt: »sonst versammeltet Ihr Euch so oft bei mir mit andern gelehrten Herren, und nebenher, daß ich schöne Kronen verdiente, erhört ich noch so manches gelehrte Wort bei der Aufwartung, so manchen Gedanken über Kirche und Staat, vielfältige Nachricht vom Zustand der Dinge in Europa, daß diese Abende zu den frohesten meines Lebens gehören. Auch könnt Ihr mir nicht nachsagen, daß ich mich aufgedrängt hätte, wenn ich merkte, Ihr wolltet allein sein, und noch weniger, daß ich an andere dumme Menschen das verschwatzt, was ich von Euch lernte.«

Der Gelehrte, welcher das Ansehn eines Mannes von einigen dreißig Jahren hatte, schien plötzlich verdrüßlich zu werden, denn er grüßte einen Professor, der soeben vorüberging, kaum, und sagte dann mit finstrer Miene: »Seht, Freund, seit ich auch Professor geworden bin, ist meine Jugend und mit ihr mein Frohsinn verschwunden. Wie vielen Verdruß ich schon überstanden habe, daß ich nicht sein kann wie meine ältern und jüngern Kollegen, wißt Ihr selbst. Ist man einmal verhaßt oder beneidet, so weiß der lauernde Argwohn aus den gleichgültigsten Dingen etwas Verdächtiges herauszulesen; jeder Einfall, jeder Scherz wird dann wiedererzählt, durch Zusätze entstellt, den Vorgesetzten und Protektoren mit höhnischen Bemerkungen mitgeteilt, und man ist gefährlich, gottlos, Verleumder, bittrer Satiriker – und, was weiß ich, alles – bloß, weil man so ganz natürlich sich hat gehn lassen, und seiner augenblicklichen Laune ohne Berechnung nachgegeben. Gehe ich mit den älteren Herren wie mit meinesgleichen um, so nennen sie mich anmaßend: tu ich dasselbe mit den jüngern, oder gar den Studierenden, so will ich mir eine Partei machen, so will ich sie wohl gar gegen diesen und jenen aufwiegeln.«

»Die Erhöhung des Standes«, sagte der Wirt bedächtig, »die Autorität erfordert freilich Zwang und Einschränkung, und wie ich mich dazumal verheiratete und Bürger hier in Oxford wurde, habe ich auch erfahren, wie schwer es mir in den ersten Monaten wurde, mich mit einer gewissen Würde zu betragen, denn es ist wie ein Spiel, das man lernen muß, diesen Schein, diese Äußerlichkeit sich zu eigen zu machen. Hat man das Ding erst weg, so muß man sich nur hüten, nicht des Guten zu viel zu tun, und darinnen zu schwelgen, denn es ist doch nichts so anmutig und bequem, als sich vor den Leuten ein rechtes Ansehn zu geben, daß sie sich gleichsam fürchten, und Gedanken, Einsicht und treffliches Wissen in so einem armen Kopf, wie der meinige ist, vermuten, bloß weil er vorn im Gesicht ein Aushängeschild von Weisheit und Tugend mit großen Buchstaben schweben läßt.«

»Hübsch und wahr«, sagte der Professor; »doch werde ich mir niemals ein solches Bierzeichen malen lassen. Schade um die Wand, die dadurch entstellt wird. – Doch gebt uns, Freund, heut abend das große Zimmer, denn ich denke mit einigen frohen Leuten mir einmal wieder eine gute Stunde zu machen.«

Der Professor entfernte sich und der Wirt schmunzelte und sagte für sich: »Vielleicht ist denn diese Herablassung auch nur eine andere Art des gelehrten Hochmutes. Ohne Eitelkeit und Hoffart lebt denn doch fast kein Mensch, wie das die tägliche Erfahrung gibt, und zu wissen, wo die Eitelkeit dieses und jenes liegt, ob in der Autorität, oder in der Gelehrsamkeit, oder in der Schönheit und im Reichtum, heißt den Menschen schon großenteils erkannt haben.«

Ein klepperndes Pferd, dessen Gang Müdigkeit ankündigte, ließ sich vernehmen. Bald ward der Reiter sichtbar, der sich bemühte, seinem Pferde neuen Mut einzuspornen, doch konnte er es nicht möglich machen, anders, als in einem Trab, der fast ein lahmer Paß war, vor dem Gasthof anzulangen. Er hielt; ein Aufwärter half ihm vom Roß, das der Diener sogleich in den Stall führte.

