Baptista machte sich auch herbei, um dem Gelehrten seine Verehrung zu bezeigen, den er schon seit länger kannte. »Ei!« sagte der Wirt, »wie wird sich der gelehrte Herr Cuffe freuen, wenn er hört, daß Ihr die Universität wieder durch Eure Gegenwart beglückt. Ihr erlaubt mir doch, gleich zu ihm zu senden, denn er hat immer von Euch gesprochen, seitdem Ihr im Frühjahr bei dem ungesunden Wetter nach Wallis hineinreisetet.«

»Ist mein junger Freund wohl?« fragte Camden.

»Ja wohl«, erwiderte der Gastwirt: »wie immer, ein recht erfreulicher Mann.« Camden gab dem alten Baptista, der sich sehr um ihn bemühte, die Hand, und alle traten in das Haus.

Als es Abend geworden, kam der joviale Cuffe nach dem Gasthofe, um seinen ältern Freund Camden, den er so sehr hochschätzte, zu begrüßen. Er brachte zwei junge Leute mit sich, die nach Italien reisen wollten, um das Land und die Menschen kennenzulernen. Der ältere, Smith, war ein Verehrer der italienischen Dichtkunst, und der jüngere, Wilton, hatte sich mit Glück in lateinischen Versen versucht. Als Camden und Cuffe hörten, daß noch zwei Fremde im Hause wohnten, die von London zu Pferde gekommen wären, so schickten sie den Wirt zu diesen, um sie einzuladen, am gemeinsamen Gastmahl teilzunehmen. Während der Abwesenheit des Wirtes erzählte Baptista von dem entführten vornehmen Mädchen, und wie der verdächtige Fremde schon im voraus ein Zimmer neben dem seinigen bestellt habe. Ehe man die Sache noch weiter erörtert hatte, kam der Wirt zurück und meldete mit schalkhaftem Lächeln, die beiden Fremden würden mit Dank die Einladung annehmen und sich sehr geehrt fühlen, einer so ausgewählten Gesellschaft beiwohnen zu dürfen, wenn es ihnen erlaubt sei, Stand und Namen zu verschweigen. Man bewilligte diesen Wunsch, und selbst der ältere Camden glaubte jetzt, daß an der Erzählung des schwärmerischen Baptista etwas Wahres sein müsse. Alle sahen den beiden mit gespannter Erwartung entgegen, und als diese eintraten, wurden sie von den Anwesenden scharf geprüft und Stellung, Ton und Gestalt nach der Voraussetzung gemustert. Alle erstaunten über die Schönheit des Jünglings, den sie für ein flüchtiges, entführtes Mädchen hielten, und der lebhafte Cuffe beneidete dem Fremden den Besitz dieser wunderbaren Jungfrau, die sogleich bei ihrem ersten Erscheinen aller Herzen gewonnen hatte.

»Wie mögt Ihr nur«, hub Cuffe bei Tische an, »teurer Wilton, Euch so abquälen, so vortreffliche lateinische Verse zu machen? Ich weiß wohl, daß Euch diese Geschicklichkeit bei hundert und wohl mehrern hundert Pedanten nicht nur in England, sondern in ganz Europa, mehr Ansehn verschafft, als wenn Ihr Ariost und Tasso in Eurer Person vereinigtet. Kann Euch an solchem Ruhm etwas liegen, und was habt Ihr selbst im eignen Gemüt für Genuß von dieser Geschicklichkeit? Wahrer Poet kann niemand in fremder, toter Sprache werden, er singt und dichtet nur für Gelehrte, die selbst halb oder ganz tot in ihren engen Stuben und unter den bestäubten Büchern sitzen. Ihr nehmt auch nur mit mehr oder minder Geschick und Glück die schon fertigen Reden und Wendungen aus dem Gedächtnis auf, statt aus der Phantasie, und das ganze Bestreben läuft auf eine Anstrengung, wie das Schauspiel, oder dem etwa Ähnliches, hinaus.«

»Gelehrter Freund«, antwortete Camden bedächtig, »Eure unruhige Unzufriedenheit spricht da gegen alle gelehrte, ja vielleicht menschliche Tätigkeit. Ist denn eben jede Poesie viel etwas anders? die Worte sind in der Sprache da, und Ihr könnt auch nur Gedanken mit diesen bekleiden: daß diese Gedanken aber groß und edel sind, mit Energie und Kürze, wohllautend und so ausgedrückt werden, daß sie sich leicht dem Gedächtnis einprägen, ist Euch, wenn Ihr Talent dazu habt, in jeder Sprache unbenommen, und vorzüglich in der römischen, deren vornehmer Anstand, ihr voller Ton, ihre gebildete Kürze und Virgilianische Süßigkeit oder leichte philosophische Geschwätzigkeit des Horaz in jedem von uns, der die Universitäten sah, schon von selbst die Erinnerung an alles Würdige weckt, so daß dem Poeten hier zumeist die Stimmung des Lesers schon entgegenkommt.«

