Kann uns nicht gehören
es stürbe denn. – Doch wenn es uns entglitt
erwerben wirs vielleicht und tun nichts mehr
als seine Fülle sammeln allerwegen.
Noch immer kommen Mädchen so und legen
Schicksal auf uns. Weh aber jedem der
nach ihnen greift als wären sie sein Eigen.
DU lehr uns lieben, HERR, und Liebe zeigen.
SEXTE UND SEGEN
Hat das Blut nur das Horchen des Ohres
auf einmal lauter durchronnen?
Oder traten die Nonnen
hinter das Gitter des Chores?
Sie haben noch nicht begonnen.
Sie sind vielleicht noch nicht da;
sie, die nie jemand sah
als die Madonnen der drei Altäre.
Da flieht ganz ferne ins Ungefähre
ein Ton:
als ob es der letzte wäre.
Und dann wieder, als ob man sich täusche
und als hörte niemand ihn,
kommt die Stille und die Geräusche
vom Weiterrücken und Niederknien;
die Türe schlägt zurück an die Schwelle
hinter einem der kam oder ging,
und es schwankt ein wenig Helle
aus den Lampen, wie ein Wink …
Aber da singen und singen sie schon:
singen wie seit vielen Stunden,
mit den armen müden Munden
an das lange Lied gebunden
und geschleift von Ton zu Ton;
singen wie seit langen Jahren,
Jahren die ohne Ende waren;
singen wie mit ihren Haaren,
wie mit dem was man verbarg.
Ihre Stimmen haben lichte
halbverwischte Angesichte
wie sie sich zum Welt-Gerichte
heben werden, Sarg für Sarg.
Plötzlich geht aus allen eine
ganz allein hervor, empor – :
eine bleiche leichte kleine,
zu dem Wunder, zu dem Wohle –.
Und sie hält sich wie das Hohle
einer Muschel Gott ans Ohr.
Durchscheinendes Dunkel schwankt im Wind,
und die Nacht wird regnen.
Von den Dingen die um uns sind
wird uns nichts begegnen.
Aber Fernes wird im Kreis
wartend um uns verweilen.
Heiß mich nicht erschrecken, heiß
mich alles mit ihm teilen.
Werd ich vergessen? Und wenn irgendwas
viel später zu mir kommt und mich daran
erinnert: werd ich fremdhin fragen – : wann –?
Kann Leben heißen: zu vergessen, daß
mir Seligkeit, endlose unverkürzte
an einem Tage ward der rasch verrann
und daß dein Wesen sich in meines stürzte
aus deinen Augen, da ich kaum begann
dich anzusehn. Ich weiß von dir nicht mehr;
nur kommen mußtest du um jeden Preis,
und eine Stelle in mir ist jetzt leer
für alles das von dir was ich nicht weiß.
DIE NACHT DER FRÜHLINGSWENDE
(Capri, 1907)
Ein Netz von raschen Schattenmaschen schleift
über aus Mond gemachte Gartenwege,
als ob Gefangenes sich drinnen rege,
das ein Entfernter groß zusammengreift.
Gefangner Duft, der widerstrebend bleibt.
Doch plötzlich ists, als risse eine Welle
das Netz entzwei an einer hellen Stelle,
und alles fließt dahin und flieht und treibt … .
Noch einmal blättert, den wir lange kannten,
der weite Nachtwind in den harten Bäumen;
doch drüber stehen, stark und diamanten,
in tiefen feierlichen Zwischenräumen,
die großen Sterne einer Frühlingsnacht.
Laß einen Tag, der zögert vor dem Regen
und dessen lautloses Sichumdichlegen
nur dann und wann ein Hahnruf unterbricht,
laß einen solchen Tag dein Angesicht
hinhalten vor das frohe Rosasein
der kleinen Pfirsichbäume das wie ein
Weinen aus Freude ist
still überfließend.
MARIONETTEN-THEATER
(Furnes, Kermes.)
Hinter Stäben, wie Tiere,
türmen sie ihr Getu;
die Stimme ist nicht die ihre,
aber sie ziehn dazu
ihre Arme und Schwerter
ungemein und weit,
(findige Verwerter
dessen was grade schreit.)
Sie haben keine Gelenke
und hängen ein wenig quer
und hölzern im Gehenke,
aber sie können sehr
töten oder tanzen
oder auch im Ganzen
sich verneigen und noch mehr.