Der Fremde war vom Reiten erhitzt, er schien ein Mann von ohngefähr dreißig Jahren, war von mittlerer Größe, schlank gebaut und von freundlichem Wesen. Als der Wirt ihn begrüßte und der Gast den Hut abnahm, zeigte sich eine freie, heitre Stirn, von schlichten, dunkelbraunen Haaren umlegt. Im Verhältnis zum wohlgebauten Körper erschienen die Beine fast um etwas zu dünn; auch war der Tritt und Gang nicht so kräftig, als man dem sonst rüstigen Manne zutraute.

»Es macht heiß«, sagte der Wirt, »und nach dem Roß zu urteilen, habt Ihr, geehrter Herr, heut schon eine weite Tagereise gemacht.«

»Das Roß«, erwiderte jener, »ist nicht von den stärksten und schnellsten, aber freilich hat es arbeiten müssen, denn ich habe vorgestern um Mittag erst London verlassen. Räumet mir, wenn Ihr könnt, zwei Zimmer ein, denn ein Freund von mir wird heut noch eintreffen, und laßt meinen Mantelsack auf meine Stube bringen.«

Der Wirt verbeugte sich, und trat schnell in das Haus, um den Auftrag auszurichten. Der Fremde stand noch lange und betrachtete sinnend die Gebäude und die Stadt, dann ging er wie tiefdenkend vor dem Hause auf und ab, und schritt endlich langsam die Treppe hinauf, um sein Gemach aufzusuchen.

»Nun?« – sagte der Wirt im untern Zimmer zu einem magern, hochgewachsenen alten Mann, dessen Antlitz blaß und eingefallen war, die Lippen waren ihm so schmal, daß sie sich kaum zeigen konnten, und die kleinen Augen, von denen das rechte etwas schielte, funkelten mit blitzendem Feuer aus der blassen Maske des Gesichtes – »nun? alter Baptista, wie Ihr Euch am liebsten nennen hört, guter Freund und großer Philosoph, der Ihr alle Menschen aus dem Äußern, Gesicht, Händen, Haltung, Gang und Mienen erkennen wollt: – was urteilt Ihr von unserm soeben eingekehrten Fremden, den wir beide so genau beobachtet haben?«

Die hagre Gestalt stemmte den Ellbogen auf, und legte das eingefallene Gesicht in die Hand, indem er lange die Decke des Zimmers anstarrte. Der alte Wirt und dessen Frau waren in Erwartung, welche Aufschlüsse diesem langen Nachsinnen folgen würden; doch jener Physiognomiker, der es seinen Freunden angewöhnt hatte, ihn, nach seinem berühmten Zeitgenossen Baptista della Porta, Baptista zu nennen, sagte endlich feierlich und mit gemessener Stimme: »Liebe, wißbegierige Menschen und Freunde, daß ich nach dem herrlichen Buch des Porta keine unnützen Studien gemacht habe, könnt ihr mir bezeugen, da euch meine Urteile mehrmals überrascht, und meine Entdeckungen zuweilen erschreckt haben, denn die Wissenschaft kann nicht trügen. Aber dieser nicht große und nicht kleine, nicht dünne und nicht dicke Mann gibt mir zu schaffen und macht mich zwar nicht irre, aber doch sehr nachdenklich. Es gibt nun ein doppeltes Erkennen: ein verneinendes und ein bejahendes; und wenn das letzte auch nur das eigentliche ist, so darf man das erste, welches bestimmt aussagt, was ein Mensch nach seiner Gestaltung nicht ist und nicht sein kann, schon eine Vorrede, Einleitung, oder Vorbereitung zum bejahenden nennen. Dieser Mann also, in dem einfachen schwarzen Anzuge, der ohne alle Bedienung reiset, ist gewiß kein vornehmer Graf, oder Lord, denn alle seine Bewegungen sind bescheiden, und seine behende Wendung und Gangweise zeugt eher von angewöhnter Unterwürfigkeit. Er ist aber auch kein Schneider, denn seine Kleider sitzen etwas nachlässig, er sah auch den Schnitt des Rockes von zwei Vorübergehenden nicht an. Ein Mann, der Vieh einkauft, ist er ebenfalls nicht, noch ein Seefahrer, denn er ist zu tiefsinnig und nicht gleichgültig gelaunt, wodurch sich diese Leute immerdar auszeichnen.«

