In der offenen Haustür stand ein Mann. Im ersten Augenblick erkannten sie ihn nicht. Selbst Jim, der doch Digby Groat schon oft aus der Nähe gesehen hatte, wußte nicht, wer es sein konnte, denn er war in einen langen, weißen Kittel gehüllt, der bis zu den Knöcheln hinabreichte. Den Kopf schloß eine weiße Kappe so eng ein, daß sie die Haare vollständig bedeckte. Er trug Gummihandschuhe.
»Wollen Sie mir erklären, Miss Weldon, warum Sie mitten in der Nacht vor meiner Haustür - in so leichter Bekleidung stehen, wie sie eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist? Kommen Sie herein -Grosvenor Square ist nicht an solche nächtlichen Vorführungen gewöhnt!«
Er trat zurück. Eunice klammerte sich an Jims Arm und kam mit ihm in die Halle hinein. Digby schloß die Haustür.
»Mr. Steele, Sie machen Ihren Besuch zu sehr früher Morgenstunde!«
Jim sagte nichts. Er achtete nur auf Eunice, die von Kopf bis Fuß zitterte, und führte sie zu einem Stuhl.
»Sicher sind hier nähere Erklärungen notwendig«, erwiderte er dann kühl, »aber meiner Meinung nach von Ihrer Seite, Mr. Groat!«
»Von meiner Seite?« Digby schien über diese Aufforderung aufrichtig erstaunt.
»Meine Anwesenheit hier ist schnell erklärt«, sagte Jim. »Ich befand mich gerade vor dem Haus, als die Tür aufsprang und Miss Weldon erschrocken herauseilte. Vielleicht erklären Sie mir jetzt, Mr. Groat, wie es kommt, daß diese Dame so außer sich ist?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung, was hier vor sich geht. In der letzten halben Stunde arbeitete ich in meinem Laboratorium. Erst als ich die Haustür gehen hörte, machte ich mir Gedanken, daß etwas nicht in Ordnung sein könnte.«
Eunice hatte sich wieder gefaßt, und allmählich kehrte die Farbe in ihr Gesicht zurück. Nur ihre Stimme zitterte noch, als sie erzählte, was ihr zugestoßen war. Die beiden hörten gespannt zu.
Jim beobachtete Digby genau und kam zur Überzeugung, daß er sich die rätselhafte Erscheinung ebensowenig erklären konnte. Als Eunice zu Ende war, nickte Groat lächelnd.
»Das eine wenigstens kann ich Ihnen erklären - der fürchterliche Schrei, den Sie aus meinem Laboratorium hörten, stammte von meinem kleinen Hund ... Oh, nichts Schreckliches, es geschah nur zu seinem Vorteil - er hatte sich einen Glassplitter in die Pfote getreten, und ich war gerade dabei, ihn herauszuziehen.«
Sie seufzte erleichtert auf.
»Es tut mir leid, daß ich soviel Unruhe gemacht habe«, entschuldigte sie sich, »aber ich - ich fürchtete mich sehr.« »Sind Sie sicher, daß jemand in Ihrem Zimmer war?« fragte Digby.
»Ganz sicher.«
Aus einem Gefühl heraus hatte sie vorhin die Karte mit der blauen Hand nicht erwähnt und verschwieg sie auch jetzt.
»Und Sie glauben, daß die Person vom Balkon aus in Ihr Zimmer gekommen ist?«
Sie nickte.
»Kann ich Ihr Zimmer einmal ansehen?«
Sie zögerte.
»Ich gehe voraus, ich möchte zuerst ein wenig aufräumen.« Sie erinnerte sich, daß die graue Karte noch auf ihrem Bett lag. Sie wollte unter keinen Umständen, daß Mr. Groat sie las.
Ohne weitere Aufforderung folgte Jim Steele Digby nach oben und betrat zusammen mit ihm den prachtvoll ausgestatteten Raum. Auch er war über die ungewöhnliche Einrichtung erstaunt. Er warf einen mißtrauischen Blick auf Digby, der die Balkontür untersuchte.
»Es stimmt, die Tür ist nur angelehnt. Sie hatten sie vorher bestimmt geschlossen?«
»Ja, ich besinne mich genau. Ich öffnete nur die beiden Oberfenster, um in der Nacht frische Luft zu haben.«
Digby öffnete die Balkontür, trat hinaus und ging den Balkon entlang bis zur viereckigen Veranda über dem Hauptportal. Hier gab es ebenfalls eine große Fenstertür, die ins Treppenhaus führte, doch sie war verschlossen. Er kam zurück.
Erst dachte er, daß seine Mutter das Schlafzimmer des jungen Mädchens nach irgendwelchen glitzernden Schmuckstücken abgesucht haben könnte. Aber die alte Frau war nicht gewandt genug und hätte auch nicht den Mut gehabt, mitten in der Nacht einen solchen Raubzug zu unternehmen.
»Sie müssen geträumt haben, Miss Weldon«, meinte er scherzend. »Und nun rate ich Ihnen, ins Bett zu gehen und zu schlafen. Es tut mir leid, daß Ihr Aufenthalt in meinem Hause mit einem so unangenehmen Vorfall beginnt.«
Den Zufall von Jim Steeles Anwesenheit hatte er nicht mehr erwähnt.
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