Und, sonderbar genug, nach einiger Zeit ging Johanna in diese Vorstellungsweise ein, nicht schnell, aber nach und nach, ihr selbst fast unmerklich. Es ist wunderbar, welche Kraft in der Lüge steckt, die an sich doch das Wesenlose, Nichtige ist, daß sie mit jedem Tage mehr die lichte Wahrheit und das Leben so verschatten kann, daß bei leidenschaftlichen Menschen nach einiger Zeit kaum eine Gegend der Klarheit übrigbleibt. Diese traurige Erfahrung machte ich in meiner Familie, und nur meine zärtliche Mutter hielt sich von diesem Truge frei und sah, daß ich das Opfer der Zufälle und meines Leichtsinns geworden sei, die mich nun hinderten, irgendeine Bestimmung zu finden, die mir zukomme, und die ich erfüllen könne.
Da ich das Vermögen meiner Frau aus unsern Händen weggegeben hatte, so konnte ich auf eigne Gefahr nichts unternehmen, die Geschäfte meines Vaters, in denen ich helfen sollte, verwickelte er immer mehr, ohne von mir Rat anzunehmen. Bei neuen Unruhen und Gerüchten im Lande waren wir vielen Einwohnern der Stadt verdächtig, denen wir immer noch für Katholiken galten, und mehr als einmal meinte mein melancholischer Vater, ihm gehe alles hinderlich, weil er im Glauben nicht treu gewesen; so daß ich, wie ein Gefangener in Ketten, unfähig zu helfen, unfähig war etwas zu tun. Wie bereuete ich meine Freiheit, die mir eine einzige unbewachte, mir noch unbegreifliche Stunde geraubt hatte, denn wenn diese mich nicht überrascht hätte, konnte ich wenigstens als Abenteurer in alle Welt gehn, um irgendwo ein Glück aufzusuchen. Jetzt fesselte mich das große schöne Auge meines Töchterchens und dieser tiefsinnige Blick der Unschuld.
Ist nur der erste Schritt getan, daß man es über sich gewinnen kann, einen Menschen vorsätzlich zu verkennen, so geben sich die folgenden von selbst, und die Kunst, oder wie soll ich es nennen? ihn zu verachten, wächst schnell zu einer außerordentlichen Höhe an. Johanna, vielleicht um sich selbst höher zu stellen, gesellte sich wieder mehr zu ihrer Familie und hörte auf die leidenschaftlichen Einreden von Vettern und Brüdern, so daß sie mich mit diesen als listigen, gewandten Verführer behandelte, ohne in Rechnung zu stellen, daß sie mir in Alter und Erfahrung um acht Jahre voraus sei. Unter erhitzten, leidenschaftlichen Menschen wird man selbst unvermerkt leidenschaftlich, und so begegnete es mir einigemal, die Märtyrer der Protestanten heftig gegen meinen Vater zu verteidigen, und auf den Papst, die gestorbene Maria und jene von Schottland in harten Worten zu schelten, wodurch mein Vater, der zu andern Zeiten wohl dieselbe Ansicht hatte, in Wut und Zorn geriet.
In diesem Elend, wie andre Verzweifelnde sich wohl dem Wein ergeben, nahm ich, um nur etwas Trost zu fassen und meine Umgebung zu vergessen, meine Zuflucht zu den Musen. Selig fühlte ich mich, wenn ich mich, unter dem Vorwande zu rechnen, auf ein Stübchen oben einschließen konnte, um zu dichten und mir eine Welt zu erschaffen, die um so mehr aus Licht und Freude zusammengewebt war, je mehr diese mir in meinem wirklichen Leben fehlten. Aber Johanna entdeckte diese schwachen, ungeschickten Versuche, die weit mehr dienten, mich zu zerstreuen, als daß sie sonst irgendeinen Wert gehabt hätten. Neuer Zank erhob sich, und, als wenn meine Kräfte nun erschöpft wären, ließ ich mich fallen. Da kein Mensch ohne Fehler und Schwächen ist, so kann sich jeder, wenn sein Herz erst abstirbt, die Überzeugung einreden lassen, und sich an sie gewöhnen, er sei schlecht, verderbt und nichtsnutzig. Las ich im Chaucer, so war ich auf dem Wege, wieder etwas Törichtes zu treiben; sah ich heiter aus, oder lächelte, so war es gefühlloser Leichtsinn, daß ich bei den Leiden der Familie gleichgültig sei; war ich ernst, so brütete ich auf neuen Streit oder unziemende Lehre und Ketzerei. Auch die Verwirrung und den schlechten Zustand des Handels schob man mir zu und bildete sich ein, daß es früher, als ich nicht am Geschäft teilgenommen, viel besser mit diesem gestanden habe. So zerrann die Zeit und mein Leben, alles Vertrauen zu mir erstarb, mein Sinn wurde nüchtern und matt, und absterbend in Langeweile und Verdruß erlebte ich die Trauer, daß nach achtzehn Monaten meine Frau mit Zwillingen, einem Sohn und einer Tochter niederkam. Brüder und Schwestern waren mir auch wieder geboren worden, und so umgaben uns Kinder, an deren Zukunft wir denken sollten, und durch den Verfall aller Verhältnisse mußte man mit Bangigkeit in die Ferne schauen, und entbehrte noch den Trost, der oft die Bettler aufrecht hält, daß Liebe und Wohlwollen uns in Heiterkeit vereinigten.
