Ich gebe ohne weitere Umstände fünfzig Taler für diejenigen, die sie brauchen.

FRAU RICHARDIN. Nein, nein! Hören Sie mir doch zu. Bei der ersten Tochter ließ ich ein reiches Meßgewand machen, und hätte es Gott gewollt, so hätte es nicht ohne Vorbedeutung sein sollen. Sie hätte, wenn sie am Leben geblieben wäre, gewiß einen Geistlichen bekommen. Die liebe Kirche hat schon neun verschiedene Stücke von mir zu ihrem Zierate. Und morgen soll das zehnte kommen! Sie kostet mir in allem beinahe dreihundert Taler. Aber ich werde doch nicht müde. Wer weiß, wo mir's Gott anderwärts ersetzt. Haben Sie sich nicht in der Kirche herumführen lassen? Es stehen auf jedem Stücke von mir die Anfangsbuchstaben meines Namens. Nicht deswegen, daß die Leute von meiner Guttätigkeit reden sollen, sondern daß nicht etwan ein Fremdes käme und sich für den Wohltäter ausgäbe. Wo Sie die Buchstaben M.C.R. finden, das heißt Maria Christiana Richardin und ist von mir.

SIMON. Allein ich dächte, Ihre Kirche hätte selbst große Kapitale. Könnten die Mama nicht außerdem ein gutes Werk stiften? Ihre Hausjungfer, Jungfer Lorchen, wäre es nach meinen Gedanken wohl wert, daß Sie etwas zu ihrem künftigen Unterhalte oder, wenn sie noch heiraten wollte, zu ihrem Heiratsgute aussetzten und das redliche Mädchen versorgten.

FRAU RICHARDIN. Das redliche Mädchen braucht nichts. Wenn sie weltliche Bücher und Romane hat, so ist sie zufrieden und denkt an weiter nichts. Ihre Aufführung gefällt mir gar nicht. Sie hätte lieber meine Tochter auch zu der galanten Lebensart anführen wollen. Letzthin gab sie ihr ein Buch zu lesen, ich weiß nicht, ob es Pemala oder »Pamela«, der berühmte Roman Richardsons hieß. Genug, es war ein Liebesbuch, und auf dem Kupfer stund der Teufel hinter einer Frau und wollte sie verführen. Aber ich kam zu allem Glücke dazu und riß es meiner Tochter aus der Hand. Solche teuflischen Bücher!

SIMON. Die Pamela ist ein sehr guter Roman, der die Unschuld und Tugend liebenswürdig zu machen sucht. Ein Priester in England hat ihn selber auf der Kanzel zum Lesen angepriesen.

FRAU RICHARDIN. Und wenn es zehn Priester getan hätten: so soll meine Tochter keinen Roman lesen. Was will ein englischer[467] Priester von der Tugend wissen? Haben diese Leute nicht die Kalvinische Religion? Wollen Sie meine Tochter gar zu einer Kalvinistin machen?

SIMON. Liebe Mama, Sie übereilen sich in Ihrem Eifer.

FRAU RICHARDIN. Ich übereile mich nicht. Mit einem Worte, Lorchen lebt nach der Welt. Sie geht, wie andere Leute gehen.