Auch pflegen sie kein Erinnern;
sie machen sich nichts bewußt,
und von ihrem Innern
gebrauchen sie nur die Brust,
um manchmal darauf zu schlagen
als schlügen sie sie ein.
x(Sie wissen, dieses Betragen
ist deutlich und allgemein.)
Ihre großen Gesichter
sind ein für alle Mal;
nicht wie die unsern: schlichter,
dringend und ideal;
offen wie beim Erwachen
mitten aus einem Traum.
Das giebt natürlich Lachen
draußen in dem Raum,
aus dem die von den Bänken
sehn
wie sich die Puppen kränken
und schrecken und an Schwänken
in Bündeln zu Grunde gehn.
Wenn einer es anders verstände
und säße und lachte nicht:
ihr einziges Stück verschwände
und sie spielten ihr jüngstes Gericht.
Sie rissen an ihren Schnüren
herein vor die kleinen Coulissen
die Hände von oben, die Hände,
die immer versteckten, entdeckten
häßlichen Hände in Rot:
und stürzten aus allen Türen
und stiegen über die Wände
und schlügen die Hände tot.
DER GOLDSCHMIED
Warte! Langsam! droh ich jedem Ringe
und vertröste jedes Kettenglied:
später, draußen, kommt das, was geschieht.
Dinge, sag ich, Dinge, Dinge, Dinge!
wenn ich schmiede; vor dem Schmied
hat noch keines irgendwas zu sein
oder ein Geschick auf sich zu laden.
Hier sind alle gleich, von Gottes Gnaden:
ich, das Gold, das Feuer und der Stein.
Ruhig, ruhig, ruf nicht so, Rubin!
Diese Perle leidet, und es fluten
Wassertiefen im Aquamarin.
Dieser Umgang mit euch Ausgeruhten
ist ein Schrecken: alle wacht ihr auf!
Wollt ihr Bläue blitzen? Wollt ihr bluten?
Ungeheuer funkelt mir der Hauf.
Und das Gold, es scheint mit mir verständigt;
in der Flamme hab ich es gebändigt,
aber reizen muß ichs um den Stein.
Und auf einmal, um den Stein zu fassen,
schlägt das Raubding mit metallnem Hassen
seine Krallen in mich selber ein.
SONNEN-UNTERGANG
(Capri)
Wie Blicke blendend, wie eine warme Arene,
vom Tage bevölkert, umgab dich das Land;
bis endlich strahlend, als goldene Pallas-Athene
auf dem Vorgebirg der Untergang stand,
verstreut von dem groß ihn vergeudenden Meer.
Da wurde Raum in den langsam sich leerenden Räumen;
über dir, über den Häusern, über den Bäumen,
über den Bergen wurde es leer.
Und dein Leben, von dem man die lichten Gewichte gehoben,
stieg, soweit Raum war, über das Alles nach oben,
füllend die rasch sich verkühlende Leere der Welt.
Bis es, im Steigen, in kaum zu erfühlender Ferne
sanft an die Nacht stieß. Da wurden ihm einige Sterne,
als nächste Wirklichkeit, wehrend entgegengestellt.
SKIZZE ZU EINEM SANKT GEORG
Aus dem Besitze der Fürstin
Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe
Weil er weißglüht, weil ihn keiner ertrüge,
halten ihn die Himmel immer verborgen.
Denk: es bräche plötzlich das Vordergebüge
und die Roßstirn durch den wolkigen Morgen
über dem Schloßpark. Und zu der alten Allee
niederstiege, vorsichtig tretenden Tanzes,
im Panzer das Pferd, langsam, die Bahn seines Glanzes
mit der Rüstung pflügend wie Schnee.
Während, silberner über dem silbernen Tier,
unberührt von der Kühle und Trübe,
sich der Helm, vergittert und spiegelnd, hübe:
Früh-Wind in der schwingenden Zier.
Und im steileren Abstieg würde der ganze
Silberne sichtbar, klingend von lichtem Gerinn;
durch den erhobenen Henzen wüchse die Lanze,
ein einziges Glänzen, wer weiß bis wohin –
aus dem stummen, sich um ihn schließenden Park.
