Und wenn sie es durch die weite,
silberne, dänische Sommernacht im Dorfe hörten, daß
er brüllte, so standen sie auf wie beim Gewitter, kleideten
sich an und blieben ohne ein Wort um die Lampe sitzen, bis es
vorüber war. Und die Frauen, welche nahe vor dem Niederkommen
waren, wurden in die entlegensten Stuben gelegt und in die
dichtesten Bettverschläge; aber sie hörten es, sie
hörten es, als ob es in ihrem eigenen Leibe wäre, und sie
flehten, auch aufstehen zu dürfen, und kamen, weiß und
weit, und setzten sich zu den andern mit ihren verwischten
Gesichtern. Und die Kühe, welche kalbten in dieser Zeit, waren
hülflos und verschlossen, und einer riß man die tote
Frucht mit allen Eingeweiden aus dem Leibe, als sie gar nicht
kommen wollte. Und alle taten ihr Tagwerk schlecht und
vergaßen das Heu hereinzubringen, weil sie sich bei Tage
ängstigten vor der Nacht und weil sie vom vielen Wachsein und
vom erschreckten Aufstehen so er mattet waren, daß sie sich
auf nichts besinnen konnten. Und wenn sie am Sonntag in die
weiße, friedliche Kirche gingen, so beteten sie, es möge
keinen Herrn mehr auf Ulsgaard geben: denn dieser war ein
schrecklicher Herr. Und was sie alle dachten und beteten, das sagte
der Pfarrer laut von der Kanzel herab, denn auch er hatte keine
Nächte mehr und konnte Gott nicht begreifen. Und die Glocke
sagte es, die einen furchtbaren Rivalen bekommen hatte, der die
ganze Nacht dröhnte und gegen den sie, selbst wenn sie aus
allem Metall zu läuten begann, nichts vermochte. Ja, alle
sagten es, und es gab einen unter den jungen Leuten, der
geträumt hatte, er wäre ins Schloß gegangen und
hätte den gnädigen Herrn erschlagen mit seiner Mistforke,
und so aufgebracht war man, so zu Ende, so überreizt,
daß alle zuhörten, als er seinen Traum erzählte,
und ihn, ganz ohne es zu wissen, daraufhin ansahen, ob er solcher
Tat wohl gewachsen sei. So fühlte und sprach man in der ganzen
Gegend, in der man den Kammerherrn noch vor einigen Wochen geliebt
und bedauert hatte. Aber obwohl man so sprach, veränderte sich
nichts. Christoph Detlevs Tod, der auf Ulsgaard wohnte, ließ
sich nicht drängen. Er war für zehn Wochen gekommen, und
die blieb er. Und während dieser Zeit war er mehr Herr, als
Christoph Detlev Brigge es je gewesen war, er war wie ein
König, den man den Schrecklichen nennt, später und
immer.
Das war nicht der Tod irgendeines Wassersüchtigen, das war
der böse, fürstliche Tod, den der Kammerherr sein ganzes
Leben lang in sich getragen und aus sich genährt hatte. Alles
Übermaß an Stolz, Willen und Herrenkraft, das er selbst
in seinen ruhigen Tagen nicht hatte verbrauchen können, war in
seinen Tod eingegangen, in den Tod, der nun auf Ulsgaard saß
und vergeudete.
Wie hätte der Kammerherr Brigge den angesehen, der von ihm
verlangt hätte, er solle einen anderen Tod sterben als diesen.
Er starb seinen schweren Tod.
Und wenn ich an die andern denke, die ich gesehen oder von denen
ich gehört habe: es ist immer dasselbe. Sie alle haben einen
eigenen Tod gehabt. Diese Männer, die ihn in der Rüstung
trugen, innen, wie einen Gefangenen, diese Frauen, die sehr alt und
klein wurden und dann auf einem ungeheueren Bett, wie auf einer
Schaubühne, vor der ganzen Familie, dem Gesinde und den Hunden
diskret und herrschaftlich hinübergingen. Ja die Kinder, sogar
die ganz kleinen, hatten nicht irgendeinen Kindertod, sie nahmen
sich zusammen und starben das, was sie schon waren, und das, was
sie geworden wären.
Und was gab das den Frauen für eine wehmütige
Schönheit, wenn sie schwanger waren und standen, und in ihrem
großen Leib, auf welchem die schmalen Hände
unwillkürlich liegen blieben, waren zwei Früchte: ein
Kind und ein Tod. Kam das dichte, beinah nahrhafte Lächeln in
ihrem ganz ausgeräumten Gesicht nicht davon her, daß sie
manchmal meinten, es wüchsen beide?
Ich habe etwas getan gegen die Furcht. Ich habe die ganze Nacht
gesessen und geschrieben, und jetzt bin ich so gut müde wie
nach einem weiten Weg über die Felder von Ulsgaard. Es ist
doch schwer zu denken, daß alles das nicht mehr ist,
daß fremde Leute wohnen in dem alten langen Herrenhaus. Es
kann sein, daß in dem weißen Zimmer oben im Giebel
jetzt die Mägde schlafen, ihren schweren, feuchten Schlaf
schlafen von Abend bis Morgen.
Und man hat niemand und nichts und fährt in der Welt herum
mit einem Koffer und mit einer Bücherkiste und eigentlich ohne
Neugierde. Was für ein Leben ist das eigentlich: ohne Haus,
ohne ererbte Dinge, ohne Hunde. Hätte man doch wenigstens
seine Erinnerungen. Aber wer hat die? Wäre die Kindheit da,
sie ist wie vergraben. Vielleicht muß man alt sein, um an das
alles heranreichen zu können. Ich denke es mir gut, alt zu
sein.
Heute war ein schöner, herbstlicher Morgen. Ich ging durch
die Tuilerien. Alles, was gegen Osten lag, vor der Sonne, blendete.
Das Angeschienene war vom Nebel verhangen wie von einem lichtgrauen
Vorhang. Grau im Grauen sonnten sich die Statuen in den noch nicht
enthüllten Gärten. Einzelne Blumen in den langen Beeten
standen auf und sagten: Rot, mit einer erschrockenen Stimme.
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