Lucia, die sich ganz dem Mitleid weihte, Bewegte sich zum Orte, wo ich war,

In Ruhe sitzend an der Rahel Seite.

Sie sprach: Beatrix, Gottes Preis fürwahr!

Hilfst du ihm nicht, ihm, der aus großer Liebe Für dich entrann aus der gemeinen Schar, Als ob dein Ohr taub seinen Klagen bliebe, Als sähest du ihn nicht im Wirbel dort,

Bedroht, mehr als ob Meeressturm ihn triebe?

Nicht eilt so schnell auf Erden einer fort, Den Gier nach Glück und Furcht vor Leid betören, Wie ich herabgeeilt bei solchem Wort,

Von meinem Sitz in jenen sel’gen Chören, Vertrau’nd auf deiner würd’gen Rede Macht, Die Ruhm dir bringt und allen, die sie hören –

Als nun Beatrix solches vorgebracht,

Da wandte sie die Augenstern’ in Zähren, Und dies hat mich nur schneller hergebracht.

So komm’ ich denn daher auf ihr Begehren, Das Untier von dir scheuchend, dem’s gelang, Den kurzen Weg des schönen Bergs zu wehren.

Was also ist dir? Warum weilst du bang?

Was herbergst du die Feigheit im Gemüte?

Was weicht dein Mut, dein kühner Tatendrang, Da sich drei heil’ge Himmelsfrau’n voll Güte Für dich bemüh’n und dir mein Mund verspricht, Daß ihre treue Sorge dich behüte?«

Gleichwie die Blum’ im ersten Sonnenlicht, Beim nächt’gen Reif gesunken und verschlossen, Den Stiel erhebt und ihren Kelch entflicht; So hob die Kraft, erst schmachtend und verdrossen, In meinem Herzen sich zu gutem Mut,

Und ich begann, frohsinnig und entschlossen:

»O wie ist sie, die für mich sorgte, gut!

Wie freundlich bist auch du, der den Befehlen Der Herrlichen so schnell Genüge tut!

Schon fühl’ ich mich zu heißer Sehnsucht stählen Von deinem Wort, schon fühl’ ich, nicht mehr bang, Vom ersten Vorsatz wieder mich beseelen.

Drum auf, in beiden ist ein gleicher Drang, Herr, Führer, Meister, auf zum großen Wege!«

Ich sprach’s zu ihm, und, folgend seinem Gang, Schritt ich daher auf waldig rauhem Stege.

Dritter Gesang

Durch mich geht’s ein zur Stadt der Qualerkornen, Durch mich geht’s ein zum ew’gen Weheschlund, Durch mich geht’s ein zum Volke der Verlornen.

Das Recht war meines hohen Schöpfers Grund; Die Allmacht wollt’ in mir sich offenbaren; Allweisheit ward und erste Liebe kund.

Die schon vor mir erschaffnen Dinge waren Nur ewige; und ewig daur’ auch ich.

Laßt, die ihr eingeht jede Hoffnung fahren.

Die Inschrift zeigt’ in dunkler Farbe sich Geschrieben dort am Gipfel einer Pforte, Drum ich: Hart, Meister, ist ihr Sinn für mich.

Er, als Erfahrner, sprach dann diese Worte:

»Hier sei jedweder Argwohn weggebannt,

Und jede Feigheit sterb’ an diesem Orte.

Wir sind zur Stelle, die ich dir genannt, Hier wirst du jene Jammervollen schauen, Für die das Heil des wahren Lichtes schwand.«

Er faßte meine Hand, daher Vertrauen

Durch sein Gesicht voll Mut auch ich gewann.

Drauf führt’ er mich in das geheime Grauen.

Dort hob Geächz, Geschrei und Klagen an, Laut durch die sternenlose Luft ertönend, So daß ich selber weinte, da’s begann.

Verschiedne Sprachen, Worte, gräßlich dröhnend, Handschläge, Klänge heiseren Geschreis,

Die Wut, aufkreischend, und der Schmerz, erstöhnend –

Dies alles wogte tosend stets, als sei’s Im Wirbel Sand, durch Lüfte, die zu schwärzen Es keiner Nacht bedarf, im ew’gen Kreis.

Und, ich vom Wahn umstrickt und bang im Herzen, Sprach: Meister, welch Geschrei, das sich erhebt?

Wer ist doch hier so ganz besiegt von Schmerzen?

Und er: »Der Klang, der durch die Lüfte bebt, Kommt von den Jammerseelen jener Wesen,

Die ohne Schimpf und ohne Lob gelebt.

Gemischt find die Nicht-Guten und Nicht-Bösen Den Engeln, die nicht Gott getreu im Strauß, Auch Meutrer nicht und nur für sich gewesen.

Die Himmel trieben sie als Mißzier aus,

Und da durch sie der Sünder Stolz erstünde, Nimmt sie nicht ein der tiefen Hölle Graus.«

Ich drauf: Was füllt ihr Wehlaut diese Gründe?

Was ist das Leiden, das so hart sie drückt?

Und er: »Vernimm, was ich dir kurz verkünde.

Des Todes Hoffnung ist dem Volk entrückt.

Im blinden Leben, trüb und immer trüber, Scheint ihrem Neid jed’ andres Los beglückt.

Sie kamen lautlos aus der Welt herüber,

Von Recht und Gnade werden sie verschmäht.

Doch still von ihnen – Schau’ und geh vorüber.«

Ich schaute hin und sah im Kreis geweht, Ein Fähnlein zieh’n, so eilig umgeschwungen, Daß sich’s zum Ruh’n, so schien mir’s, nie versteht.

In langer Reihe folgten ihm, gezwungen,

So viele Leute, daß ich kaum geglaubt,

Daß je der Tod so vieles Volk verschlungen.

Und hier erblickt’ ich manch bekanntes Haupt, Auch jenes Schatten, der aus Angst und Zagen Sich den Verzicht, den großen, feig erlaubt.

Ich war sogleich gewiß, auch hört’ ich sagen, Dies sei der Schlechten jämmerliche Schar, Die Gott und seinen Feinden mißbehagen.

Dies Jammervolk, das niemals lebend war, War nackend und von Flieg’ und Wesp’ umflogen, Und ward gestachelt viel und immerdar.

Tränen und Blut aus ihren Wunden zogen

In Streifen durch das Antlitz bis zum Grund, Wo ekle Würmer draus sich Nahrung sogen.

Drauf, als ich weiter blickt’ im düstern Schlund, Erblickt’ ich Leut’ an einem Stromgestade Und sprach: »Jetzt tu, ich bitte, Herr, mir kund, Von welcher Art sind die, die so gerade, Wie ich beim düstern Dämmerlicht ersehn, So eilig weiterzieh’n auf ihrem Pfade?«

Und er darauf: »Dir wird genug gescheh’n Am Acheron – dort wird sich alles zeigen, Wenn wir am traur’gen Ufer stillestehn.«

Da zwang mich Scham, die Augen tief zu neigen, Aus Furcht, daß ihm mein Fragen lästig sei, Und ich gebot mir bis zum Strome Schweigen.

Und sieh, es kam ein Mann zu Schiff herbei, Ein Greis, bedeckt mit schneeig weißen Haaren.

»Weh euch, Verworfne!« tönte sein Geschrei.