Nein, ich will nicht, daß man mich zerstört,
und ich bete, daß ich nicht erblinde
innen, wo die Tiefen sind, die tragen,
und ich brauche selbst ein wenig Ruhm,
nur damit man mich einst wiederfinde
würdig deiner um von mir zu sagen:
Dieser Spiegel war ihr Eigentum
und er hat ihr eine Zeit gehört
und es geht um seinen Silbergriff
immer noch die Sage ihrer Hände
und wer das Unendliche verstände
fände ihre Schönheit in dem Schliff
dieses Spiegels, – den sie weiterschenkte
an den einsamen Engel, daß er drin
die noch viel zu fernen Feuer finge〈und〉 den Glanz vom Aufgang Gottes lenkte
über Dunkelnde und Dinge hin.
DIE GETRENNTEN
Mehr als Verlorene; mir mehr als tot, –
Verwandelte in einen andern Namen,
den ich nicht weiß; der mir nicht einmal droht:
wann war es, daß mir keine Worte kamen
und daß ein Lähmen mir verbot,
dich anzurufen, da du mir zergingst,
die du mich manchmal jetzt, als immer Ferne,
zu dir hinan, so wie zu einem Sterne,
den ich nie sehen werde, ziehst und zwingst.
Wer bist du jetzt in deiner fremden Ehe,
aus der du vielleicht nie hinübersiehst?
Wir haben eins gemeinsam: ich geschehe
in meiner Einsamkeit, und du geschiehst –
Mehr weiß ich nicht von keinem von uns beiden.
Und dennoch ist vielleicht ein Engel, der
es jetzt noch schwer hat, uns zu unterscheiden.
Er aber wird auch wissen, ob wir leiden.
Vor Zeiten, einst, ein Herz gewesen sein
in langer mühsamer Metamorphose,
und endlich nahe an der Fensterrose
inständig stehen, um im Stein
unsäglich unbeirrt mit langer Kraft
weiterzutragen die beklommnen Wonnen
und alles Wehe, das ja nur begonnen,
nur aufgeschlagen war, anfängerhaft.
Und jetzt es können und es plötzlich ganz
aushalten, wenn es kommt und gar nicht endet,
seiner Gewalt und seinem Glanz
entschlossen überstehend zugewendet, –
es können plötzlich, lautlos das vollenden
was wir, zu groß für uns, beginnen sehn,
und lächelnd, in der einen von den Blenden,
alles, bis an die Engel, überstehn.
Fühlst du nicht wie wir uns unbegrenzter
in dem allen immer wiederholen?
Meinst du nicht, es muß das Mittelfenster
in dir aufblühn? Kennst du der Konsolen
Wirrnis nicht, auf denen immer grader
die Vollbrachten ragen, hingezeigt.
Hast du nicht in einer jeden Ader
solchen Epheu, der dein Herz ersteigt?
Diese Hockenden am Rand der Rampen,
diese Übertriebnen, dieses Tier,
diese Jungfraun mit den kalten Lampen,
diese Stücke Engel, das sind wir;
diese Auferstehenden zuletzt,
die sich zweifelnd noch im Steigen stauen;
und wir sind auch unter diese grauen
aufgereihten Könige gesetzt,
die so reglos stehn in den beschuppten
Panzern und den Kronen, zu und gleich:
weil dereinst aus jedem der Verpuppten
auszufliegen hat ein reifes Reich.
Siehe der Dichter: ihn trug das Geschaute
weil er sich willig umschrieb und umschrieb
bis er gelöst in die leichtesten Laute
über der Tiefe vor der allen graute
auf dem schweren Hingehn trieb.
Das kommt und geht an dir, von solchen Leidern
zu wissen die verstellt sind und allein,
mit steifen Kleidern wie mit Sterbekleidern
unwirklich angetan und nur zum Schein.
Dies aber bleibt: daß uns ein jeder Duft
zum Schwanken bringt und wenn er will, bewältigt,
daß wir, verwandelt und verhundertfältigt
von allem rings und leichter als die Luft,
Müh haben immer wieder das zu sein
wovon der Tod erhofft, daß es uns glücke,
weil er es an sich nehmen will wie ein
nützliches Ding und nicht wie hundert Stücke.
DER DUFT
Wer bist du, Unbegreiflicher: du Geist,
wie weißt du mich von wo und wann zu finden,
der du das Innere (wie ein Erblinden)
so innig machst, daß es sich schließt und kreist.