Oftmals, wenn ich mich am Abend auf mein Lager streckte, wünschte ich, nicht wieder aufzuwachen. Es war nirgend eine Hoffnung mehr übrig, eine Aussicht, als auf den Tod, und mein Leben war verloren, bevor ich es nur begonnen hatte. Sah ich einen Hausierer vorübergehen, der mit seinem schweren Pack durch das Land zog, so verfolgte ich ihn mit Neid auf seinem Gange durch die Welt, und sah ihn in Gedanken mutig über die Hügel und durch die Wälder schreiten, und am Abend sich seines Gewinstes in der Herberge erfreuen. Wenn der Morgen dämmerte, graute mir, aufzustehn, denn kein Wesen war erfreut, mich wiederzusehn, und ich wußte schon, daß man meinen Kindern, sowie sie nur begreifen konnten, dieselbe Geringschätzung gegen mich beibringen würde. Meine ältern Bekannten waren mir alle empört, weil sie mich für schlecht und leichtsinnig hielten, die jüngern verspotteten mich, als einen Armseligen, der sich das Joch der Ehe und mit ihm alle Sklaverei so geduldig hatte überwerfen lassen.
Als Johanna wiederhergestellt war, als sie wieder ausging und sich munter und stark wie gewöhnlich zeigte, nahm ich mir vor, ernst und liebevoll mit ihr zu sprechen, daß sie wenigstens meine Lage lindern und mich nicht zur Verzweiflung bringen solle. Sie war zu ihren Eltern auf das Dorf hinausgegangen und ich ging ihr am Abend auf dem halben Weg entgegen. Sie war verstimmt, zornig und ihr Betragen gegen mich war noch abstoßender als sonst. Ich sagte ihr von meinen Beschwerden, erinnerte sie an die Vergangenheit und suchte ihr deutlich zu machen, wie wenig ich um sie diese Launen und Verachtung verdient habe. Diese Auseinandersetzung war aber ganz umsonst, um so mehr, da es jetzt schon das Bedürfnis, ja der Trost ihres Lebens geworden war, mich als den Feind, der sie unglücklich gemacht habe, anzusehn. Ich erfuhr nun auch die Ursach ihrer noch herbern Stimmung. Ein reicher Gutsbesitzer war unvermutet über See zurückgekommen. Er hatte eben die Hochzeit mit einem schönen und reichen Mädchen im Dorfe gefeiert. Alle hatten geglaubt, er würde draußen auf dem festen Lande bleiben, weil er Handel trieb; er war früher mit Johanna bekannt gewesen und sie hatte wohl im stillen auf ihn gerechnet. Sie warf mir geradezu vor, daß ich sie auf zeitlebens unglücklich und zum Gegenstande der Verachtung gemacht habe, indem die ganze Landschaft sie verspotte, daß sie an einen unmündigen Burschen weggeworfen sei, der sich selbst nicht, viel weniger sie und ihre Kinder zu ernähren wisse. Es sei auch mit den Eltern, die den Unfug nicht länger dulden wollten, beschlossen worden, daß Johanna mit ihren drei Kindern zu ihnen ziehen solle, um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, noch mehr unglückliche Waisen in die Welt zu setzen.
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