»So ist es«, rief der unbekannte Jüngling hinüber, »wir selbst sind schon die halben Dichter, indem wir uns unsrer Erziehung und aller jener Eindrücke erinnern, die uns auf dem Wege der Verehrung und heiliger Dunkelheit die aufgeschlagenen Klassiker zuführten. Das aber ist es gerade, was ich mit jenem geistreichen Herrn Cuffe am meisten tadeln möchte. Die Sprache selbst ist der Poet und eigentlich Neues kann in ihr wohl nicht gesagt werden. Wie anders, wer sich in der lebendigen, sich fortbewegenden Muttersprache kann vernehmen lassen. Eine neue Beziehung, die angeklungen, eine geistige Unterscheidung und Nebenbedeutung, welche angehaucht wird, können ein altes Wort zu einem neuen umschaffen: es bleibt unbenommen, aus dem gemeinen Leben das Bedeutsame in die Schriftsprache überzutragen, und Worte so zu veredeln, oder neu zu schaffen. So wächst die Rede, und mit ihr wird das, was in unserer Phantasie oder im Gefühl dunkel schwebt, deutlicher, der Poet ist selbst begeistert und begeistert auch seine Zuhörer, und so muß denn nach meiner Einsicht die wahre Dichtkunst etwas ganz andres sein und werden, als jene Tapetenwirkerei, die uns der verehrte Herr Camden für solche unterschieben wollte. Vergebt mir, werte Herren, daß ich als der Jüngste am Tische, mich mit meiner Meinung vielleicht zu voreilig hervorgedrängt habe.«

Die übrigen sahen sich erstaunt an und der alte Baptista rieb sich froh lächelnd die Hände. Der aufwartende Gastwirt sah den Jüngling mit dem größten Erstaunen an, daß ein Mädchen so gelehrt und noch dreister und zuversichtlicher als gelehrt sein könne. Camden erwiderte nach einer Pause mit einem bedeutenden Blicke zum Sprecher hinüber: »So anmutige Jugend hat immerdar recht, wenigstens ist es schwer, die rechten Argumente ihr gegenüber zu finden, die sie widerlegen könnten.«

»Nein«, sagte Cuffe sehr lebhaft, »so, Teuerster, müßt Ihr den jungen Mann nicht abweisen wollen, der sich in seinen Worten gleich als meinen Freund erwiesen und mein Herz für sich gewonnen hat. Denn eben darum handelt es sich ja, ob es eine ursprüngliche neulebendige Poesie in unsern Tagen geben könne, oder ob wir nur jenen Mustern des Altertums nachlallen dürfen, wie das Kind der Amme. Daß Italien große, wahrhafte Gesänge erzeugte, die jeden, der Ohr und Sinn hat, begeistern, wissen und glauben wir alle, nur daran zweifeln die meisten, und unter diesen vorzüglich die Gebildeteren, ob es uns Engländern noch einmal gelingen wird, die Muse herbeizurufen, daß sie sich in unsern einheimischen Tönen vernehmen lasse. Von wem, wie, bei welcher Veranlassung soll dies Wunderwerk hervorgebracht werden? Aus welcher Gegend unsers unfruchtbaren Bodens soll dieser neu belebende Quell entspringen? Wir haben manches versucht, aber in allem klingt und schmeckt hart oder fade der Ton und die Würze vor, die wir schon als verdorben von jenen Lateinern empfangen haben.«

»Wie anders«, setzte Smith jetzt das Gespräch fort, »ist es mit meinen geliebten Italienern. Wie schwimmt in diesem Strom des Wohllauts der dichtende Schwan und spielt im klaren Gewässer, in diesen lautern Sprachwellen, die schon seit Petrarka so süß und berauschend rieseln. Die Nation versteht und bedarf diesen Gesang, jedes Herz kommt ihm mit ganz andrer Sehnsucht entgegen, als der Gelehrte den lateinischen Versen meines Freundes. – Vergleiche ich mit Ariost und Tasso, was unser Spenser versucht hat, so finde ich bei allem Bestreben nach Licht und Zartheit nur Dunkel und ein schweres, ich möchte fast sagen, schläfriges Wort. Vom Sidney und dessen weitschweifiger Nüchternheit möchte ich lieber gar nicht sprechen, wenn ich jene glänzenden Geister des Südens nenne. Und soll eine wahre Poesie zugleich allgemein gültig und doch national sein, so begreife ich ebensowenig, wie Herr Cuffe, von woher sie bei uns, wenigstens in diesen Tagen, ihren Ursprung nehmen soll.«

»Habt Ihr«, sagte der schöne Jüngling, »in London nicht Romeo und Julia gesehn?«

»Ich war lange nicht dort«, antwortete jener.

»Und ich ebensowenig«, sagte Cuffe, »aber ich kenne das langweilige erzählende Gedicht wohl, das in schlechter Sprache der Novelle eines Italieners nachgebildet ist; wie wir denn alles den Italienern nachahmen, ohne sie zu verstehen, noch weniger zu erreichen.«

»Was ich meine«, erwiderte der Jüngling, »ist eine Tragödie, die den Beifall besserer Kenner, als ich bin, davongetragen hat.