Der Liebende, der eine an sich reißt,
hat sie nicht nah; nur du allein bist Nähe.
Wen hast du nicht durchtränkt als ob du jähe
die Farbe seiner Augen seist.
Ach, wer Musik in einem Spiegel sähe,
der sähe dich und wüßte, wie du heißst.
Immer noch und wie am ersten Tage
ist uns dies: daß wir nicht sind, zuviel,
und wir heben diese schwere Klage
immer wieder in das Saitenspiel
wenn die Liebesklagen, die wir hoben,
es nicht füllen. Ach sie waren leicht.
Aber diese schwere bleibt nicht oben:
kaum hat sie den Rand erreicht
fällt sie wieder
HERBST-ABEND
Wind aus dem Mond,
plötzlich ergriffene Bäume
und ein tastend fallendes Blatt.
Durch die Zwischenräume
der schwachen Laternen
drängt die schwarze Landschaft der Fernen
in die unentschlossene Stadt.
Ein junges Mädchen: das ist wie ein Stern:
die ganze Erde dunkelt ihm entgegen
und ist ihm aufgetan wie einem Regen,
und niemals trank sie einen seligern.
Ein junges Mädchen: das ist wie ein Schatz,
vergraben neben einer alten Linde;
da sollen Ringe sein und Goldgewinde,
doch keiner ist erwählt, daß er sie finde:
nur eine Sage geht und sagt den Platz.
Ein junges Mädchen: daß wir’s niemals sind.
So wenig hat das Sein zu uns Vertrauen.
Am Anfang scheinen wir fast gleich, als Kind,
und später sind wir manchmal beinah Frauen
für einen Augenblick; doch wie verrinnt
das fern von uns, was Mädchen sind und schauen.
Mädchen gewesen sein: daß es das giebt.
Als sagte Eine: einmal war ich dies
und zeigte dir ein Halsband von Türkis
auf welkem Sammte; und man sieht noch, wie’s
getragen war, verloren und geliebt.
Und im Herbst der welkenden Façaden
Grau begreifen bis heran ans Rot,
mit dem vielen Leben überladen
das gedrängt aus allen Dingen droht.
Wenn das Gefühl einer der fernen Städte
sich plötzlich an dich klammert, an dir hält,
als ob es nirgends eine Stelle hätte
als nur in dir: als wärest du die Welt.
STERNE HINTER OLIVEN
Geliebter, den so vieles irre macht,
neig dich zurück bis du im lautern Laube
die Stellen siehst, die Sterne sind. Ich glaube
die Erde ist nicht anders als die Nacht.
Sieh, wie im selbstvergessenen Geäste
das Nächste sich mit Namenlosem mischt;
man zeigt uns dies; man hält uns nicht wie Gäste
die man nur nimmt, erheitert und erfrischt.
Wie sehr wir auch auf diesen Wegen litten,
wir haben nicht den Garten abgenützt,
und Stunden, größere als wir erbitten,
tasten nach uns und gehn auf uns gestützt.
GRIECHISCHES LIEBESGESPRÄCH
Was ich schon früh als Geliebter erlernte
seh ich dich zürnend, Geliebte, erlernen;
damals war es dir das Entfernte,
jetzt steht in allen Sternen dein Los.
Um deine Brüste werden wir streiten:
seit sie wie glühend beschienen reifen,
wollen auch deine Hände nach ihnen
greifen und sich Freude bereiten.
GEDICHT
Das war doch immer das: Geheul, Gehärm,
was sich ergreifen ließ, und das Gelächter;
das Leben überwältigt seine Wächter.
Die Seelen gehn und machen keinen Lärm.
Und deshalb sind wir da und wissen nicht
wovor uns flüchten und an was uns klammern.
Wir haben nichts als unsres Herzens Kammern
und wohnen drin und machen niemals Licht.
Wir stehen da: zu füllende Gefäße
und was wir halten selbst ist ungewiß;
doch manchmal nimmt uns diese Finsternis
als ob sie nichts als uns allein besäße.
Wie sich die warmen Blumen an das All
fortgeben, an das abendliche, kühle – :
so fließen Deine fürstlichen Gefühle
in diesen kalten Ball aus Bergkrystall …
AUSBLICK VON CAPRI:
– Siehst du wie das Vorgebirge dort
sich entfaltet: seine Hänge geben
Glanz von sich, als führen sie noch fort,
den Athene-Tempel hinzuheben
in den Götterhimmel Griechenlands – .
