Die Familie Schroffenstein

Kleist, Heinrich von

Die Familie Schroffenstein

 

Die große eBook-Bibliothek der Weltliteratur

 

Heinrich von Kleist

Die Familie Schroffenstein

Ein Trauerspiel in fünf Aufzügen

 

 

Personen.

Rupert, Graf von Schroffenstein, aus dem Hause Rossitz.

 

Eustache, seine Gemahlin.

 

Ottokar, ihr Sohn.

 

Johann, Ruperts natürlicher Sohn.

 

Sylvius, Graf von Schroffenstein, aus dem Hause Warwand.

 

Sylvester, sein Sohn, regierender Graf.

 

Gertrude, Sylvesters Gemahlin, Stiefschwester der Eustache.

 

Agnes, ihre Tochter.

 

Jeronimus von Schroffenstein, aus dem Hause Wyk.

 

Aldöbern,

Santing,

Fintenring, , Vasallen Ruperts.

 

Theistiner, Vasall Sylvesters.

 

Ursula, eine Totengräberswitwe.

 

Barnabe, ihre Tochter.

 

Eine Kammerjungfer der Eustache.

 

Ein Kirchenvogt.

 

Ein Gärtner.

 

Zwei Wanderer.

 

Ritter, Geistliche, Hofgesinde.

 

Das Stück spielt in Schwaben.

 

 

Erster Aufzug

 

Erste Szene

Rossitz. Das Innere einer Kapelle. Es steht ein Sarg in der Mitte, um ihn herum Rupert, Eustache, Ottokar, Jeronimus, Ritter, Geistliche, das Hofgesinde, und ein Chor von Jünglingen und Mädchen. Die Messe ist soeben beendigt.

 

CHOR DER MÄDCHEN mit Musik.

Niedersteigen,

Glanzumstrahlet,

Himmelshöhen zur Erd herab,

Sah ein Frühling

Einen Engel.

Nieder trat ihn ein frecher Fuß.

CHOR DER JÜNGLINGE.

Dessen Thron die weiten Räume decken,

Dessen Reich die Sterne Grenzen stecken,

Dessen Willen wollen wir vollstrecken,

Rache! Rache! Rache! schwören wir.

CHOR DER MÄDCHEN.

Aus dem Staube

Aufwärts blickt' er

Milde zürnend den Frechen an;

Bat, ein Kindlein,

Bat um Liebe.

Mörders Stahl gab die Antwort ihm.

CHOR DER JÜNGLINGE wie oben.

CHOR DER MÄDCHEN.

Nun im Sarge,

Ausgelitten,

Faltet blutige Händlein er,

Gnade betend

Seinem Feinde.

Trotzig stehet der Feind und schweigt.

CHOR DER JÜNGLINGE wie oben.

 

Während die Musik zu Ende geht, nähert sich die Familie und ihr Gefolge dem Altar.

 

RUPERT.

Ich schwöre Rache! Rache! auf die Hostie,

Dem Haus Sylvesters, Grafen Schroffenstein.

 

Er empfängt das Abendmahl.

 

Die Reihe ist an dir, mein Sohn.

OTTOKAR.

Mein Herz

Trägt wie mit Schwingen deinen Fluch zu Gott,

Ich schwöre Rache, so wie du.

RUPERT.

Den Namen,

Mein Sohn, den Namen nenne.

OTTOKAR.

Rache schwör ich,

Sylvestern Schroffenstein!

RUPERT.

Nein irre nicht.

Ein Fluch, wie unsrer, kömmt vor Gottes Ohr

Und jedes Wort bewaffnet er mit Blitzen.

Drum wäge sie gewissenhaft. – Sprich nicht

Sylvester, sprich sein ganzes Haus, so hast

Du's sichrer.

OTTOKAR.

Rache! schwör ich, Rache!

Dem Mörderhaus Sylvesters.

 

Er empfängt das Abendmahl.

 

RUPERT.

Eustache,

Die Reihe ist an dir.

EUSTACHE.

Verschone mich,

Ich bin ein Weib –

RUPERT.

Und Mutter auch des Toten.

EUSTACHE.

O Gott! Wie soll ein Weib sich rächen?

RUPERT.

In Gedanken. Würge

Sie betend.

 

Sie empfängt das Abendmahl.

Rupert führt Eustache in den Vordergrund.

Alle folgen.

 

RUPERT.

Ich weiß, Eustache, Männer sind die Rächer –

Ihr seid die Klageweiber der Natur.

Doch nichts mehr von Natur.

Ein hold ergötzend Märchen ist's der Kindheit,

Der Menschheit von den Dichtern, ihren Ammen,

Erzählt. Vertrauen, Unschuld, Treue, Liebe,

Religion, der Götter Furcht sind wie

Die Tiere, welche reden. – Selbst das Band,

Das heilige, der Blutsverwandtschaft riß,

Und Vettern, Kinder eines Vaters, zielen,

Mit Dolchen zielen sie auf ihre Brüste.

Ja sieh, die letzte Menschenregung für

Das Wesen in der Wiege ist erloschen.

Man spricht von Wölfen, welche Kinder säugten,

Von Löwen, die das Einzige der Mutter

Verschonten. – Ich erwarte, daß ein Bär

An Oheims Stelle tritt für Ottokar.

