Mit einemmal griff sie mit jeder Hand um zwei hübsche Blumen neben sich und rief dem Tode zu: »Ich reiße alle Deine Blumen ab, denn ich bin in Verzweifelung!«
»Rühre sie nicht an!« sagte der Tod, »Du sagst, Du seiest unglücklich und nun willst Du eine andere Mutter eben so unglücklich machen!«
»Eine andere Mutter!« sagte die arme Frau und ließ sogleich beide Blumen los.
»Da hast Du Deine Augen!« sagte der Tod, »ich habe sie aus dem See aufgefischt, sie leuchteten so stark, ich wußte nicht, daß es die Deinigen waren; nimm sie wieder, sie sind jetzt klarer als zuvor, sieh dann in den tiefen Brunnen hier nebenbei hinab, ich werde die Namen der beiden Blumen nennen, die Du ausreißen wolltest und Du wirst ihre ganze Zukunft, ihr ganzes Menschenleben erblicken, sieh, was Du zerstören und zu Grunde richten wolltest.«
Sie sah in den Brunnen hinab und es war eine Glückseligkeit zu sehen, wie der eine ein Segen für die Welt ward, zu sehen, wie viel Glück und Freude sich ringsum entfaltete. Und sie erblickte das Leben der andern, und es war Trauer und Not, Jammer und Elend.
»Beides ist Gottes Wille!« sagte der Tod.
»Welche ist die Blume des Unglücks und welche die des Segens?« fragte sie.
»Das sage ich Dir nicht!« sagte der Tod, »aber das sollst Du von mir erfahren, daß die eine Blume die Deines eigenen Kindes war, es war das Schicksal Deines Kindes, die Zukunft Deines eigenen Kindes!«
Da schrie die Mutter erschrocken auf: »Welche von ihnen war mein Kind? Sage mir das, erlöse das Unschuldige! Befreie mein Kind von all' dem Elend, trage es lieber fort! Trage es in Gottes Reich! Vergiß meine Zähren, vergiß meine Bitten und alles, was ich gesagt und gethan habe!«
»Ich verstehe Dich nicht!« sagte der Tod. »Willst Du Dein Kind zurückhaben, oder soll ich mit ihm da hineingehen, wo Du nicht weißt, wie es ist?«
Da rang die Mutter ihre Hände, fiel auf ihre Kniee und betete zum lieben Gott: »Erhöre mich nicht, wenn ich gegen Deinen Willen, welcher der beste ist, bitte! Erhöre mich nicht! Erhöre mich nicht!«
Und sie neigte ihr Haupt auf ihre Brust herab.
Der Tod aber ging mit ihrem Kinde in das unbekannte Land.

Ende
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