Das Buch meines verehrten Freundes Baptista della Porta ruht großenteils auf jenen Beobachtungen, von denen ich Euch schon sonst erzählte, wie die Gestaltungen der Tierköpfe sich in der Physiognomie des Menschen wiederholen, veredeln, oft parodieren und über sich selbst spotten: oder auch das Tragische im Ausdrucke des Tieres im Angesichte des Menschen klar und bestimmt aussprechen. Wie mancher Löwe, Tiger, Adler grinzt, blickt und brüllt uns aus wohlbekannten edlen oder verworfenen Menschen an! So seh ich völlig einem abgemergelten, durch Hunger gezähmten Habicht ähnlich. Betrachtet mich genauer und Ihr müßt Euch davon überzeugen. Ihr, Freund Leopold, habt ganz das unverkenntliche Ansehn eines Hundes, und zwar eines Bullenbeißers: seht in den Spiegel und stellt Euren Hofhund neben Euch, und Ihr findet dieselben Runzelfalten auf der Stirn, dieselben hängenden Wammen von den Wangen zum Hals hinunter, im finstern Blick der zusammengezogenen Augen dieselbe Gutmütigkeit und Treue. Eure gute Frau da ist völlig wie eine transmigrierte Gans, bloß sind die ausgedehnten Schnabelfutterale etwas mehr zu sogenannten Lippen zusammengezogen.«

»Ei was!« sagte die Frau sehr verdrüßlich: »laßt uns sein, wie uns Gott geschaffen hat, dessen Sache ist es, wenn er seine Allmacht beschränkt, und in das menschliche Wesen hinein die Wiederholung und Nachahmung seiner andern Kreaturen schreibt.«

»Die Philosophie«, sagte Baptista, »ist nicht dazu da, um unsern Sinnen oder der Eigenliebe zu schmeicheln. Wer hoch steigen will, darf die Treppen nicht scheuen. Wir selbst lügen uns schon hinreichend einander vor, die unsterbliche Wissenschaft muß sich nicht eben auch also erniedrigen. – Aber, auf unser Thema zurückzukommen – wie es so viele, vielleicht alle Tierbildungen sind, die sich im Menschen wieder abspiegeln, so muß sich doch auch das edelste Tier, der Mensch selbst, als solcher im Menschen wiederfinden. Und diese eigentümliche, diese wahre Menschheits-Linie richtig zu erkennen, ist für den Beobachter wohl die allerschwerste Aufgabe. Denn er muß die feine geistige Schrift lesen können, die Geheimschrift dem Ungeweihten ist und bleibt. Wenn Diogenes mit der Laterne am hellen Tage einen Menschen suchte, so kann im Gegenteil oft ein ganzes Chor von Chaldäern und Magiern den Menschen, der vor ihnen steht, nicht entziffern oder erkennen. Die Kanzleischrift jener Eselskinnbacken und Mohrenstirnen, der Kamel-Nasen und Affenblicke, der Hammel-Dumpfheit und Katzen-Lauersamkeit wird noch wohl zusammenbuchstabiert und mitunter vom Blatte schnell weggelesen; – aber die echte Form des wahren, natürlichen, einfachen und ungefälschten Menschen, dem nicht, wie die Farce in der Pastete, Tiergemengsel eingerührt und angeheftet ist, diese Schädel, Blicke, Wangen und Lippen, diese höchste Formation wird nur zu oft von den Menschen unbedeutend, gleichgültig, nichtssagend, mittelmäßig und wie noch genannt und gescholten, weil es die gelindeste Figur ist, die zarte Linie, die sich dem Menschenkenner offenbart. Und ein solcher ist unser Fremder. Er wird im Marktgewühl des Lebens weder als schön noch edel auffallen, und dennoch ist er nach meiner Einsicht beides. Fragt sich nun, wenn ich hierin recht habe, wie es denn keinen Zweifel leidet, ob diese Menschen-Linie, wie ich sie nenne, nur eine und dieselbe sei, ob es verschiedene, und wie viele Formationen es gibt, und dies zu entdecken und zu unterscheiden, ist gerade noch im Geheimnis der geheimnisvollste Punkt.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte der Gastwirt, dessen Frau sich schon während der letzten Rede entfernt hatte. Baptista fuhr, wie sich selbst belehrend, fort: »Sehe ich nun in unserm Gast Harmonie im Antlitz, Geist und Güte im Auge, den Adel in der Bildung des Hauptes, in den Lippen Scharfsinn, in Brust und Körper Verstand, Menschlichkeit, Kraft und Tugend – so – o weh! so stören die zu dünnen, zu beweglichen, ganz matten Beine diesen schönen Eindruck der Übereinstimmung und Vollendung. Und so wird es im menschlichen Leben immerdar sein. Irgendwo wird das edle Gleichgewicht aufgehoben, durch welches der Mensch in der Reihe der Geister obenan steht; und so wird auch dieser Fremde neben seinen Vortrefflichkeiten seine Schwächen und Fehler haben, die sein Gutes stören, vielleicht zuzeiten vernichten. Er mag auch wohl ein zu großer Freund der Weiber sein, denn seine schwankenden Beine verraten mir wenigstens, daß er jetzt in einer heftigen, wohl unmännlichen Verliebtheit befangen ist.«

