Knöpfe mir es also heimlich über den Wanst, so daß Niemand nichtes merkete, obschon bemeldeter Paassch dicht hinter mir schritt, item alle Andern in nicht gar guter Ferne ihm folgeten. Als wir nun so die Dohnen bestellet in großer Frühe, hatte es schon gegen die liebe Mittagszeit eine so große Menge Vögel darinnen, daß Käthe Berow welche mir zur Seiten schritt, als ich sie abbande, dieselben in ihrem Schurzfleck fast nit zu lassen mußte, und auf dem andern Ende der alte Pagels auch nit viel weniger aus seinem Brustlatz und Rocktaschen herfürlangte. Mein Töchterlein satzte sich also mit den andern Frauensvolk hin, das Gevögel zu rupfen, und da es an Salz gebrach, (denn dessen hatten die Meisten von uns lange nicht mehr gekostet,) vermahnete sie ein Paar Männer, zur Sehe zu steigen, und in einem Grapen, so noch von Staffer Zuter geborgen war, ein wenig gesalzen Wasser zu hohlen, was sie auch thäten. In solchem Wasser tunketen wir nunmehro die Vöglein und brieten sie darauf bei einem großen Feuer, wobei uns allen schon vom dem süßen Geruch das Maul zu wässern begunnte, da wir so lange keiner Speisen nicht gekostet.

Sage dahero als alles fertig, und das Volk sich auf der Erden gelagert hat: nun schauet wie der Herr sein Volk Israel in der Wüsten noch immerdar mit frischen Wachteln speiset, sollt er nun ein Uebriges thun, und uns auch ein Stücklein Mannabrod vom Himmel senden, was meinet ihr, würdet ihr dann jemalen müde werden zu gläuben, und nit vielmehr alle Noth, Trübsal, Durst und Hunger williglich tragen, so er euch förder nach seinem gnädigen Willen auferlegen söllte? worauf sie alle antworteten und sprachen: ja sicherlich! Ego: Wöllt ihr mir das wahrhaftiglichen versprechen, worauf sie wiederumb sageten: ja das wollen wir! Da zog ich mit Thränen das Brod von meinem Wanst herfür, hub es hoch in die Höhe und rufete: nun schau du armes, gläubiges Häuflein, welch ein süßes Mannabrod dein treuer Erlöser Dir durch mich gesendet, worauf alles schriee, ächzete, weinete, auch die kleinen Kinder abermals herbeisprangen, und die Händlein ausrecketen, indeme sie schrien: »kiekt Brod, kiekt Brod!« Da ich aber vor Wehemuth selbsten nit beten kunte, ließ ich Paassch sein klein Mägdlein das Gratias beten, in währender Zeit meine Maria das Brodt zuschnitt und einem Jeglichen sein Theil reichete. Und nun langeten wir allesammt freudig zu dem lieben Gottesmaal in der Wüsten.

Hierzwischen mußte nun aber erzählen, wie ich das liebe Mannabrod gefunden, wobei nit versäumete sie abermals zu vermahnen, daß sie wöllten das große Wunderzeichen sich zu Herzen gehen lassen, so der barmherzige Gott, wie weiland an dem Propheten Elisa, an ihnen auch gethan, angesehen wie ein Raab in der großen Hungersnoth demselbigen das Brod in der Wüsten zugefuhret, der Herr auch mir dieses Brod durch einen Raben zugeführet, daß ich es finden gemüßt, da ich ihm sonst wohl in meiner Trübsal vorbeigeschritten, und es nimmer gesehen hätte.

Als wir endiglichen unsern Bauch mit Nothdurft gefüllet, hielte die Danksagung über Lucas 12, v. 24, wo der Herre spricht: nehmet wahr den Raben, sie säen nicht, sie erndten auch nit, sie haben auch keine Keller noch Scheuen, und Gott nähret sie doch, Wieviel aber seid ihr besser denn die Vögel? – Aber unsere Sünden stunken vor dem Herrn. Denn da die alte Lise, wie ich bald in Erfahrung gebracht ihre Vögel nit verzehret, weilen sie ihr zu nüchtern fürkamen, sondern selbige in den Knirkbusch8 geworfen, ergrimmete sein Zorn über uns, wie weiland über das Volk Israel, und wir hatten zur Nacht nur sieben Vögel auf den Schneeren, am andern Morgen aber nur zween. Auch kam kein Raab wieder, der uns Brod wiese. Darumb schalt ich die alte Lise und vermahnete das Volk, sollich gerechte Strafe des höchsten Gottes williglich auf sich zu nehmen, fleißig zu beten, in seine verlassenen Hütten zurückzuwallen, und zu sehen, ob der grundgütige Gott vielleicht auf der Sehe mehr bescheeren möcht. Würde ihn auch in mein Gebet Tag und Nacht anrufen; doch noch eine Zeit lang mit meinem Töchterlein und der Magd in der Höhlen verblieben und der Dohnen hüten, ob sich sein Zorn wenden möcht. Sollten mir inzwischen mein Pfarrhaus nach besten Kräften wieder zurichten, damit ich es bald wieder beziehen könnt, sintemalen die Kälte mir fast schwer fiele. Solliches gelobten sie auch zu thun, und schieden mit Seufzen von dannen. Welch ein klein Häuflein! – fande nur noch bei 25 Köpfen, da deren doch sonsten über 80 gewest; alle andern hatte der Hunger, das Schwert und die Pestilenz9 gewürget. Blieb dahero noch mit meinem Gebet für Gott eine Zeitlang einsam und traurig in den Höhlen und sendete nur mein Töchterlein nebst der Magd mit zum Dorfe, daß sie sich umbsehen sollten, wie es in der Widemen10 stände, item die Schriften und Bücher wieder zusammenlesen, auch mir Kundschaft bringen, ob Hinze der Zimmermann, den ich alsobald in's Dorf zurückgesendet, die Särge vor die elenden Leichnahme zusammengehämmert, daß ich sie des nächsten Tages begraben möchte. Darauf schritt ich zu den Dohnen, aber nur ein einig Vögelein war darinnen zu verspüren, woraus ich denn merkete, daß der Zorn Gottes noch nit vorüber.

