An einem Sommertag saß Miss Revelstoke an ihrem kleinen Schreibtisch und schrieb in ihrer zierlichen Handschrift eine Adresse auf einen Zettel, dessen gummierte Seite sie sodann mit einem Schwämmchen befeuchtete und auf ein längliches Paket klebte.

»Mr. Monkford ist ein sehr interessanter Mann«, sagte sie zu ihrer Sekretärin. »Er hat Humor. Dicke Männer sind meist heiter veranlagt. Er war immer etwas schwatzhaft, was für einen Bankier kein Vorzug ist. Ich kannte ihn schon, als er noch Leiter einer Zweigstelle war. Das Paket ist vielleicht zu schwer für Sie?« Nora nahm es in die Hand. »Nein? Gut. Ich nehme an, daß er Sie auffordern wird, mit ihm zu Abend zu essen. Ich esse um neun Uhr, also eine halbe Stunde später als sonst. Mr. Henry kommt zum Dinner, und ich bin sicher, er würde es mir nie verzeihen, wenn Sie nicht zurück wären.«

Das Mädchen lachte. Solche und ähnliche scherzhafte Anspielungen waren seit einiger Zeit an der Tagesordnung, und zweifellos war Miss Nora auch der Grund für die häufigen Besuche des jungen, gutaussehenden Rechtsanwaltes.

»Sagen Sie Monkford, er brauche mir nicht zu schreiben, er soll die schreckliche Negerin ruhig behalten. Ich werde ihn nächste Woche in ›Little Heartsease‹ sehen. Sie haben doch die Zimmer bestellt?«

Nora fuhr mit einem Taxi zum Paddington-Bahnhof - und einer neuen, erstaunlichen Erfahrung entgegen. Sie löste eine Rückfahrkarte dritter Klasse nach Marlow-on-Thames, wo sie die Bekanntschaft mit der Bande des Schreckens und mit dem Wetter Long machen sollte.

Zu dieser Zeit war die Bande des Schreckens in der Öffentlichkeit noch völlig unbekannt; sie kam, wenn auch nicht unter diesem Namen, nur in den vertraulichen Mitteilungen vor, die der Innenminister und der Polizeipräsident austauschten. Allein der Wetter Long, der sie ›Bande des Schreckens‹ getauft hatte, sprach unbefangen über sie. In den streng geheimen Akten, die zwischen Whitehall und Scotland Yard hin- und hergingen, stand in verwaschener Umschreibung lediglich etwas von ›mutmaßlicher Organisation gesetzwidrigen Charakters‹.

Nora kam nach Marlow in der angenehmen Erwartung, einen Tag außerhalb der Stadt verbringen zu können. Harry, der Bootsmann in Meakes, richtete sich auf, fuhr sich mit dem gebräunten Arm über die Stirn und betrachtete die Fragestellerin mit respektvollem Interesse.

»Mr. Monkfords Haus?«

Er hielt die Hand über die Augen, um die grelle Spiegelung der Sonnenstrahlen abzuwehren. An dieser Stelle machte der Strom eine scharfe Biegung nach dem Templewehr hin. Auf dem einen Ufer streckten sich grüne Wiesen dem großen Wald zu, auf der anderen Seite erblickte man über den Bäumen den grauen Kirchturm von Bisham. Nach Bisham blickte der Bootsmann.

»Sie können das Haus von hier aus nicht sehen«, sagte er in einem Ton, als bedauerte er in diesem Augenblick tief, daß man von hier aus Bendham Manor nicht wahrnehmen konnte. »Es ist ein altes Haus. Sie erkennen es sofort, wenn Sie diesen Weg hinaufgehen - ein rotes Gebäude mit hohen Schornsteinen.«

Zweifelnd schaute er Nora an. Er mußte noch zwölf Boote ausschöpfen und einen vierrudrigen Kahn für eine Ausflüglergesellschaft fertig machen, die jeden Augenblick eintreffen konnte. Nora war sehr hübsch, eine zarte, zierliche Erscheinung - rote Lippen, graue Augen, ein sanftes Lächeln.

»Zu Fuß ist es ein weiter Weg«, betonte er, um den Dienst, den er ihr anbieten wollte, besonders hervorzuheben. »Wenn Sie über die Brücke kommen, müssen Sie rechts abbiegen, dort, wo das Kriegerdenkmal steht - es ist ein weiter Weg. Ich glaube, es ist besser, wenn ich Sie den Fluß hinaufrudere, Ma'am.«

»Ich wäre Ihnen sehr dankbar.«

Er hielt sie für die Frau irgendeines vornehmen Mannes. Sie war kein Backfisch mehr, ihr Benehmen verriet Reife und Selbstbewußtsein.