Ich erwiderte nichts, weil mir die Sprache versagte. Ich fühlte, daß sie mich niemals geliebt, ja daß sie nie auch nur Zärtlichkeit für mich gefühlt habe. Am Abend, als sich wieder Streit erhob und der Vater den Entschluß der jungen Frau vernahm, hörte ich von diesem ebenfalls, daß ich der Überlästige, Verderbliche sei, daß ich mich schämen müsse, wenn ich andern auch nicht nützlich sein möchte, mir selbst wenigstens nicht helfen und für mich sorgen zu können.

In der Nacht stand ich auf, nahm mein ältestes Kind und küßte es herzlich. Das Mädchen wußte nicht, was mit ihm geschah, ward aber, schlaftrunken, bald wieder ruhig. So ging ich aus dem Hause, ohne von irgend jemand gehört zu werden. Durch die stille, einsame Gasse schallte mein Gang, aber niemand begegnete mir. Draußen stand ich noch einmal still, übersah in der Dämmerung die Stätte meiner Geburt und meiner Leiden und warf mich dann, in tiefe Wehmut aufgelöst, in das Gras, indem ein unversiegbarer Tränenstrom aus meinen Augen brach. Meine Kindheit mit ihren Leiden, meine trübe Jugend ging durch man Gedächtnis. Ich durchlebte noch einmal alle die Szenen des Jammers, und fühlte im tiefsten Herzen, wie mich alle, selbst meine Mutter, verkannt hatten, sie nur nicht vorsätzlich. Wie bereuete ich es, daß Johanna sich mir je genähert hatte, denn ich fühlte nun, wie aus den frühen Scherzen und heitern Worten sich die Hölle herausgebildet hatte, die mich nun seit Jahren folterte. Mitten in dieser Trostlosigkeit, diesem Schmerz der Verzweiflung erhob sich aber klar und unerschütterlich das Bewußtsein, ich sei ein anderer, als für den mich die Menschen, auch meine nächsten Befreundeten, hielten, und so stand ich auf, ein anderes Wesen, als meine Tränen versiegt waren. Keiner verlor an mir, wenn ich fort war, alle gewannen, wie sie so oft ausgesprochen hatten; ich hatte alles gelitten und getan, was nur möglich war, und es war meine Pflicht, mich aus diesem Elend zu retten. Freilich hatte ich, um meinem Vater meine unfruchtbare Hülfe zu widmen, meine Jugend verloren, doch blieb mir die Hoffnung, noch zu lernen, und irgendwo eine Lücke zu finden, die ich mit meinem Leben ausfüllen könne.

In dieser Stimmung kam ich nach einigen Tagen in London an.« –

»Armer Freund!« unterbrach hier Southampton den erzählenden Dichter. »Wie schwer ist dir von doch gütigen Göttern das Jugendleben gemacht worden, um dich deinem Beruf und Ruhm, der Dichtkunst, entgegenzuführen. Es scheint nicht, daß Feen oder Musen an deiner Wiege gestanden haben. Und doch ist dein unerschöpfliches Reden und Dichten, daß ich heiraten und Kinder erzeugen soll, da ich gerade jetzt in dem Alter stehe, in welchem du vor zehn Jahren deine unglückselige Laufbahn als Ehemann begannest.«

»Welch ein Unterschied!« sagte der Dichter, »von Euch, Graf, der Ihr der einzige, nachgelassene Erbe eines großen Namens und Hauses und reicher Güter seid, von Euch wünscht die edle Mutter und alle, die es mit Euch gut meinen, daß Ihr Euch in der frühesten Jugend vermählen möchtet, damit Euer Name nicht erlischt und Eure Reichtümer nicht auf andre Familien übergehen. Und wieder muß ich, weil es meine Überzeugung ist, daran mahnen, daß Ihr es Eurer Schönheit, Euern Voreltern und der Zukunft schuldig seid, Euch eine Gattin zu suchen, die Eurer würdig ist.«

Das schöne Gesicht des Jünglings verzog sich in Verdruß, indem er sagte: »Laß das, lieber Willy, dieses Thema unsers fortwährenden Streites. Ich kann und mag dir hierin nicht Gehör geben. Keine Pflicht gegen meine Familie kann höher stehen, als die gegen mich selbst. Soll ich irgendein edles Wesen unglücklich machen, und mich, indem ich so ohne Beruf mich in eine Lebensbahn begebe, die mir nicht zusagt, eine Sache leichtsinnig wage, die mir geradezu verhaßt ist? Ich will noch meine Jugend und Freiheit genießen: nächst meinen Büchern und der Ungebundenheit kenne ich mir nichts Erfreulicheres als schöne Rosse und muntere Hunde, die Jagd im Walde, den frohen freien Umblick in lustiger Gegend. Ich bin gesund, heiter, die Welt gefällt mir, die Poesie entzückt mich – aber was die Liebe sei, die Hingebung an das Weib, jener Zauber, der von diesem ausgeht, kann ich in der Phantasie mir wohl vorbilden, aber mit dem Herzen nicht glauben. Daß viele Mädchen schön sind, sieht mein junges Auge; aber, wie ich eine begehren, wie ihr Besitz mich glücklich machen könnte, ist mir unfaßlich. Eher sind sie mir, wenn ich sie auf dergleichen Wünsche ansehn mußte, zuwider, um nicht verhaßt zu sagen. Meine Mutter spricht immer, als wenn ich morgen sterben würde, und du stimmst ebenfalls in diesen Ton. Laß das, Liebster, wenn du mich nicht verstimmen willst. Die Geschichte deiner Ehe ist eben ein abschreckendes Beispiel für meine frühe Jugend. Jener Druck der Armut würde mich nicht quälen und mit der Braut entzweien, wohl aber mein Eigensinn, meine Heftigkeit, mein Jähzorn, Fehler, die dir ganz fremd sind. Die Mädchen gefallen mir nur in der Ferne, wie Bilder; will sich eine nähern, so wird sie mir verhaßt. Was ihr von Reizen fabelt, von Sehnsucht, von unwiderstehlichem Zauber, ist mir in der Wirklichkeit nur lächerlich, denn mein braunes Roß dünkt mir bis jetzt schöner, als alle weiblichen Gebilde. In Eurer Fabelwelt müßt ihr Dichter die Liebe freilich zum Mittelpunkt eurer Dichtungen machen.«

»Dieses spröde Zurückziehn der Schönheit«, erwiderte der Dichter, »dieses herbe Verschmähen der Liebe und des Weibes habe ich eben in meinem Adonis schildern wollen, und du selbst, Geliebtester, bist mein Modell zu dem Gemälde dieses schönsten Jünglings gewesen.«

»Das Buch«, erwiderte der junge Graf, »bewundre ich, wie dir wohl bekannt ist, aber alle diese schönen Verse und verführerischen Schilderungen werden mich nicht bekehren und meinem Glauben untreu machen.