Und weil doch alles sich gewandelt, Menschen

Mit Tieren die Natur gewechselt, wechsle

Denn auch das Weib die ihrige – verdränge

Das Kleinod Liebe, das nicht üblich ist,

Aus ihrem Herzen, um die Folie,

Den Haß, hineinzusetzen.

Wir

Indessen tun's in unsrer Art. Ich biete

Euch, meine Lehensmänner, auf, mir schnell

Von Mann und Weib und Kind, und was nur irgend

Sein Leben lieb hat, eine Schar zu bilden.

Denn nicht ein ehrlich offner Krieg, ich denke,

Nur eine Jagd wird's werden, wie nach Schlangen.

Wir wollen bloß das Felsenloch verkeilen,

Mit Dampfe sie in ihrem Nest ersticken,

– Die Leichen liegen lassen, daß von fernher

Gestank die Gattung schreckt, und keine wieder

In einem Erdenalter dort ein Ei legt.

EUSTACHE.

O Rupert, mäß'ge dich! Es hat der frech

Beleidigte den Nachteil, daß die Tat

Ihm die Besinnung selbst der Rache raubt,

Und daß in seiner eignen Brust ein Freund

Des Feindes aufsteht wider ihn, die Wut –

Wenn dir ein Garn Sylvester stellt, du läufst

In deiner Wunde blindem Schmerzgefühl

Hinein. – Könntst du nicht prüfen mindestens

Vorher, aufschieben noch die Fehde. – Ich

Will nicht den Arm der Rache binden, leiten

Nur will ich ihn, daß er so sichrer treffe.

RUPERT.

So, meinst du, soll ich warten, Peters Tod

Nicht rächen, bis ich Ottokars, bis ich

Auch deinen noch zu rächen hab – Aldöbern!

Geh hin nach Warwand, künd'ge ihm den Frieden auf.

– Doch sag's ihm nicht so sanft, wie ich, hörst du?

Nicht mit so dürren Worten – Sag daß ich

Gesonnen sei, an seines Schlosses Stelle

Ein Hochgericht zu bauen. – Nein, ich bitte,

Du mußt so matt nicht reden – Sag, ich dürste

Nach sein und seines Kindes Blute, hörst du?

Und seines Kindes Blute.

 

Er bedeckt sich das Gesicht;

Ab, mit Gefolge, außer Ottokar und Jeronimus.

 

JERONIMUS.

Ein Wort, Graf Ottokar.

OTTOKAR.

Bist du's, Jerome?

Willkommen! Wie du siehst, sind wir geschäftig,

Und kaum wird mir die Zeit noch bleiben, mir

Die Rüstung anzupassen. – Nun, was gibt's?

JERONIMUS.

Ich komm aus Warwand.

OTTOKAR.

So? Aus Warwand? Nun?

JERONIMUS.

Bei meinem Eid, ich nehme ihre Sache.

OTTOKAR.

Sylvesters? Du?

JERONIMUS.

Denn nie ward eine Fehde

So tollkühn rasch, so frevelhaft leichtsinnig

Beschlossen, als die eur'.

OTTOKAR.

Erkläre dich.

JERONIMUS.

Ich denke, das Erklären ist an dir.

Ich habe hier in diesen Bänken wie

Ein Narr gestanden,

Dem ein Schwarzkünstler Faxen vormacht.

OTTOKAR.

Wie?

Du wüßtest nichts?

JERONIMUS.

Du hörst, ich sage dir,

Ich komm aus Warwand, wo Sylvester, den

Ihr einen Kindermörder scheltet,

Die Mücken klatscht, die um sein Mädchen summen.

OTTOKAR.

Ja so, das war es. – Allerdings, man weiß,

Du giltst dem Hause viel, sie haben dich

Stets ihren Freund genannt, so solltest du

Wohl unterrichtet sein von ihren Wegen.

Man spricht, du freitest um die Tochter – Nun,

Ich sah sie nie, doch des Gerüchtes Stimme

Rühmt ihre Schönheit! Wohl. So ist der Preis

Es wert. –

JERONIMUS.

Wie meinst du das?

OTTOKAR.

Ich meine, weil –

JERONIMUS.

Laß gut sein, kann es selbst mir übersetzen.

Du meinest, weil ein seltner Fisch sich zeigt

Der doch zum Unglück bloß vom Aas sich nährt,

So schlüg ich meine Ritterehre tot,

Und hing' die Leich an meiner Lüste Angel

Als Köder auf –

OTTOKAR.

Ja, gradheraus, Jerome!

Es gab uns Gott das seltne Glück, daß wir

Der Feinde Schar leichtfaßlich, unzweideutig,

Wie eine runde Zahl erkennen. Warwand,

In diesem Worte liegt's, wie Gift in einer Büchse;

Und weil's jetzt drängt, und eben nicht die Zeit,

Zu mäkeln, ein zweideutig Körnchen Saft

Mit Müh herauszuklauben, nun so machen

Wir's kurz, und sagen, du gehörst zu Warwand.

JERONIMUS.

Bei meinem Eid, da habt ihr recht. Niemals

War eine Wahl mir zwischen euch und ihnen;

Doch muß ich mich entscheiden, auf der Stelle

Tu ich's, wenn so die Sachen stehn.