»Er ist auch kein Gastwirt«, unterbrach ihn der Wirt, »denn er sah nicht einmal nach dem Stall, wie der beschaffen ist; er ist auch kein Weinhändler, denn – –«

»Still!« rief Baptista, »Ihr fahrt mir ohne Not zwischen meine Betrachtungen, denn so ist es nicht gemeint, sonst könnte ich auch hinzufügen, er sei kein Koch, oder kein Bäcker, noch weniger ein Kärrner oder Müller. Ich will ja mit meiner Rede nur andeuten, daß dieser Mann nichts Gewöhnliches, allgemein Herkömmliches sei, sondern irgendeinen Beruf erfülle, den die Gesellschaft zu den seltenen rechne. – Habt ihr denn wohl, ihr Freunde, als er seinen Reithandschuh auszog, seine feingeformte, weiße, liebliche Hand gesehn? Ach! was kann der Menschenbeobachter aus den Händen alles lesen, ahnden, fühlen und fürchten! Ihr spracht vorher mit unserm verehrten Herrn Cuffe, Professor der griechischen Sprache im Merton-Collegium allhier; dieser noch junge Mann, dem so viele ältere Gelehrte wegen seines großen Wissens aufsässig sind, hat die schönste Hand, die ich in meinem Leben gesehn habe, so weiße, wie längliche Säulen gedrechselte Finger, die Knöchel bei jeder Bewegung wie Helfenbein hervorglänzend – ich könnte diese Hand immerdar in Liebe küssen, und schaudre doch vor dieser Schönheit zurück.«

»Wieso, Herr Philosoph?« fragte die Frau in Angst.

»Immer«, fuhr Baptista fort, »glänzen mich in diesen Knöcheln Totenschädel und die gebleichten Gebeine von Leichnamen an; mir ist immer zumut, als müsse der, der so wundersame Hand ausstreckt, eines gewaltsamen und frühen Todes sterben; auch deutet darauf seine Lebenslinie hin, die nur sehr kurz ist, und schon mitten in der Hand seltsam abbricht.«

»Laßt den jachzornigen, heftigen Mann nur nichts von Euren Grillen merken«, sagte der Wirt.

»Ei was!« erwiderte der Philosoph, »sein Schicksal, dem er die leuchtenden Hände entgegenreicht, wird ihn schon ohne mein Zutun ereilen. Aber, wieder auf unsern Fremden zu kommen: ich vermute: er ist etwa ein Rechnungsführer, oder Haushofmeister bei einer alten, reichen und vornehmen Dame. Sein Charakter ist mir aber völlig unverständlich, weil er eben so ganz wie ein Mensch aussieht.«

»Wie ein Mensch!« sagte der Wirt und lachte so heftig, daß er sich schüttelte. »Da habt Ihr in der Tat ein großes Geheimnis herausgebracht, daß er aussieht, wie wir alle. Und Rechnungsführer, Haushofmeister ist auch kein so absonderliches oder höchst seltnes Gewerbe.«

»Meinethalben«, antwortete Baptista empfindlich, »ich sprach dies nur obenhin, aber jenes erste Wort habt Ihr völlig mißverstanden, und lacht ganz ohne Ursache.