»Und doch ist sie hier und lebt! Neulich habe ich sogar jemand kennengelernt, der die Weldons in Südafrika gekannt hat und sich auch an Eunice erinnern kann, als sie noch ein Kind war.«
»Es ist ganz rätselhaft«, erwiderte Lady Mary, »aber der Mann, der mir dieses Telegramm sandte, ist einer der vertrauenswürdigsten Detektive in Südafrika.«
Jims Gedanken wirbelten durcheinander.
»Ich muß gestehen, daß ich vollkommen verwirrt bin. Dann muß man wohl annehmen, daß die Eltern nach dem Tod ihrer eigenen Tochter ein anderes Kind angenommen haben, und zwar Eunice - ich meine, diese, unsere Eunice. Die Frage ist nur, woher sie kam. Ihr selbst ist nichts von einer Adoption bekannt.«
»Ich habe bereits an meinen Agenten gekabelt und ihm den Auftrag gegeben, über eine eventuelle Adoption zu berichten. Durch dieses Ereignis gewinnt die alte Annahme wieder an Glaubwürdigkeit.«
Er sah sie an.
»Sie meinen, daß Eunice Ihre Tochter sein könnte?«
»Ja.«
»Aber von der Narbe an ihrer Hand wissen Sie nichts?«
»Das kann ja später passiert sein - nachdem ich sie aus den Augen verloren hatte.«
»Wollen Sie mir nicht sagen, Lady Mary, wann Sie sich von Ihrer Tochter getrennt haben?«
»Nein, noch nicht.«
»Eine andere Frage - kennen Sie Mrs. Weatherwale?«
Lady Mary sah ihn mit großen Augen an.
»Ja, ich kenne sie. Sie war eine Farmerstochter, die Jane Groat sehr zugetan war. Eine liebenswürdige, nette Frau - ich habe mich oft gewundert, wie Jane zu dieser Freundschaft kam.«
Jim erzählte, was er von den letzten Vorgängen im Hause Groat wußte.
Jim war wieder ganz bei der Sache, als ihn Lady Mary verließ. Das Telegramm aus Südafrika warf neues Licht in die dunkle Geschichte. Dagegen war das Zerwürfnis mit Eunice völlig bedeutungslos. Wenn sie nun doch Lady Marys Tochter wäre! Diese Möglichkeit stürzte ihn in einen neuen Zwiespalt, und schweren Herzens dachte er an die Konsequenzen, die es für ihn bedeuten würde.
22
Es bestand wenig Aussicht, Mr. Septimus Salter noch im Büro zu treffen. Darum ging Jim in die Garage, wo er seinen kleinen Wagen untergestellt hatte, und fuhr zu Mr. Salters Wohnung in Chislehurst.
Der Anwalt war allein zu Hause und empfing Jim liebenswürdiger, als er erwartet hatte.
»Sie bleiben natürlich zum Dinner bei mir!«
»Nein, nein, vielen Dank, ich bin in großer Eile, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie Mrs. Weatherwale kennen?«
»Weatherwale - Weatherwale? Ja, ich kann mich auf den Namen besinnen. Sie wird im Testament von Mrs. Groat erwähnt. Ich glaube, sie hat ihr mehrere hundert Pfund vermacht. Der Vater war Pächter der Dantons.«
Jim erzählte seinem Chef von dem mißglückten Besuch Mrs. Weatherwales bei den Groats.
»Das zeigt wieder einmal«, meinte Mr. Salter, »daß die schrecklichsten Geheimnisse, die wir Rechtsanwälte in den tiefsten Tiefen unsrer Aktenschränke und Stahlkammern verschließen, allgemein bekannt sind. Nun hören Sie zu, Jim! Estremeda ist natürlich der spanische Gesandtschaftsattache, der im Hause Danton ein und aus ging, als Jane noch ein schönes Mädchen war. Er ist der Vater Digby Groats - seine Mutter war leidenschaftlich in den Spanier verliebt, das heißt, nehmen wir dies alles einmal an! Ich wußte schon längst, daß sie in einen Skandal verwickelt war, aber jetzt sehe ich klar. Darum hat ihr Vater nicht mehr mit ihr gesprochen und hat sie enterbt. Trotzdem glaube ich, daß ihr Bruder Jonathan Danton nichts von ihrem Fehltritt wußte, sonst hätte er ihr ebenfalls keinen Penny hinterlassen. Er war in diesem Punkt genauso unbeugsam wie die anderen Dantons. Offenbar hat sein Vater es ihm verschwiegen. Eine merkwürdige Sache, wirklich sehr merkwürdig! Was wollen Sie nun weiter tun?«
»Ich werde Mrs. Weatherwale in Somerset aufsuchen. Vielleicht, daß ich etwas aus ihr herausbekomme.«
23
Jim war noch schläfrig und wenig zuversichtlich, als am nächsten Morgen um sechs Uhr der Wecker rasselte.
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