Meinem Leser.

Ein gut Gebiss und einen guten Magen −

Diess wünsch’ ich dir!

Und hast du erst mein Buch vertragen,

Verträgst du dich gewiss mit mir!

55.

Der realistische Maler.

“Treu die Natur und ganz!” − Wie fängt er’s an: Wann wäre je Natur im Bilde abgethan?

Unendlich ist das kleinste Stück der Welt! −

Er malt zuletzt davon, was ihm gefällt.

Und was gefällt ihm? Was er malen kann!

56.

Dichter−Eitelkeit.

Gebt mir Leim nur: denn zum Leime

Find’ ich selber mir schon Holz!

Sinn in vier unsinn’ge Reime

Legen − ist kein kleiner Stolz!

57.

Wählerischer Geschmack.

Wenn man frei mich wählen liesse,

Wählt’ ich gern ein Plätzchen mir

Mitten drin im Paradiese:

Gerner noch − vor seiner Thür!

53.

18

Nietzsche

58.

Die krumme Nase.

Die Nase schauet trutziglich

In’s Land, der Nüster blähet sich −

Drum fällst du, Nashorn ohne Horn,

Mein stolzes Menschlein, stets nach vorn!

Und stets beisammen find’t sich das:

Gerader Stolz, gekrümmte Nas.

59.

Die Feder kritzelt.

Die Feder kritzelt: Hölle das!

Bin ich verdammt zum Kritzeln−Müssen? −

So greif’ ich kühn zum Tintenfass

Und schreib’ mit dicken Tintenflüssen.

Wie läuft das hin, so voll, so breit!

Wie glückt mir Alles, wie ich’s treibe!

Zwar fehlt der Schrift die Deutlichkeit −

Was thut’s? Wer liest denn, was ich schreibe?

60.

Höhere Menschen.

Der steigt empor − ihn soll man loben!

Doch jener kommt allzeit von oben!

Der lebt dem Lobe selbst enthoben,

Der ist von Droben!

61.

Der Skeptiker spricht.

Halb ist dein Leben um,

Der Zeiger rückt, die Seele schaudert dir!

Lang schweift sie schon herum

Und sucht und fand nicht − und sie zaudert hier?

58.

19

Nietzsche

Halb ist dein Leben um:

Schmerz war’s und Irrthum, Stund’ um Stund’ dahier!

Was suchst du noch? Warum? − −

Diess eben such’ ich − Grund um Grund dafür!

62.

Ecce homo.

Ja! Ich weiss, woher ich stamme!

Ungesättigt gleich der Flamme

Glühe und verzehr’ ich mich.

Licht wird Alles, was ich fasse,

Kohle Alles, was ich lasse:

Flamme bin ich sicherlich.

63.

Sternen−Mora.

Vorausbestimmt zur Sternenbahn,

Was geht dich, Stern, das Dunkel an?

Roll’ selig hin durch diese Zeit!

Ihr Elend sei dir fremd und weit!

Der fernsten Welt gehört dein Schein:

Mitleid soll Sünde für dich sein!

Nur Ein Gebot gilt dir.− sei rein!

62.

20

Nietzsche

Erstes Buch

1.

Die Lehrer vom Zwecke des Daseins. − Ich mag nun mit gutem oder bösem Blicke auf die Menschen sehen, ich finde sie immer bei Einer Aufgabe, Alle und jeden Einzelnen in Sonderheit: Das zu thun, was der Erhaltung der menschlichen Gattung frommt.