Traf jedoch einen schönen Brummelbeerenbusch, woran ich bei einer Metze Beeren pflückete, mit dem Vogel selbige in Staffer Zuter seinen Grapen thät, den der gute Kerl uns noch eine Frist gelassen und zur Nachtkost auf ein Feuer setzete, wann mein Kind mit der Magd zurückkehren würd. Währete auch nicht lange, als sie durch den Busch brachen und von dem Gräuel der Verwüstung erzähleten, so der leidige Satan unter Zulassung des gerechten Gottes im Dorf und in der Widemen angerichtet. Mein Töchterlein hatte noch ein paar Bücher zusammengelesen, die sie mit sich trug, vor andern einen Virgilium und eine griechische Bibel. Und als sie darauf verzählet, daß der Zimmermann erst morgen fertig würd, wie auch alsbald unsem Bauch zur Nothdurft gestillet, mußte sie mir zur Stärkung meines Glaubens noch einmal den locum von den lieben Raaben Lucas am 12ten aus dem Griechischen fürlesen, item den schönen locum parallelum Matth. am 6ten, worauf die Magd den Abendseegen betete, und wir uns nach den Höhlen zur Nachtruh begaben. Als ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg schauete, hörete, ich, daß mein arm hungrig Töchterlein schon vor der Höhlen stand und das schöne Liedlein von den Freuden des Paradieses recitirte, so der heilige Augustinus gefertiget, und ich ihr gelernet.11 Sie schluchzete für Jammer als sie die Worte sprach:

 

uno pane vivunt dives utriusque patriae

avidi et semper pleni, quod habent, desiderant

non sacietas fastidit, neque fames cruciat

inhiantes semper edunt, et edentes inhiant

flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,

Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum,

virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt

pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,

pendent poma floridorum non lapsura nemorum

non alternat luna vices, sol vel cursus syderum

agnus est foelicis urbis lumen inocciduum12

 

Bei diesen Worten wurde ich selbsten weich, und als sie schwiege, fragte ich: »was machst du da mein Töchterlein?« worauf sie mir zur Antwort gabe: »ich esse Vater.« was mir erst recht die Thränen herfürtrieb, so daß ich anfing sie zu loben, daß sie die arme Seele speißen wöllt, da sie es nicht ihren armen Leib künnte. Hatte aber noch nit viel gesprochen, als sie aufschriee, daß ich das große Wunderwerk doch betrachten söllte, so sich aus der Sehe herfürthät, und allbereits über der Höhlen hereinbrach. Denn siehe, eine Wolke, ganz wie ein Kreuz geformiret, kam über uns und ließ dicke schwere Tropfen bei einer guten Erbsen groß und drüber auf uns niederfallen, worauf sie alsbald hinter das Gehäge sank. Richtete mich dannenhero sogleich in die Höhe, und rannte mit meinem Töchterlein flugs auf das Gebirge, ihr nachzuschauen. Sie zog gen das Achterwasser13, wo sie sich weit auseinander thät, und hinterwärts alsbald einen großen blauen Streifen formirete, welchen wunderlich die Sonne beschien, so daß er schier wie eine güldne Brücken anzuschauen war, wie mein Töchterlein sagte, auf welcher die lieben Engel tanzten. Fiel daher mit ihr sogleich auf die Kniee und dankete dem Herrn, daß unser Kreuz für über gezogen, aber ach unser Kreuz sollte erst anheben, wie man weiter lesen wird.

 

Fußnoten

 

1 Ein ansehnlicher Berg am Meere nahe bei Coserow.

 

2 auch haben, auch haben.

 

3 Ps. 145, 15, 16.

 

4 beschwichtigen.

 

5 Wachholderbüsche.

 

6 o Jammer der Feind ist da! – Ueber die wunderbare Bildungsweise des Mädchens erklärt sich unser Verfasser später.

 

7 komm nur wieder hervor, es sind Freunde!

 

8 Wachholdergebüsch.

 

9 fand im Jahre 1628 statt und häufte das Elend des 30jährigen Krieges auf der hiesigen Insel auf das Unerträglichste. Schade, daß die Schilderung des alten Pfarrers, welche er ohne Zweifel in dem Vorhergehenden gegeben, verloren ist.

 

10 Pfarrhaus.

 

11 Dies ist ein Irrthum. Das nachfolgende Lied ist von dem Cardinal-Bischof von Ostia Peter Damianus ( 23sten Febr. 1072) nach Augustins Prosa überdichtet.

 

12

Wir versuchen hier eine Uebersetzung dieser schönen Stelle:

Alle Bürger dieses Landes leben nur von einem Brod.