Ich habe meine Mutter geliebt und sehr um sie getrauert, als sie starb. Auch mit meinem Vater stand ich sehr gut.«

»Ja, es ist eine phantastische Idee, und angesichts der Tatsachen kann ich sie auch nicht aufrechterhalten. Ich habe einen Freund in Kapstadt, der auf meine Bitte hin Nachforschungen angestellt hat.«

»Jim, wir wollen nicht in ein Lokal gehen, um Tee zu trinken! Könnten wir, da wir doch in der Nähe sind, nicht in Ihre Wohnung gehen? Ich würde sie gern einmal sehen.«

Seine Wohnung gefiel ihr außerordentlich. Sie legte ihren Mantel ab und machte sich in der kleinen Küche zu schaffen.

»Sie haben mir erzählt, daß es eine ganz kleine Wohnung ist«, sagte sie vorwurfsvoll, als sie den Tisch deckte. »Es ist hier so sauber. Sie haben doch nicht alles selbst gereinigt und geputzt, all das Geschirr und Porzellan?«

»Eine ältere Frau kommt jeden Morgen und bringt alles in Ordnung.«

»Da kommt ein Zug!« Sie sprang zum Fenster. Ein D-Zug donnerte am Haus vorbei. In entgegengesetzter Richtung nahte mit hoher Geschwindigkeit ebenfalls ein Zug.

Sie sahen sich an und lachten.

»Kommen Sie, Jim, wir wollen unseren Tee trinken, ich muß ja wieder nach Hause.«

Sie setzte gerade die Tasse an ihre Lippen, als die Tür aufging und eine Frau eintrat. Eunice bemerkte sie erst, als sie Jim sagte. Die Frau an der Tür war sehr schön, wie Eunice sofort sah.

Ihr Alter war schwer zu bestimmen, obschon nicht jung, hatte sie eine glatte Haut und nur wenige graue Haare. Einen Augenblick sahen sich die beiden Frauen in die Augen.

»Ich komme nachher wieder. Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe.« Mit diesen Worten verließ die Dame das Zimmer.

Ein peinliches Schweigen folgte. Jim setzte dreimal an, um eine Erklärung vorzubringen, brach aber jedesmal wieder ab. Er konnte ja nicht sagen, daß die Dame Lady Mary Danton war.

»Sie hat Sie Jim genannt - ist es eine Freundin von Ihnen?« fragte Eunice endlich.

»Es ist meine Nachbarin, Mrs. Fane.«

»Sie haben mir aber erzählt, Mrs. Fane leide an Paralyse, könne nicht aufstehen und habe seit Jahren die Wohnung nicht verlassen?«

Jim war ratlos.

»Ich möchte Ihnen erklären, Eunice ...«

»Wie ist sie in die Wohnung gekommen? Sie muß selbst aufgeschlossen haben. Hat sie einen Schlüssel zu Ihrer Wohnung?«

Jim wußte nicht, was er sagen sollte.

»Ich möchte wissen, ob sie einen Schlüssel hat, Jim!«

»Ja, sie hat einen Schlüssel. Es ist ... Ich kann es jetzt nicht aufklären, Eunice, aber Sie müssen ...«

»Ich verstehe. Sie ist sehr schön.«

»Ja, ja, aber hören Sie ...« Jim fühlte sich immer elender. »Sie spricht von meinem Telefon aus, sie hat kein eigenes, begreifen Sie doch, Eunice!«

»Ja, ich begreife - und darum nennt sie Sie Jim!« Sie schob ihren Teller zurück. »Ich kann nicht länger hierbleiben. Bitte, begleiten Sie mich nicht nach Hause, ich möchte allein sein. Ich werde einen Wagen nehmen.«

Jim verwünschte sich selbst, weil er nicht einfach alles aufklärte, auf die Gefahr hin, Lady Mary zu verraten. Durch seine Versuche, es anders darzustellen, hatte er sich nur immer verdächtiger gemacht. Jetzt schwieg er ganz, als er ihr in den Mantel half.

»Soll ich Sie nicht doch nach Hause begleiten?« fragte er schwach.

Sie schüttelte nur schweigend den Kopf.

Die Wohnungstür von Lady Mary stand offen, und als sie ins Treppenhaus traten, klingelte dort das Telefon.

Eunice sah Jim an.

»Sagten Sie nicht, daß Ihre Freundin kein eigenes Telefon hat?«

Er antwortete nichts mehr.

»Ich hätte nicht gedacht, daß Sie mich so belügen könnten.«

Er blieb oben auf dem Treppenabsatz stehen und schaute ihr verzweifelt nach.

Kaum war er wieder in seinem Zimmer und hatte sich in den großen Sessel geworfen, als Lady Mary eintrat.

»Es tut mir sehr leid«, sagte sie, »ich ahnte nicht, daß sie hier wäre.«

»Ja, ich mußte etwas vorlügen, und sie merkte es. Ihr Telefon hat mich verraten, Lady Mary! Warum sind Sie nicht geblieben? Durch Ihr Verschwinden bekam die Sache ein so sonderbares Gesicht.«

»Ich konnte nicht bleiben. Doch schauen Sie, hier, Jim, was die Nachforschungen nach Eunice Weldon zutage brachten!«

Sie reichte ihm ein Telegramm über den Tisch. Er las:

Eunice May Weldon starb in Kapstadt im Alter, von zwölf Monaten und drei Tagen und liegt auf dem Friedhof in Rondebosch begraben, Grab Nr. 7963.

Jim las das Telegramm zweimal.

»Sie ist im Alter von zwölf Monaten begraben worden?« murmelte er.