»Wie?« sagte der Gastwirt, und setzte sich dicht an den Redenden, indem er ihm starr in die Augen sah, »an den Beinen erkennt Ihr das, tiefsinniger Forscher?«

»Ohne Zweifel«, antwortete Baptista ganz ruhig; »und am sichersten nur an den Beinen. Das Auge, die Stirne, Wange und Mund wird wohl auch von andern Affekten, von Bewunderung, großen Gedanken, oder Freuden an der Natur so in Bewegung gesetzt, daß der Unwissende den Liebenden erkennen möchte, von Seufzern, gen Himmel blicken, an die Brust schlagen und dergleichen mehr, gar nicht zu sprechen, die selbst durch Schulden, dringende Gläubiger und Furcht vor dem Gefängnisse erzeugt werden können. Wer aber recht leidenschaftlich verliebt ist, der bekommt, ohne es selbst zu wissen, einen ganz eigentümlichen Gang. Indem Kopf und Herz ganz mit dem angebeteten Bilde angefüllt sind, die Hände arbeiten, schreiben, oder in der Nähe der Hauptwache oben sich mit anständigen, ruhigen Gebärden bemühen, treibt die Leidenschaft und Schwärmerei, ohne Aufsicht gelassen, unten in den Beinen so recht dreist und vergnüglich ihr Wesen. Der Gang ist, wie auf einer feuchten, den Fuß hebenden Wiese, ein gewisser schwebender Rhythmus drückt sich in ihm aus, man möchte es Gesangesweise nennen: ginge der Liebende, wie die Alten, mit nacktem Fuß, so würden wir in jedem gekrümmten, zitternden, oder spielenden Zehen den Ausdruck der Leidenschaft im kleinen noch merklicher erkennen.«

Sowie der Alte die Rede schloß, hörte man von fern wieder ein Pferd, das aber im schnellsten Galopp über das Pflaster klirrte, und heran sprengte ein Jüngling von so wundersamer Schönheit, daß beide Männer ihn und sich mit Erstaunen ansahen. Ihm folgte ein zierlicher Diener, und indem der Reitende diesem sein Pferd, das sich noch mutig bäumte, gab, ließ er sich vom Aufwärter zu dem Zimmer des Fremden führen, nach welchem er sich sogleich mit dem ersten Worte erkundigt hatte.

»Seht Ihr«, rief der Physiognomiker: »wie richtig habe ich alles ergründet und gewahrsagt! da kommt unserm verliebten Fremden schon das allerschönste Mädchen des Landes nachgesprengt, die er aus einem vornehmen Hause entführt hat; gewiß die Tochter jener reichen hochadligen Witwe, deren Vermögen der Gast dort oben verwaltete und nun auf diese Weise mit ihr Abrechnung und Schluß gemacht hat. Ihr werdet sehn, daß wir in diesen Tagen noch etwas recht Seltsames erleben, denn gewiß wird die Mutter sowie die Verwandten die Flüchtige aufsuchen lassen und wieder zurückbringen wollen.«

»Ihr seid ein scharfsinniger Mann«, sagte der Wirt, »wie Ihr das alles so auf den ersten Blick erkennt. Aber hier in Oxford gibt es keinen einzigen Priester, der sie so schnell gegen den Willen ihrer Familie trauen wird. Die Verantwortung ist gar zu groß, wenn sie von vornehmem Geschlechte ist.«

»Das findet sich alles«, erwiderte der Philosoph, »denn es gibt immer verwegne Menschen. Ich wette, wenn sie sich diesem Professor Cuffe anvertrauen wollen, der ist tollkühn genug, irgendeinen armen Geistlichen zu bereden und herbeizuschaffen. Aber seht, seht«, schrie der Alte mit Enthusiasmus: »wer da noch herbeigeritten kommt!«

»Ei! ei!« rief der Wirt lebhaft, »unser allverehrter Herr Camden, der gewiß von seiner Reise aus Wallis zurückgekommen ist.«

»Das ist ein großer Mann!« fuhr Baptista fort, »er ist kaum vierzig Jahr alt, und hat schon so vieles geleistet. In Sprachen, Geographie, Geschichte, Kenntnis des Landes.«

»Dem muß ich selber den Steigbügel halten!« sagte der Wirt, indem er eilig hinauslief, und dem neu angekommenen Gaste mit großer Ehrfurcht vom Pferde half.