Der Fotograf hatte tatsächlich eine sehr scharfe Aufnahme zustande gebracht. Man konnte jede Linie, jede Krümmung der Finger erkennen.
»Das ist die Hand einer Frau«, sagte Digby.
»Sind Sie ganz sicher?«
Er sah sie fragend an.
»Natürlich! Beachten Sie doch die Größe - diese Hand wäre viel zu klein für einen Mann.«
Sie hatte also Jim Unrecht getan. Aber warum drang er ins Haus ein, und vor allem, wie war er hineingekommen? Sie konnte sich das Ganze nicht erklären und gab es auf, das Rätsel zu lösen. Nur eins stand fest - sie mußte Jim um Verzeihung bitten. Sobald sie frei war, ging sie zum Telefon, doch Jim war nicht im Büro.
»Wer ist am Apparat?« fragte der Angestellte.
»Das tut nichts zur Sache.« Sie hängte ein.
Den ganzen Tag plagten sie Gewissensbisse. Aber er würde ihr schon wieder schreiben - oder anrufen. Wenn das Telefon läutete, stürzte sie hin und war enttäuscht, wenn sie die Stimme eines Fremden hörte.
Der Tag schien endlos lang. Sie hatte fast gar nichts zu tun. Digby Groat war früh am Morgen ausgegangen und am späten Nachmittag wiedergekommen, er hatte aber nur rasch die Kleider gewechselt, um wieder zu verschwinden.
Sie aß allein zu Abend.
Der Gedanke, daß sie diese Stelle bald aufgeben würde, tröstete sie. Sie hatte schon an ihren alten Chef geschrieben und postwendend Antwort erhalten, daß er sich freue, wenn sie zurückkomme. Dann könnte sie Jim jeden Nachmittag beim Tee sehen, und er würde wieder der alte sein.
Als am Abend die Krankenpflegerin ausging, schickte Mrs. Groat nach Eunice. Wenn sie sie auch haßte, schlimmer noch als die Gesellschaft dieses Mädchens war die Einsamkeit.
»Bleiben Sie bei mir, bis die Pflegerin wiederkommt, Sie können sich ja ein Buch nehmen und lesen.«
Eunice holte im Nebenzimmer ein Buch. Als sie zurückkam, versteckte die alte Frau etwas unter ihrem Kissen. Eine Stunde lang saßen sie schweigend. Mrs. Groat, den Kopf vornüber gebeugt, völlig mit sich selbst beschäftigt, spielte mit ihren Fingern. Unvermutet fing sie zu sprechen an.
»Woher haben Sie eigentlich die Narbe am Handgelenk?«
»Ich weiß es nicht. Ich hatte sie schon, als ich ein ganz kleines Kind war. Wahrscheinlich habe ich mich einmal verbrannt.«
Es folgte eine lange Pause.
»Wo sind Sie geboren?«
»In Südafrika.« Um das Schweigen, das wieder entstand, zu unterbrechen, sagte Eunice: »Ich habe eine Miniatur von Ihnen gefunden, Mrs. Groat!«
»Von mir? Ach ja, ich besinne mich. Konnten Sie mich denn darauf erkennen?«
»Ja, so müssen Sie vor vielen Jahren ausgesehen haben. Ich konnte eine gewisse Ähnlichkeit feststellen«, erwiderte Eunice.
»Ja, früher habe ich so ausgesehen.«
»Sie müssen sehr schön gewesen sein.«
»Ja, ich war sehr schön. Aber mein Vater wollte mich in einem todlangweiligen Dorf begraben. Er glaubte, daß ich für die Stadt zu schön sei. Er war ein böser, herzloser Mann, ein Tyrann - das war nicht außergewöhnlich damals, es gab viele davon, als ich jung war. Mein Vater haßte mich von meiner Geburt an, und auch ich haßte ihn. Männer stellten mir nach, Miss Weldon«, sagte die Alte mit sichtlicher Befriedigung und sah Eunice von der Seite an. »Männer, deren Namen in der ganzen Welt bekannt und berühmt waren.«
Eunice blieb still. Was für eine Tragödie sollte da vor ihr aufgerollt werden? Sie fragte sich, ob die Freigebigkeit dem Marqués von Estremeda gegenüber wohl auf ein Liebesverhältnis zwischen den beiden zurückzuführen war.
»Es gab einen Mann, der mich liebte«, fuhr Mrs.
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