Wie dunkeln und rauschen im Instrument
die Wälder seines Holzes.
FÜR LIA ROSEN
Wer weiß denn was wir werden? Daß wir sind,
ist ein Gerücht an das wir wieder glauben
sooft wir fühlen: einmal war ich Kind.
Doch schon das Nächste kommt zu groß und rinnt
durch uns wie Wind im Herbst durch leere Lauben.
FÜR HERBERT STEINER
geschrieben, um sein Gedicht zu erwidern./ Venedig/ Nov. 1907.
Vertrau den Büchern nicht zu sehr; / sie sind
Gewesenes und Kommendes. / Ergreife
ein Seiendes. / So wird auch deine Reife
nicht alles sein. / Denn da ist jeder Kind,
wo Dinge stehn, unendlich überragend
was sich in uns zu mehr zusammennimmt.
Wir raten nur und sagen alles fragend,
sie aber gehn in sich und sind bestimmt.
Und wenn du auch dein Leben so begannst
als solltest du’s in Stunden überwinden:
im Kleinsten wirst du einen Meister finden,
dem du tiefinnen nie genugtun kannst.
Wir müssen immer wie die schwangern Frauen
vorsichtig um die Ecken gehn und leiden
daß Bilder plötzlich uns ins Werden sinken, –
um immer mehr von denen uns zu scheiden
die bei dem vielen In-die-Bücher-Schauen
gewohnt sind, alles aufgelöst zu trinken
anstatt den Kern der Wirklichkeit zu kauen.
Tage, wenn sie scheinbar uns entgleiten,
gleiten leise doch in uns hinein,
aber wir verwandeln alle Zeiten;
denn wir sehnen uns zu sein … .
In dem Wiedersehn mit Kindheitsdingen
lernen wir uns wiedersehn:
zwar wir wußten, daß die Jahre gingen,
doch nun fühlen wir auch, wie wir gehn.
Wüßten wir um welcher Dinge willen
wir die Tage so und so die Nächte
oft verbringen – : keiner dächte
heimlich seinen Schmerz zu stillen;
jeder wollte, daß er einen Schrei
aus dem Leiden innen in sich forme,
drin das eingenommene Enorme
wie im Vogel-Rufe gültig sei.
Wehmut will uns zwingen zuweilen
zu gedenken, wie er verrann;
aber es schimmert in seinen Zeilen
ganz als bräche er ewig an.
NÄCHTLICHER GANG
Nichts ist vergleichbar. Denn was ist nicht ganz
mit sich allein und was je auszusagen;
wir nennen nichts, wir dürfen nur ertragen
und uns verständigen, daß da ein Glanz
und dort ein Blick vielleicht uns so gestreift
als wäre grade das darin gelebt
was unser Leben ist. Wer widerstrebt
dem wird nicht Welt. Und wer zuviel begreift
dem geht das Ewige vorbei. Zuweilen
in solchen großen Nächten sind wir wie
außer Gefahr, in gleichen leichten Teilen
den Sternen ausgeteilt. Wie drängen sie.
DIE KARYATIDEN
In dieser Luft, die glatt war von Gymnasten
und von dem Gehen junger Sieger bebend,
stehn sie noch immer, mit den eingefaßten
Stirnen das Kranzgesimse weitergebend
an ihre Haltung, die es lastlos trägt.
Der welke Marmor fällt schon ins Fossile,
doch, von dem Schatten der Gebälkprofile
durchsichtig schwebend überschrägt,
sind ihre Angesichter noch vom Saft
gefüllter Sinne süß. Die Wangen reifen
das Glänzen, das die Munde nicht begreifen.
Die Augen sind für Götter aufgegafft,
und von den ruhigen Schultern fließt in Streifen
der ewige Überfluß der Jungfrauschaft.
DER KRANKE KNABE
Durch eine leise Wendung in den Kissen
kam sein Gesicht der Stube zu und sah
die Gegenstände an: sie waren da.
Es schien ihm: dies ist alles was wir wissen.
Doch auch auf dies, sobald man lag und Tage
hinschaute ohne Sinn, war kein Verlaß:
eins ballte sich und eins gab nach. Das Vage
stieg aus den Spiegeln. Aber wo war das
bei dem man ruhig bleiben durfte immer?
