Für seine Neugier und Unüberlegtheit hätte er sich am liebsten selbst geohrfeigt. Warum auch mußte er den Schlüssel, den ihm die Dame zugespielt hatte, gleich ausprobieren? Er war nur auf den Balkon gegangen, um die Fensterverschlüsse zu prüfen. Erfühlte sich äußerst unglücklich und hätte gerne mit einem Menschen gesprochen, sein Herz ausgeschüttet, aber er kannte niemand, dem er vertraut hätte, niemand - außer vielleicht Mrs. Fane. Diese schöne, traurige Frau hatte ihn sehr beeindruckt, und er mußte oft an sie denken. Was aber würde sie wohl sagen, wenn er sie um diese nächtliche Stunde stören wollte, nur um ihr seinen Kummer anzuvertrauen? Er lächelte über sich selbst bei dem Gedanken, und es wurde ihm ein wenig leichter zumute.

Kurz vor der Baker Street verlangsamte er sein Tempo und kehrte wieder um, da er sich an die Firma Selenger erinnerte. Um diese Zeit hatte er mit einem Besuch wahrscheinlich mehr Glück als am Tag.

Der Portier hatte ihm neulich von einem Seiteneingang erzählt, den nur die Inhaber der Firma benützten. Nach einigem Suchen fand er auch eine Tür, die zu seiner Überraschung unverschlossen war. Er hörte den gleichmäßigen Schritt eines Polizisten, der die Straße entlangkam. Da er nicht zu nächtlicher Stunde vor fremden Türen erwischt werden wollte, trat er rasch ein und wartete, bis der Polizist vorüber war. Dann nahm er seine Taschenlampe zu Hilfe und gelangte über den Hof an eine Tür, die ins Gebäude führte. Sie war verschlossen. Aber es mußte noch einen anderen Eingang geben. Er begann zu suchen. An allen Fenstern nach dem Hof waren die Läden geschlossen.

Nachdem er zwei Hauswände abgesucht hatte, kam er an eine weitere Tür. Er drückte auf die Klinke, sie gab nach. Er befand sich nun auf einem breiten Gang und entdeckte nach wenigen Schritten eine grüne Tür. Sie war nicht verschlossen, und als er langsam öffnete, flutete ihm helles Licht entgegen. Er öffnete sie weiter und trat ein. Außer einem Tisch und einem Stuhl gab es keine Möbel in dem Zimmer. Doch nicht der Raum und seine Möblierung setzten ihn in Erstaunen -eine Frau, ganz in Schwarz gekleidet, war, gerade als er eintrat, im Begriff, in das angrenzende Büro hinüberzugehen. Sie hörte die Tür gehen, wandte sich schnell um und zog einen Schleier über ihr Gesicht. Aber sie hatte etwas zu lange gezögert, und Jim erkannte zu seiner größten Verwunderung - Mrs. Fane!

»Wer sind Sie, was wünschen Sie?« Ihre Hand sank herab. »Ach, Mr. Steele!«

»Es tut mir leid, daß ich Sie störe.« Jim schloß die Tür. »Ich möchte Sie dringend sprechen.«

»Nehmen Sie bitte Platz. Haben Sie mein - mein Gesicht gesehen?«

»Ja, ich kenne Sie - Sie sind Mrs. Fane.«

Langsam hob sie die Hand und nahm den Schleier ab.

»Ja, ich bin Mrs. Fane.