Er selbst gab an, daß er schon so oft im Vorzimmer seines Vorgesetzten gewartet habe, daß der Teppich davon eigentlich ein Loch haben müßte. Eine. einstweilige Amtsenthebung und ein scharfer Verweis befleckten seine Laufbahn, und einmal zog er sich den Tadel eines Richters zu, weil er verfassungswidrige Hilfsmittel angewandt hatte. Er war fast zwei Meter groß, machte aber dennoch einen ziemlich schmächtigen Eindruck. Er konnte laufen wie ein Hase - nur mit mehr Verstand. Zwei Jahre war er AmateurMeisterschaftsboxer gewesen. Er konnte klettern wie eine Katze und besaß etwas, was dem Instinkt der Katze nahekam. Er bezeichnete sich als Engländer, um Macfarlane, den Obersten, zu ärgern, der nie das Wort ›englisch‹ zuließ, wo ›britisch‹ gebraucht werden konnte.
Als ihn die Boylans in einer Nebengasse von Limehouse Reach abfaßten und ihm fünf Minuten gaben, um sich auf die Beförderung in eine andere Welt vorzubereiten, verzog er sein langes, hageres Gesicht zu einem Grinsen und zeigte seine weißen Zähne.
»Ich wette einen Tausender, Ihr werdet mich nicht erledigen!«
Und sie brachten es nicht zustande. Zwei Meilen schwamm er mit gebundenen Händen und Füßen, und als ihn die ThemseFlußpolizei rettete, waren die ersten Worte, die er zwischen den klappernden Zähnen hervorstieß - es war Mitte Januar und Eisstücke trieben im Fluß -:
»Ich wette einen Tausender, daß ich Joe Boylan innerhalb vierundzwanzig Stunden fassen werde.«
Und Joe Boylan mußte daran glauben.
Oberst Macfarlane mochte wohl bei dem Gedanken, dem Wetter Long die Shelton-Sache zu übertragen, die Nase rümpfen. In England ist der ›dritte Grad‹ unbekannt, aber der Wetter hatte einen ›vierten Grad‹ erfunden. Hielt er damals nicht den Kopf Lew Brayleys so lange zwischen seine Arme geklemmt, bis dieser eingestand, wo er den entführten und gegen Lösegeld festgehaltenen kleinen Sohn des Millionärs und Reeders John Brisbane versteckt hielt? War es nicht gleichfalls der Wetter gewesen, der sich den Tadel eines Landrichters zuzog, weil er den Geldschrank eines gewissen Lester Glommen erbrochen hatte? Er holte sich daraus den einzigen Nachweis heraus, der die Verbindung mit dem Texas-Ölschwindel entlarven konnte - von Transaktionen also, die so einträglich gewesen waren, daß Glommen sich wenige Monate später als ungewöhnlich reicher Mann hätte zurückziehen können.
»Der Wetter?« wiederholte der Oberst und zog grübelnd an seiner Unterlippe. »Ich darf es nicht tun! Der Wetter würde etwas Schreckliches anstellen, und das fiele auf mich zurück... Aber... «
Den ganzen Tag dachte er über die Sache nach. Um fünf Uhr abends jedoch wurde Arnold Long ins Büro seines Vorgesetzten gerufen.
Der Wetter hörte mit entschlossenem Lächeln zu. »Nein, Sir, ich brauche die Akten nicht zu sehen, ich kenne Sheltons Laufbahn auswendig. Geben Sie mir drei Monate Zeit, und ich bringe ihn dorthin, wo er regelmäßige Mahlzeiten einhalten muß.«
»Seien Sie nicht zu sicher, Mr. Long!« warnte der Oberst. »Ich wette - das heißt«, verbesserte sich Arnold respektvoll, »ich glaube, ich bin ziemlich sicher.«
Mit vielen Ermahnungen, Warnungen und guten Ratschlägen versehen ging der Wetter Long und meldete sich beim Vorsitzenden des Bankierverbandes.
Auf dem Weg dorthin vergegenwärtigte er sich noch einmal alles, was er von Shelton wußte. Aber dieses Wissen allein genügte nicht, einen solchen Mann zur Strecke zu bringen.
2
An einem herrlichen Frühlingsmorgen spazierte Mr. Shelton langsam durch die Lombard Street und blieb vor einem Gebäude stehen, das trotz der polierten Granitverkleidung traurig und nichtssagend aussah. Er starrte, wie jeder Passant es tut, zu den einförmigen Fensterreihen hinauf. »Was ist das für ein Gebäude?«
Diese Frage richtete er an einen Citypolizisten, der der Fahrbahn zugewandt auf dem Randstein stand, denn Citypolizisten sind ebenso gute Fremdenführer wie vortreffliche Verkehrsregler. »Die City and Southern Bank, Sir.«
»Mein Gott!« flüsterte Mr. Shelton und starrte das Gebäude mit doppelter Hochachtung an.
Ein Auto fuhr vor, der Chauffeur sprang heraus, riß die Tür auf -dem Wagen entstiegen ein sehr hübsches Mädchen, dann eine blasse Dame und zuletzt ein gut aussehender junger Mann mit schwarzem Schnurrbart und einem Monokel im Auge. Den glänzenden Zylinder hielt er in der Hand, denn das niedrige Verdeck machte es unmöglich, ihn im Wagen auf dem Kopf zu behalten.
Die drei verschwanden in der Bank, und der Polizist trat zum Chauffeur an den Wagen.
»Wie lange wird es dauern, bis sie herauskommen?« fragte er. »Fünf Minuten«, antwortete der Chauffeur, indem er sich behaglich streckte.
»Wenn sie länger bleiben, müssen Sie auf dem Parkplatz warten.«
Der Polizist gab dem Fahrer noch einige Anweisungen und wandte sich wieder dem Passanten zu.
»Sie scheinen in London fremd zu sein?« Mr. Shelton nickte. ».Ja, ich bin eben aus Südamerika zurückgekommen. Bin fünfundzwanzig Jahre dort gewesen.
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