Wenn manchmal selbst der eignen Hand Geruch
unfaßlich war oder im Nebenzimmer
die lieben Stimmen wertlos wie Besuch.
DIE LIEBENDEN
Sieh, wie sie zu einander erwachsen:
in ihren Adern wird alles Geist.
Ihre Gestalten beben wie Achsen,
um die es heiß und hinreißend kreist.
Dürstende, und sie bekommen zu trinken,
Wache und sieh: sie bekommen zu sehn.
Laß sie ineinander sinken,
um einander zu überstehn.
» … . MAIS QUELLE SERA LA VIE D’UNE JEUNE FILLE BOITEUSE? … «
(Aus einem Briefe)
Wer wird sie sein, wenn einmal das Gebrechen,
das sie jetzt trägt wie eine kurze Laune
zu der ein Kind erfindend sich verstellt,
ihr gleicht und immer nachgeht im Geraune?
Und sie, als Mädchen, wird vor aller Welt
auf ihren Stock gestützt, versprechen
sich still zu halten. Wird ihr Mund
von des Verzichtes Bitterkeit sich biegen?
Wird sie die Nächte neidisch liegen,
um tags von Wünschen sich gesund
täuschen zu lassen? (Oder wird sie siegen?)
Denn dieser kleine wehe Unterschied
mit dem sie aufwächst, der bei jedem Schritte
sie heimlich abseits von den andern zieht
und täglich will, daß sie ihn neu erlitte,
kann nicht zernichten; kann sie nur entfernen.
Sie ist so leicht; zieht er sie weit genug,
so wird sie den unendlichen Bezug
viel früher als die Freundinnen erlernen
und selig jeden Morgen von den Sternen
sich wiederkommen, innen voller Flug.
AUS DEN NACHTWACHEN
DER SCHWESTER GODELIEVE
In dieser Nacht starb ihr ein alter Mann.
Nichts war zu tun, und sie war vorbereitet.
Ungläubig, wie wenn einer was bestreitet,
starrte sie hin. Er sah sie an
und starb dabei; beinah gedankenlos,
wie alte Männer in den Hospitälern
ausgehn von einem Luftzug in der Lunge.
In ihrem Dunkel griff die junge
Schwester nach sich: sie fand sich hart und stählern.
Aber auf einmal wurde etwas groß
in ihr wie Heimweh nach dem Alten, der
plötzlich so weit war; und als hätte er
sie fallen lassen (er, der nichts besaß)
blieb sie zurück: ganz ohne jedes Maß
für das was ist. Ob keiner von den Achten
sie rief und brauchte im verhängten Saale?
Sie sehnte sich, in Müh zu übernachten;
denn ratlos fühlte sie zum ersten Male
die nahen Männer, welche alle wachten.
DER URSPR UNG DER CHIMÄRE
Der Engel jüngster, als sein übersüßer
mündiger Samen stand bis an den Rand,
kam zu den offenen Heiligen ins Land.
Doch voller Mißtraun schlossen sich die Büßer
und hatten nicht den Liebenden erkannt.
Die Tiere aber waren außer sich.
Da riß der Engel seine Lust nach innen
und ging die ganze Nacht, ging und verglich
sein Auge mit dem Aug der Tigerinnen.
Bis schließlich eine büßende Hetäre
am Eingang einer Königsgruft
ihn anschrie, ob die Nacht denn ewig währe.
Da wollte er, daß diese da gebäre
(es lag ein Wesen in der Luft),
und führte sie zu Männern an der Fähre
und gab ihr wieder ihren Duft.
REQUIEM
FÜR EINE FREUNDIN
Geschrieben am 31. Oktober,1. und 2. November 1908in Paris
Ich habe Tote, und ich ließ sie hin
und war erstaunt, sie so getrost zu sehn,
so rasch zuhaus im Totsein, so gerecht,
so anders als ihr Ruf. Nur du, du kehrst
zurück; du streifst mich, du gehst um, du willst
an etwas stoßen, daß es klingt von dir
und dich verrät. O nimm mir nicht, was ich
langsam erlern. Ich habe recht; du irrst
wenn du gerührt zu irgend einem Ding
ein Heimweh hast.
1 comment