Als er bald darauf an Marcel schrieb, um diesen einzuladen, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen, erwähnte er auch dieses Vorfalles und entwarf von Herrn Schultze dabei ein Bild, welches den jungen Elsässer überzeugte, daß der gute Doctor in jenem einen halsstarrigen Gegner haben werde.

»Wir brauchen vor Allem kräftige und entschlossene Männer, schloß der Doctor, tüchtige Gelehrte, nicht allein zum bauen, sondern auch zum vertheidigen.

– Wenn ich Ihnen, antwortete Marcel darauf, nicht augenblicklich an die Hand zu gehen im Stande bin, um an der Begründung Ihrer Stadt theilzunehmen, so rechnen Sie doch darauf, mich zur richtigen Stunde zu finden. Ich werde jenen Herrn Schultze nicht einen Tag aus den Augen verlieren.

Meine Eigenschaft als Elsäßer giebt mir einen Schimmer von Recht, mich um seine Angelegenheiten zu bekümmern. Fern oder nahe, ich bleibe Ihnen allezeit ergeben. Beunruhigen Sie sich nicht, wenn Sie möglicher Weise einmal monate- oder gar jahrelang nichts von mir hören sollten. Nah oder fern werd’ ich nur den Einen Gedanken haben, für Sie zu arbeiten und Frankreich zu dienen.«

Fünftes Capitel

Die Stahlstadt

Ort und Zeit haben gewechselt. Seit fünf Jahren befindet sich der Nachlaß der Begum schon in den Händen der beiden Erben und den Schauplatz bilden jetzt die Vereinigten Staaten, im Süden Oregons, zehn Meilen vom Ufer des Pacifischen Oceans. Hier breiten sich ungeheure Gebiete aus, welche zwischen den beiden Nachbarstaaten noch nicht genau abgegrenzt sind und die eine Art amerikanischer Schweiz bilden.

In der That eine Schweiz, wenn man nur die Außenseite der Dinge ins’ Auge faßt, die steilen Gipfel, welche zum Himmel emporsteigen, die tiefen Thäler, welche die langen Gebirgszüge trennen, den großartigen wilden Anblick, den alle diese Landschaften aus der Vogelschau gewähren würden.

Diese falsche Schweiz betreibt aber nicht wie die europäische die friedlichen Beschäftigung en des Hirten, Fremdenführers oder Gastwirthes. Das Ganze ist nichts als eine auf eisen- oder kohlenhaltigem Boden aufgethürmte Alpendecoration, eine Kruste von Felsen, Erdreich und hundertjährigen Fichten.

Wenn der in diese Einöden verirrte Wanderer die Stimmen der Natur belauscht, so hört ‘er nicht wie im Oberlande das harmonische Murmeln des Lebens neben dem tiefen Schweigen der Bergwelt. Von fern her vernimmt er die schweren Schläge des Stampfhammers und unter ‘seinen Füßen erstickte Detonationen von Pulver. Es hat den Anschein, als bedecke dieser Boden die Maschinerie eines Theaters und als könne er jeden Augenblick in geheimnißvolle Tiefen versinken.

Längs der Seiten der Berge laufen hier mit Asche und Kohlenstückchen macadamisirte Straßen hin. Unter gelblichem Buschwerk schillern kleine Schlackenhaufen in allen Farben des Prismas wie Basiliskenaugen hervor. Da und dort gähnt der von Regengüssen zerrissene, von Brombeersträuchern halbverdeckte Mund eines verlassenen Schachtes, wie der Krater eines erloschenen Vulkans. Die Luft ist mit Rauch geschwängert und lastet wie ein schwerer Mantel auf der Erde.

Keine Vögel flattern lustig dahin, kein Insekt schwärmt im Sonnenschein und seit Menschengedenken hat man einen Schmetterling hier nicht gesehen.

Falsche Schweiz! An ihren nördlichen Grenzen, da wo die Ausläufer der Berge sich in der Ebene verlieren, liegt zwischen zwei mageren Hügelketten das Gebiet, welches bis 1871 die

»Rothe Wüste« hieß von der Farbe des eisenoxydreichen Bodens und welche jetzt »Stahlfeld« genannt wird.

Denke man sich eine fünf bis sechs Quadratmeilen große Fläche mit sandigem, dann und wann mit Gerölle untermischtem Boden, und so dürr und trostlos, wie etwa das vertrocknete Bett eines Meeres der Vorzeit. Um dieses Land zu erwecken, ihm Leben und Bewegung zu verleihen, hat die Natur so gut wie nichts gethan; dafür aber hat die Menschenhand mit einer Energie ohnegleichen eingegriffen.

Auf der nackten steinichten Ebene sind binnen fünf Jahren achtzehn Arbeiterdörfer mit kleinen, gleichmäßig grauen, aus Chicago fix und fertig hierher geschafften Häusern emporgewachsen, die eine Schaar kräftiger Arbeiter bergen.

Im Mittelpunkt dieser Ansiedlungen, am Fuße der Coal-Butts, jener unerschöpflichen Steinkohlen-Gebirge, erhebt sich eine Anhäufung regelmäßiger Gebäude mit symmetrisch angeordneten Fenstern, bedeckt mit rothen Dächern und überragt von einem Wald cylindrischer Schornsteine, welche aus tausend Schlünden rußige Wolken aushauchen. Der Himmel erscheint nur wie hinter einem schwarzen Vorhang, den manchmal röthliche Blitze durchzucken. Der Wind trägt von hier ein rollendes Geräusch weiter, das etwa entferntem Donner oder dem Rauschen der hohlen See vergleichbar ist.

Alles dieses zusammen ist »Stahlstadt«, die deutsche Stadt, das persönliche Besitzthum des Herrn Schultze, des Ex-Professors der Chemie von Jena, der durch die Millionen der Begum zum größten Eisen- Industriellen und speciell zum berühmtesten Kanonengießer der ganzen Erde geworden ist.

Er fertigt solche von jeder Form und jedem Kaliber, mit glatter oder gezogener Seele, mit beweglicher oder fester Culasse, für Rußland und die Türkei, für Rumänien und Japan, vor Allem aber für Deutschland.