Aber es wäre besser, wenn Sie Mr. Salter bitten, einen Antrag zu stellen. Einem Rechtsanwalt wird man die Einsicht nicht verweigern.« Gerade dies wollte Jim ja lieber vermeiden.

9

Allmählich gewöhnte sich Eunice Weldon an ihre neue Umgebung. Seit Mrs. Groat krank war, bekam sie mehr Arbeit, wie Digby Groat vorausgesagt hatte. Er ließ sie auch die Haushaltungsbücher durchsehen und ordnen. Sie war erstaunt, wie sparsam, ja geizig die alte Frau haushielt.

Eines Nachmittags, als sie den Sekretär aufräumte, blieb sie bewundernd vor dem alten schönen Möbelstück stehen, das halb Schreibtisch, halb Bücherschrank war. An einer besonders schönen Stelle des Seitenteils strich sie mit den Fingerspitzen über die glatte, polierte Fläche des dunklen Mahagoniholzes. Zu ihrem Erstaunen spürte sie, daß an einer bestimmten Stelle das Holz unter dem Druck ihrer Finger nachgab. Eine kleine Klappe sprang auf, deren feine Scharniere so kunstgerecht angebracht waren, daß man sie von außen nicht sehen konnte.

Ein Geheimfach in einem alten Sekretär ist keine außergewöhnliche Entdeckung. Neugierig tastete Eunice das Fach ab und zog ein zusammengefaltetes Aktenstück heraus. Sonst befand sich nichts in dem Versteck.

Durfte sie das Schriftstück lesen? Wenn Mrs. Groat es so sorgfältig und geheim aufbewahrte, wollte sie es offenbar vor fremden Augen schützen. Trotzdem, es konnte vielleicht nützlich sein, wenn sie als Sekretärin wußte, was ... Unschlüssig öffnete sie das Schreiben. Am Kopf des Dokumentes war ein Stück Papier angeheftet, auf das Mrs. Groat geschrieben hatte: Dies ist mein Letzter Wille, der gleichlautend ist mit den Instruktionen, die ich Mr. Salter in einem versiegelten Briefumschlag übergeben habe.

Das Wort Salter war ausgestrichen, darüber stand der Name einer anderen Anwaltsfirma. Bei dem Dokument handelte es sich um ein vorgedrucktes Formular, wie man es überall kaufen konnte. Der eigentliche Text war nur kurz: Ich hinterlasse meinem Sohn Digby Francis Groat zwanzigtausend Pfund, außerdem mein Haus in London, 409 Grosvenor Square, mit der gesamten Einrichtung. Mein übriges Vermögen vermache ich Ramonez, Marqués von Éstremeda, in Madrid.

Die Zeugen, die das Testament unterschrieben hatten, kannte Eunice nicht, sie waren als Dienstboten bezeichnet und mußten wohl ihre Stellung wieder aufgegeben haben.

Beim weiteren Aufräumen des Schreibtischs fand sie eine Miniatur, die eine schöne Frau mit kühnen Gesichtszügen und dunklen, sprühenden Augen darstellte. Der Kleidung und Frisur nach mußte das Bild um 1880 herum gemacht worden sein. Sie hätte gern gewußt, wen es darstellte. Sie nahm das Bildchen mit und zeigte es bei Tisch Digby Groat.

»Ach, das ist meine Mutter«, antwortete er gleichgültig. Eunice war überrascht. Er lachte.

»Wenn man sie jetzt Sieht, würde man nicht glauben, daß sie früher so ausgesehen hat. Sie muß in ihrer Jugend sehr schön gewesen sein - ein wenig zu schön -.«

Plötzlich nahm er ihr die Miniatur aus der Hand und schaute auf die Rückseite des Bildes. Sie sah, daß er blaß wurde.

»Entschuldigen Sie - meine Mutter schreibt manchmal sonderbare Dinge auf die Rückseite ihrer Bilder.« Er machte einen zerstreuten Eindruck und wechselte das Thema. »Miss Weldon, wissen Sie, wie Sie zu dieser Narbe an Ihrem Handgelenk gekommen sind?«

»Es tut mir leid, daß ich sie Ihnen gezeigt habe. Sie sieht häßlich aus.«

»Wissen Sie nichts darüber?«

»Nein, meine Mutter hat es mir nicht gesagt.